Ein Leben als Hund
„Müssen wir in die Hundezone?“ Angelo und Max blicken einander kurz an: Fangfrage? Nein, Hundezone müsse nicht sein, sagt Angelo ...
Foto: Julia Fuchs
Unter tosendem Applaus betreten die drei queeren Care Bears von Queereeoké aus Hamburg im grünen, pinken und lila Plüschkostüm und mit nackten Ärschen die Bühne. Sie führen an diesem verregneten Juliabend durch die Show. „Tanzen, Gespräche, Musik, am Klo anstehen, voll abgehen, gemeinsam sein.“ So versprach es die Einladung zur „heißesten Party des Jahres“, zur traditionellen Saisonabschlusssause der Fearleaders Vienna. Als Begleitung zum Auftritt der 16 Männer in knappen türkisen Hotpants wummern Bonnie Tyler und Sia im Medley aus der digitalen Konserve in der knallvollen Halle des WUK. Dazu tanzt die Truppe synchron in hautengen orangefarbenen Trikots und wedelt dabei mit Pompons, angetrieben von enthusiastischem Beifall. Das betont diverse Publikum ist begeistert von den Männern, die mit Verve und Ironie in einer ebenso belächelten wie klischeebeladenen Frauendomäne reüssieren.
2012 hatte alles mit einer schrägen Idee begonnen: eine reine Cis-Männer-Cheerleader-Truppe, die ein Frauenteam beim Roller Derby anfeuern sollte. Es lief so gut, dass der Sidekick zum Hauptact geworden ist. Die becheerten „Vienna Roller Derby“ – aktuell Nummer 35 der Europaliga – sind eine Community-Größe, die Fearleaders hingegen schon weit über die Roller-Derby-Fangemeinde hinaus international bekannt. So wurde der Hype um sie Teil jenes Problems, das die Männer mit dem Projekt „Fearleaders“ aufzeigen wollen: Geschlechterstereotype, Machtgefälle und systematischen Sexismus. „Bestes Beispiel“, erzählt Fearleader Andreas „Pandy“ Fleck, 37: Im Vorjahr habe ein Lokalmedium über das angeblich zehnjährige Bestehen der schillernden Mannschaft berichtet – dabei waren es die „Vienna Roller Derby“-Spieler*innen, die ihr Jubiläum feierten.
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs
Die Fearleaders waren nicht darauf gefasst, auf Umwegen zu Profiteuren jener patriarchalen Mechanismen zu werden, gegen die sie angetreten waren. „Anders als unsere Kolleg*innen vom Roller Derby mussten wir nie beweisen, ob wir wirklich cheerleaden können“, sagt Fleck. „Wir galten von Anfang an als mutiges, lustiges und kreatives Projekt. Es wurde nie hinterfragt, im Unterschied zu den Sportler*innen, die wir anfeuern, an deren Image immer wieder gekratzt wird.“
Doch zurück an den Start, ins Jahr 2011: Die patriarchale Weltordnung gibt den Takt präzise wie ein Metronom vor, das Binnen-I gilt als Spinnerei politisch Überkorrekter, Identitätspolitik- und Transgenderdebatten werden in wissenschaftlichen Elfenbeintürmen geführt. Derweil verfolgt die breite Masse gespannt, wie in der ersten Staffel von „Game of Thrones“ Zwangsheirat und Vergewaltigung in romantische Liebe münden. In Italien feiert Ministerpräsident Silvio Berlusconi, also die legitimierte Macht im Staat, Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Frauen zum Gaudium eines mediengeilen Publikums. #MeToo ist Lichtjahre entfernt.
„Army of Softness“ lautete der Titel des Fearelli-Kalenders 2022, der mit Stereotypen über maskuline Weichheit und Verletzlichkeit spielt. Foto: Sarah Tasha Hauber
In Wien formiert sich damals mit Vienna Roller Derby das erste Roller-Derby-Team Österreichs. Der harte Vollkontaktsport auf Rollschuhen stammt aus den USA der 1930er-Jahre. In den 1970er-Jahren verschwand der Sport von der Bildfläche. Um die Jahrtausendwende kehrte er mit den Riot Grrrls als subkulturell-feministische Bewegung zurück und schwappte mit ein paar Jahren Verspätung nach Europa. Am letzten Roller Derby World Cup 2018 in Manchester nahmen Teams aus 38 Ländern teil.
Während in Wien 2011 also die ersten Frauen Protektoren und Helme anlegten, überlegten ihre Freunde, wie man sie unterstützen könnte. Im Jahr darauf sei dann eben die Idee mit der Cheerleader-Truppe aus Männern entstanden, erzählt ein Gründer der Fearleaders, Andreas „Candy“ Mayer, 42: „Die ersten Outfits habe ich im Internet zusammengekauft. Die Mission war: 80er-Aerobic-Style in den Farben der Vienna Roller Derby – und Hauptsache, knapp.“ Die winzigen Höschen hätten einige der Cheerleader erst einmal ordentlich in fear versetzt. „Wenn man das Zeug aber anhat, schafft die Maskerade eine Bühnenpersona. Da legt sich ein Schalter um“, meint Romed „Romo erotique“ Felderer, 36, der 2017 zu den Fearleaders stieß.
Auch die aufwendigen Choreografien werden immer wieder analysiert und Songs ausgemustert, deren Texte als diskriminierend empfunden werden können. Foto: Franziska Liehl
Was als subversive Persiflage auf etwas begonnen hatte, wofür Frauen in die Dummchen-Lade gesteckt werden, wurde zum gefeierten Act. Die Männer erhielten Einladungen zu Kunstveranstaltungen, Bachelorpartys, Hochzeiten und Firmenfeiern. Seit 2014 erscheint ihr Fearelli-Kalender und sorgt für noch mehr G’riss: Anfangs war er eine ironisierte Version des Pin-up-Kalenders des italienischen Reifenherstellers Pirelli, der seit Jahrzehnten Bilder schöner Frauen für den Louvre des kleinen Mannes liefert.
Mittlerweile ist der Fearelli-Kalender ein Fotowerk mit Message: „Wir wollen uns nicht mehr nur über eingefahrene Männerrollenbilder lustig machen, sondern versuchen, Männlichkeit neu zu definieren und Alternativen zu entwickeln“, sagt Andreas Fleck. „Der Begriff Männlichkeit ist ja eine riesige Baustelle. Die dazugehörigen Rollenbilder sind gerade stark im Umbruch. Auch wir sind auf der Suche nach neuen Modellen.“ Work in progress eben.
„Softie“ gilt vielen Männern als Synonym für Unmännlichkeit. Die Fearleaders kontern mit radikaler Softness. Foto: Zoe Opratko
Nach zwei Jahren seuchenbedingter Pause gibt nun endlich wieder Körperarbeit für die Fearleaders: Bei den internationalen Spielen des „Vienna Roller Derby“-Teams schwingen sie wieder ihre Pompons gegen das Patriarchat.
Furchtlose
Öffentlich in knappen Outfits herumzuhampeln, holt Männer weit aus ihrer Komfortzone. Das konsequente Hinterfragen ihrer Privilegien noch viel mehr. Für jene 16 Männer, die sich als harter Kern der Fearleaders Vienna beidem regelmäßig stellen, gehört der emanzipatorische Akt, eingefahrene Rollenbilder in Frage zu stellen, auch zur persönlichen Psychohygiene. Spaß macht es ihnen obendrein
Die 4 besten Tipps für queeren Sport in Wien finden Sie hier.