Gib Gummi außerhalb deiner Bubble!

Keine Moderichtung spielt so sehr mit Maskerade, wie Fetischmode. Zu Besuch bei Sandra Puppitz‘ Latexfashionlabel Glanzglück

Birgit Wittstock
27.12.2022

Der Klassiker aus der BDSM-Abteilung: das Harness. Das Bondage-Gurtgeschirr feiert aktuell auch im Mainstream große Auftritte (Foto: Privat)

Zuerst schmatzt es, dann quietscht es, dann macht es laut „Plopp“. Auf der Haut bleiben Rinnsale aus Schweiß und ein feiner Ölfilm zurück, der intensive Geruch von Gummi und das Gefühl, der Körper würde sich nach der Kompression besonders viel Raum nehmen.

„Am einfachsten ist es, wenn man sich unter der Dusche auszieht“, erklärt Sandra Puppitz, auch bekannt als Paula Glanzglück. Lächelnd beobachtet sie den ungeschickten Versuch, die Arme aus den engen Ärmeln zu ziehen, und greift helfend ein, indem sie kräftig anzieht. „Auf jeden Fall so, wie es einem die Mama immer verboten hat.“ 

Soll heißen, man stülpt die enge Latexhaut auf deren Kehrseite, wenn man sich aus ihr herausschält. „Latexkleidung ist wie Shapewear“, sagt Puppitz, die an diesem Tag selbst im lockeren schwarzen Baumwolloutfit steckt. Jedenfalls braucht das Anziehen enger Gummihäute Übung. Nicht selten würden ihr Kund*innen Sachen zum Reparieren bringen, die sie in der Panik, nicht mehr herauszukommen, aufgerissen hätten, erzählt sie. „Dabei mache ich keine Fullbody Suits oder Bettsachen, in denen man mit High Heels hängen bleiben kann.“

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs

Was die 45-jährige gebürtige Kärntnerin entwirft und im Alleingang herstellt, ist alltagstauglich, aufgespannt zwischen legerer Streetwear und sophisticated Elegance: Hoodies, College-Jacken, Bundfaltenhosen, Leggings, Bodys, Blusen mit Puffärmeln, Pencilskirts, Baggy- und Hotpants, Mäntel und Blazer. Alles aus schwarzem oder farbigem Latex. Dem glänzenden, dehnbaren Stoff, für dessen Herstellung Kautschukbäume zur Ader gelassen werden und aus dem die Fetischträume sind.

In der Homebase ihres Labels „Glanzglück“, eines etwa fünfzig Quadratmeter großen Ladens in einer eher stillen Ecke von Margareten, herrscht relaxte Wohnzimmeratmosphäre. Die Fensterscheiben sind verklebt, lediglich die Aufschrift „G’schäft zum Spüln und Vahülln“ gibt einen sachdienlichen Hinweis auf das Sortiment. An der Tür ein Sticker: „Zutritt ab 18“. Der klebe da wegen der nahe gelegenen Piaristenschule, lässt Puppitz wissen, während sie ihren Zigarettenstummel in einem lippenförmigen Aschenbecher auf dem Tischchen vor ihrem Fachgeschäft versenkt. 

Die Designerin teilt sich das Geschäft mit einem Freund, der hier unter dem Label DARKtoyzzz auf einigen Regalmetern allerlei Sexspielzeuge anbietet. „Eine gute Symbiose“, meint Puppitz grinsend. „Die meisten, die bei mir Gummi kaufen, kaufen auch ein Spielzeug.“

Sandra Puppitz ist so etwas wie die Vivienne Westwood der Latexmode. Foto: Privat

