Des Herbivoren Schlaraffenland

Lachs aus Karotten, Käse aus Cashewnüssen, Faux Gras aus Hefe: Die Verkaufsschlager von Manuela Haromys veganem Feinkostladen „Pepper & Ginny“ imitieren tierische Klassiker. Alles bloß Maskerade?

Birgit Wittstock
19.12.2022

Foto: Privat

Am Anfang war die Auster. Diese schlitzige Delikatesse brachte Manuela Haromy, Werbeagenturbetreiberin und Hobby-Foodie, direkt aus einer Innenstadtbar in die Notaufnahme. Salmonellenvergiftung. Austern, so ließ man Haromy im Spital wissen, seien ein kulinarisches Roulettespiel. Die Freundin, mit der sie sich die Austernplatte geteilt hatte, aß weiter. Haromy hingegen verlor einige Kilos. „Ich war froh, als ich endlich wieder Erdäpfelpüree bei mir behalten konnte.“ Ihr war der Appetit auf alles Tierische nachhaltig vergangen.

Gute fünf Jahre später hat die 37-Jährige aus dem molluskischen Anschlag auf Leib und Leben ein schnurrendes Geschäft gemacht: den Feinkostladen Pepper & Ginny auf rund fünfzig Quadratmetern in einem der ältesten Winkel der Wiener Innenstadt, in der Ballgasse. Hier gibt es ausschließlich vegane Produkte, einige davon selbst gemacht. Etwa den Carrot Lox, einen veganen Lachsersatz aus fein gehobelten, mit Liquid Smoke und Nori-Algen aromatisierten Karotten. In der kleinen Kühltheke stapeln sich Käsespezialitäten aus Cashewnüssen oder Fake-Gänseleberpastete aus Hefe. Die Regale sind voll mit Rohschokoladen, gelatinefreien Marshmellows, Knabberzeug ohne Molke, eierfreien Teigwaren, allerlei Chutneys und Saucen, veganen Weinen und Biersorten. Ein Schlaraffenland für Herbivoren.

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs

Die Produkte sollten anders als in veganen Supermarktlaufmetern ohne eine lange Latte an Es, Palmöl und künstliche Zusätze auskommen. Deshalb googelte Haromy nächtelang und tourte dann quer durch Europa. Sie besuchte Messen oder stand bei kleinen Herstellern auf der Matte. „Im veganen Bereich kommt das meiste ja aus kleinen Manufakturen. Sie freuen sich dort, wenn man vorbeikommt und Interesse zeigt.“ 

Sie kostete sich durch, bis sie Waren fand, die ihrer persönlichen Qualitätsvorstellung entsprachen: dem Geschmack ihrer Kindheit. Haromy ist nämlich ein schon von klein auf durch Spezialitäten gehookter Gourmet. „Ich war früher mit meinen Großeltern oft beim Delikatessenhändler Böhle in der Wollzeile. Dort durfte ich mir immer etwas aussuchen.“ Sie überspielt einen pawlowschen Schluckreflex, indem sie ihre langen Haare hochklammert. 

„Als ich nach dem Austern-Fiasko von überwiegend vegetarisch auf strikt vegan umgestiegen bin, stellte ich fest: Da gibt es nichts Gutes! Mir fehlten die Käseplatten und Weine so sehr, all das köstliche Barfood … Also dachte ich mir, da muss was her!“ Eben ihr eigener Laden.

Die „Pepper & Ginny“-Kühlvitrine ist ein veganer feuchter Traum: Wohl nirgendwo sonst in der Stadt ist die Auswahl an köstlichen Käsealternativen reichhaltiger. Foto: Birgit Wittstock

Seit Oktober 2019 serviert sie vor ihrer Tür auf ein paar Stehpulten und im Schanigarten auf dem schmalen kopfsteingepflasterten Gässchen Kleinigkeiten und Brunch. Sie stellt eigene Produkte her und richtet Caterings an. Mittlerweile ist Pepper & Ginny zu einer Art Kompetenzzentrum in Sachen veganer Delikatessen herangewachsen: Köche kommen zu Haromy, um zu gustieren, Stammkunden decken sich hier ein, Eltern lassen sich beraten, wie sie ihre veganen Kinder bekochen können. „Man merkt, dass die Menschen offener werden. Sie wollen ihren Fleischkonsum reduzieren.“

Vor allem die Netflix-Doku „Seaspiracy“ aus dem Vorjahr, die Auswirkungen des industriellen Fischfangs auf das Ökosystem der Meere zeigt, habe bei vielen eingeschlagen. Tägliche Diskussionen gebe es trotzdem. „Es ist schräg, dass sich viele Fleischesser*innen von veganen Produkten, die tierische Klassiker imitieren, persönlich angegriffen fühlen“, sagt Haromy. „Warum müssen die Produkte so aussehen oder heißen, werde ich oft gefragt.“ Ihre Antwort: „Warum nicht?“ Es gebe eine Reihe von Gründen, vegan zu leben. Meist sind ethische Motive entscheidend, nicht die Frage des Geschmacks. Vielen Veganer*innen geht es wie Manuela Haromy: Sie vermissen gewohnte Lieblingsspeisen und substituieren sie durch veganen Ersatz.

Häufig kommt es zu wirren Unterhaltungen mit Kund*innen. „Fast alle sagen, sie würden ohnehin nur beim Biobauern des Vertrauens kaufen. Und viele haben das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.“ Unlängst habe ihr eine Frau erklärt, sie können ein Tier nicht essen, dessen Namen sie kenne. „Sonst bin ich nicht schmähstad“, lacht Haromy. „Aber da war ich echt baff.“

Auf der Suche nach passenden Produkten für ihren Laden klapperte Haromy diverse vegane Manufakturen in halb Europa ab. Foto: Birgit Wittstock

Beef kommt im veganen Feinkostladen von Manuela Haromy nicht in die Tüte. Sie ist keine Missionarin, aber Beraterin mit Begeisterung. Camembert oder doch lieber Trüffelpecorino? Die Karotten für den Räucherlox mit dem Gemüseschäler oder der Maschine hobeln? Besser Rauchsalz oder Liquid Smoke in die Marinade? 24 oder 48 Stunden ziehen lassen? Fragen über Fragen – Manuela Haromy hat auf jede eine Antwort. Und sollten jemals vegane Austern auf den Markt kommen, ist sie bestimmt die Erste, die davon weiß.


Connaisseuse

Was für andere Kinder Jelly Shops waren, in denen sie bunte, klebrige Fruchtgummis in Plastiksackerl schaufelten, war für Manuela Haromy der Traditionsdelikatessenladen Böhle, den sie regelmäßig mit ihren Großeltern besuchte. Später liebte sie Barfood  – bis eine faule Auster sie ins Krankenhaus schickte. Heute betreibt die 37-Jährige ihren eigenen Feinkostladen. Und der ist ausschließlich vegan, was immer wieder für Erklärungsbedarf sorgt

pepperandginny.at

Die 4 besten Tipps für tierfreundlichen Genuss in Wien finden Sie hier.

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