Ein Leben als Hund
„Müssen wir in die Hundezone?“ Angelo und Max blicken einander kurz an: Fangfrage? Nein, Hundezone müsse nicht sein, sagt Angelo ...
Die Schauspielerin hat sich fürs Rampenlicht entschieden – und für Selbstbestimmtheit (Foto: Ines Bacher)
Als Kind wollte Yuria Knoll Astronautin werden: „Der erste Schritt ist, sich vorzustellen, dass es möglich ist!“ Und der zweite? Genau hinschauen, ob es wirklich so attraktiv ist. Ihre Recherche ergab: Astronaut*innen haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken, weil sie im Weltall gefährlicher Strahlung ausgesetzt sind. Das braucht Yuria Knoll nicht auch noch. Die 26-Jährige wurde mit einer Behinderung geboren, langwierige medizinische Behandlungen waren die Folge. So wählte sie einen anderen Beruf, bei dem man sich über Raum und Zeit hinwegsetzen kann: die Schauspielerei.
2015 war Knoll erstmals Teil des Ensembles „Junges Volkstheater“. Seither tritt sie auf österreichischen Bühnen auf. Im September eröffnete der „Dschungel Wien“ seine Saison mit dem Stück „Hexen“. Knoll spielt eine von vier, die mit ihren magischen Kräften eine Welt gestalten wollen, „in der niemand zurückbleibt“, wie der Ankündigungstext verspricht. Wie es sich anfühlt, wenn es einem droht, zurückgelassen zu werden, weiß Knoll genau: Sie tritt im Rollstuhl auf und bleibt auch danach in ihm sitzen. Seit nunmehr sechs Jahren.
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs
Trotzdem ist Yuria Knoll „Avantgarde“. 2019 legte sie als Einzige im Rollstuhl vor einer Kommission aus Vertreter*innen von Bühnengewerkschaft und Theaterunternehmerverbänden den ersten Teil der dreigliedrigen Bühnenreifeprüfung in Wien ab.
In Österreich leben rund 1,3 Millionen Menschen mit zumindest einer Behinderung, 40.000 verwenden dauerhaft einen Rollstuhl. Dennoch scheint die Gesellschaft für Menschen wie Knoll nicht bereit zu sein, die Welt von Film und Fernsehen schon gar nicht. Das beginnt bei unüberwindbaren Hindernissen in nicht barrierefreien Schauspielschulen und setzt sich in Inszenierungen fort, in denen Behinderungen nur eine Art Special Effect sind. Selbst dann gehen die Rollen hauptsächlich an Schauspieler*innen ohne Behinderung. So bleibt am Theater oder im Film eine Behinderung nur Maskerade, und nicht einmal an dieser dürfen behinderte Menschen teilnehmen.
„Ich wünsche mir zwar manchmal weniger Hürden“, sagt Knoll. „Aber ich wünsch’ mir nie, dass mein Körper anders ist.“ Sie tritt selbstbewusst auf und redet viel über die Arbeit in der freien Szene, der sie sich zugehörig fühlt, und ihren Einstieg ins Berufsleben. Bis zum Juli dieses Jahres bezog sie Mindestsicherung, nun ist sie als selbstständig gemeldet. Die Corona-Pandemie bremste auch ihre Karriere, wegen des Gesundheitsrisikos musste sie isoliert bleiben. „Ich war superneidisch auf alle, die mit Coronatest an Festivals teilnehmen konnten.“
Mit ihrer Tanzperformance bei der „communale sphäre“ hinterfragten Katharina Senk, Yuria Knoll, Iris Omari Ansong und Maartje Pasman Körper- und Rollenstereotype. Foto: Franzi Kreis
Knoll gibt die Rahmenbedingungen für ihre Auftritte in der Öffentlichkeit vor: Die medizinische Diagnose, Details zu ihrer Familie und Informationen über den Treffpunkt, ein Café in Wien, in dessen Nähe sie wohnt, gingen niemanden etwas an. Behinderten Menschen werde oft genug die Privatsphäre abgesprochen. Yuria Knoll hat sich für das Rampenlicht entschieden und will dabei selbst bestimmen, was der Scheinwerfer anstrahlt.
Ein wenig Privates erzählt sie aber doch: Als Tochter eines Österreichers und einer Brasilianerin in Japan geboren, wo der Vater damals arbeitete, wuchs sie in Salzburg auf. Mit 15 Jahren kam sie nach Wien und an die Handelsschule im Schulzentrum Ungargasse, das auf körperbehinderte Schüler*innen ausgerichtet ist. Wegen medizinischer Probleme fehlte Knoll oft, schloss letztendlich ohne Matura ab. Aber da wollte sie ohnehin schon auf die Bühne und nicht ins Büro.
An der einzigen barrierefreien Wiener Schauspielschule studierte sie ein halbes Jahr lang, bis eine Lehrerin den Kommentar fallen ließ: Nicht nur im Rollstuhl, sondern auch noch übergewichtig sei aus ihrer Sicht ein doppeltes Handicap. Knoll ging ab. Was sollte sie von einer Lehrerin lernen, die sichtlich nicht daran glaubte, dass sie das Zeug zur Schauspielerin hat?
Eine Behinderung bleibt in vielen Inszenierungen ein Special Effect, der Rollstuhl wird dann zur eigentlichen Hauptrolle gemacht. Foto: Jakob Kreinecker
Wer weiß, sinniert Knoll heute, welche diskriminierenden Kommentare sie an anderen Universitäten gehört hätte. Sie wollte „so frei von Diskriminierung wie möglich“ leben und nahm Privatstunden, lernte in Workshops und Produktionen, teils in der freien Szene.
Seit die Pandemie vorbei ist, läuft es gut. Bis Jahresende ist Yuria Knoll mit Aufträgen eingedeckt. „Ich mag es, etwas zu erkunden, das weit weg von meiner eigenen Realität ist.“ So frei ist allerdings auch die Welt des Schauspiels nicht: In der Branche ist es üblich, für Rollen gewisse „Typen“ zu casten. Das gilt auch für Knoll: „Ich bekomme viele tragische Rollen angeboten.“
Im Gegensatz zu anderen Schauspielkolleg*innen in ihrem Alter dreht sich ihre Storyline selten um Liebe oder Sexualität. Stattdessen wird ihre Behinderung oft zum Teil der Handlung gemacht. „Mir ist eh klar, dass ich keine Marathonläuferin spielen werde“, sagt Knoll. „Aber warum nicht die Julia?“ Der erste Schritt ist, sich vorzustellen, dass es möglich ist.
Foto: Melanie Schuch
Rollenspielerin
Die Welt, und vor allem jene des Films, Fernsehens und der Bühne, ist alles andere als niederschwellig. Schauspielerin Yuria Knoll, 26, nimmt erfolgreich jede Hürde. Nur die in den Köpfen anderer Leute sind mitunter hartnäckig
Yuria Knolls Tipps für barrierefreies Wien finden Sie hier.