Zweimal in der Woche steht sie nachmittags hier, die restliche Zeit arbeitet sie entweder in ihrem Atelier in Niederösterreich oder tourt durch Österreich, Deutschland und Tschechien. Auf einschlägigen Messen und Fetischpartys präsentiert sie ihre handgemachten Modelle. Keine Anlaufstelle für „echte Fetis“, kaufen bei ihr vorwiegend Styler ein. „Wer richtige Latex-Maskerade sucht, etwa Masken zur Feminisierung oder Ganzkörperanzüge, kommt nicht zu mir. Meine Kund*innen sind vor allem jene, die exklusives, ausgefallenes Zeug wollen. Sie haben oft Kästen voller Designerfetzen und suchen nach etwas, das in ihrer Bubble keiner hat.“ Puppitz’ Modelle sind unverwechselbar: Sie ist eine Art Vivienne Westwood der Latexmode. Ihr Laden ist Treffpunkt, zur Anprobe schenkt sie gern auch mehrere Gläser Sekt aus, um dann hinter einem Paravent ihre nackten Kund*innen in eine zweite Haut aus Latex zu schupfen und zu schütteln. „Bei uns darf man halt nicht schüchtern sein.“

Sandra Puppitz selbst ist der Gegenentwurf zur Schüchternheit: reichlich Hautkunst, Totenkopfringe galore, kurze roséfarbene Haare, große Brille, Modell Galeristin, und von einer Aura fröhlicher Aufmüpfigkeit umhüllt. Nichts, was man sich unter einer gelernten Bauingenieurin vorstellt. „Mit meinen bunten Dreadlocks und in einer argen Gothic-Montur war ich zu schrill für die Bau-Partie“, erinnert sie sich an eine Männerwelt Ende der 1990er-Jahre, in der für Frauen lediglich die Rolle als Sekretärin vorgesehen war. „Irgendwann hieß es: ‚Frau Puppitz, jetzt reicht’s!‘“

Über eine Freundin landete sie bei Simon O, einem der ersten Hersteller von Latexkleidung im Land. Sechs Jahre lang schnitt sie bei ihm Latexbahnen zu und klebte sie mit Vulkanisierlösung zu Kleidungsstücken zusammen. „Es war wie in jedem Handwerk: learning by doing. Im Prinzip ist es nicht viel anders als Schneiderei.“

Typisch für Glanzglück-Stücke, untypisch für Latexmode: Nicht alles liegt hauteng an. Foto: Birgit Wittstock

2015 gründete Puppitz ihr eigenes Label „Glanzglück“. „Ich habe einfach gemacht, was mir gefällt und was ich selbst gern trage.“ Mittlerweile komme sie mit der Produktion ihrer Latex-Streetwear kaum noch nach. Rund eineinhalb Stunden sitzt sie an einem simplen Bleistiftrock, an einer Herrenhose einen halben Tag. In komplizierten Maßanfertigungen können mitunter einige Arbeitswochen stecken. „Es kommt immer auch ein bisschen auf die Beschaffenheit des Latex an“, erklärt sie. Kautschuk sei wie alle Naturmaterialien unberechenbar. Sie selbst ist keine Latexfetischistin. „Ich lebe zwar vom Gummi, aber ich kann auch ohne Gummi leben.“

Plopp. Endlich hält Puppitz den engen Latexkapuzenbolero in Händen. Schwarz glänzend und zitternd. Sieht aus, als hätte sie ihn einem Pinguin vom Leib gerissen. 

Die gelernte Bauingenieurin Sandra Puppitz war irgendwann zu schrill für ihren Beruf. Also packte sie beim Gummi zu. Foto: Privat


Gummiqueen

Sandra Puppitz, 45, ist so etwas wie die Vivienne Westwood der Latexmode: Ihre selbst designten und handgefertigten Kautschukgewänder und -accessoires, die sie unter ihrem Label „Glanzglück“ vertreibt, sind mehr kinky Streetwear als konventionelle Fetischkleidung

Glanzglück
5., Ziegelofengasse 7
www.facebook.com/glanzglueck
www.etsy.com/at/shop/Glanzglueck

Sandra Puppitz' Tipps für schrilles Wien finden Sie hier.

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