Demaskierende Dessous

Statt für den male gaze tragen Frauen heute scharfe Unterwäsche für sich selbst. Die passenden Stücke findet man in Astrid Lindberghs Laden „Amour Fou*“

Birgit Wittstock
21.11.2022

Aus dem Elf-Quadratmeter-Zwerg ist ein ganz großer, längst nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp geworden: „Amour Fou*“ ist quasi Generalausstatter für die heimische Sex-Positive-Party-Crowd (Foto: Birgit Wittstock)

Klein-Paris misst elf Quadratmeter. Es befindet sich gleich neben der Barnabitenkirche in Mariahilf. Auf diesem Bruchteil der Fläche von Frankreichs Hauptstadt verströmt ein Laden maximalen Stadt-der-Liebe-Vibe. Sein Name „Amour Fou“ steht für eine obsessive Liebesbeziehung – zu Dessous. Und seine 43-jährige Gründerin Astrid Lindbergh sieht mit ihren langen dunklen Haaren, roten Lippen, in Rüschenhemdchen, Bleistiftrock und Riemchenpumps genau so aus, wie man sich eine Pariserin vorstellt. Mehr als 400 Oberteile aus Spitze, Tüll, Baumwolle und anderen feinen Stoffen, seidige Lingerie-Stücke, aber auch raffinierte Bikinis und Badeanzüge schmücken hier dicht an dicht Wände wie Kunstwerke. Hunderte Höschen in allen erdenklichen Formen und Farben stapeln sich in Schubladen, bereit, sich an Hintern und Vulven zu schmiegen. Und immer öfter auch an Penisse.

Lindberghs Laden zieht all jene an, die ein Stück Stoff suchen, um etwas zum Schwingen zu bringen. Sie ist mittlerweile zur Generalausstatterin für die Crowd von Sex-Positive-Partys aufgestiegen. Steht in Wien ein Event mit dem Dresscode „Minimalschale“- bevor, herrscht bei Amour Fou Hochbetrieb. Nirgendwo sonst in der Stadt findet man eine so sorgfältig kuratierte Auswahl stylischer Dessous. Bei den Partygeher*innen besonders beliebt: die Modelle der Pariser Designerin Yasmine Eslami. Durchsichtig, clean und mit einem Stoffstreifen als Nippelblende versehen. „Alarmsicher für Instagram“, erklärt Lindbergh den Bestseller.

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs

Zur verrückten Liebe kommen aber nicht nur junge Frauen. „Es sind moderne, feministische und unabhängige Frauen jedes Alters. Sie kaufen die schicke Wäsche in erster Linie für sich selbst.“ 

Wäre Lindbergh Gynäkologin, sie hätte in den neun Jahren, die seit der Eröffnung von Amour Fou vergangen sind, wohl kaum mehr nackte Brüste gesehen. Ein kurzer Blick hinter den wallenden hellblauen Vorhang der Umkleidekabine genügt ihr, um die passende Größe und das Modell zu bestimmen. „Anfangs war es schon sehr aufregend, all diesen Frauen so nahezukommen“, erzählt Lindbergh. „Und so schön:
Ich mache sie instant glücklich. Selbst wenn niemand ihre Unterwäsche zu sehen bekommt, bewirkt sie etwas. Die richtigen Dessous verändern die Körperhaltung einer Frau.“

Astrid Lindbergh, Wäscheexpertin. Sie hätte es früher für einen Scherz gehalten. Als Studentin der Theaterwissenschaften ging sie in den späten 1990er-Jahre oben ohne Unterwäscheteil. „Wenn es sein musste, trug ich einen Sport-BH, egal wie das aussah.“ Jahre später, Mitte dreißig und wohnhaft in Berlin, nahm sie eine Freundin mit ins „Blush“, zum Ausverkauf in das damals angesagteste Dessous-Geschäft der Stadt. Erfolgreich. Lindbergh erstand das erste Wäscheset ihres Lebens: schokoladenbraun, sexy und bequem zugleich. „Kein Widerspruch, ein Aha-Erlebnis für mich“, beschreibt sie ihre Dessous-Erweckung. 

Astrid Lindbergh verkauft in ihrem Laden Wäsche, die nachhaltig in Europa von frauengeführten Labels produziert wird. Das Tragen der richtigen Unterwäsche sei ein Akt der Selbstermächtigung, meint die Amour-Fou-Chefin. Foto: Birgit Wittstock

Eineinhalb Jahre später fand sie sich zurück in Wien und damit in einer Wäschewüste wieder: Hier kleideten große Textilketten voller G-Strings und Push-ups die Frauen ein. Der Wonderbra als Korsett der weiblichen Normsilhouette, eine „Uniform“ mit gepolstertem Brustpanzer. Astrid Lindbergh wurde klar: Ein eigener Laden musste her. Einer, in dem sie selbst gern einkaufen würde. Ein Dreivierteljahr und einen Mikrokredit später bezog sie jenen kleinen Raum mit goldener Kuppeldecke, einst Teil des Barnabiten-Klosters. Er sollte ihre Dessous-Kapelle werden. Das Credo: sündhaft schöne Wäsche von kleinen, frauengeführten Labels, nachhaltig und unter fairen Bedingungen in Europa hergestellt. „Ein bisschen wahnsinnig, das mit zwei kleinen Kindern zu wagen“, findet sie heute. 

Anfangs klebte sie noch selbstgedruckte Plakate in der Stadt auf. Doch bald schon gingen BHs und Slips wie von selbst über die – aus alten Türflügeln handgezimmerte – Verkaufstheke. „Erst kamen die Töchter. Sie nahmen die Schwestern und Freundinnen mit. Dann kamen die Mütter und irgendwann auch die Männer und die Freunde.“ Immer öfter auch, um für sich selbst Dessous zu kaufen. „Die Leute werden wagemutiger“, meint die Amour-Fou-Chefin. 

„Auch sind Ganzkörperpanzer out. Nach zwei Jahrzehnten Panzerregiment ist so ein Hauch von Softbra eine ganz schöne Entblößung. Das kommt einer Demaskierung gleich.“

Um die 400 verschiedene Oberteile schmücken die Wände von Amour Fou. Foto: Birgit Wittstock


Körpervermesserin

Astrid Lindbergh, 43, hat eine nahezu magische Fähigkeit: Ihr genügt ein kurzer Blick auf nackte Brüste, und schon greift sie nach dem perfekt passenden BH. Und das, obwohl sie selbst bis in ihre Dreißiger nur ganz selten einen trug. Möglicherweise weiß Lindbergh gerade deshalb um den Wert gut sitzender, schöner und von Frauen für Frauen gefertigter Unterwäsche. Die verkauft sie nämlich seit 2013 in ihrem Dessous-Geschäft Amour Fou*

Amour Fou* Dessous
6., Barnabitengasse 14
amour-fou.at

Die 4 besten Tipps für Klein-Paris in Wien finden Sie hier.

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