Ein Leben als Hund
„Müssen wir in die Hundezone?“ Angelo und Max blicken einander kurz an: Fangfrage? Nein, Hundezone müsse nicht sein, sagt Angelo ...
Foto: Patrick, Privat
Sie ist gewohnt, Masken zu tragen. Es gehört zu ihrer Routine. Bei unserem Gespräch setzt sie diese auf: eloquente, reflektierte und smarte Business-Frau. Bei den ausschweifenden Abendessen, die sie für ihre Freund*innen gibt, spielt sie die exaltierte Gastgeberin. An der Seite ihres Mannes, eines weltberühmten Opernsängers, mimt sie die strahlende Begleiterin. Und am Pornoset? Da ist sie einfühlsam. Adrineh Simonian wechselt ihre Masken scheinbar mühelos.
Das hat sie gelernt, könnte man sagen. 1973 als Kind armenischer Eltern in Teheran geboren, wollte ihr Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann, für seine Kinder eine bessere Zukunft. So zog die Familie 1977 nach Wien. Als Vierjährige hatte Adrineh schon routinierten Umgang mit Masken: Nach einem sexuellen Missbrauch im Kindergarten legte sie sich eine undurchdringliche Schale zu. Im neuen Wohnort Wien wurde diese dann noch härter. Wegen ihrer dunklen Augen und dem dichten, schwarzen Haar von anderen Kindern gehänselt, half ihr eine Art eiserne Maske, die sie auch später noch immer wieder aufsetzen würde.
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 2/22 zum Thema „Maskerade“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at. Foto: Julia Fuchs
In Österreich ist nur eine Handvoll Menschen auf der Opernbühne berühmt geworden. Adrineh Simonian nicht. Nach einem Klavierstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst machte die heute 49-Jährige eine Gesangsausbildung am Konservatorium der Stadt Wien. Die Zeit an der Hochschule sei hart für sie gewesen, erzählt sie. Als 16-Jährige habe sie sich psychisch am Rand des Gesunden bewegt, total in sich zurückgezogen und ein weitgehend isoliertes Leben geführt.
Ein Jahr lang habe sie mit niemandem gesprochen, schließlich fing sie wieder an, Menschen zu grüßen und Small Talk zu führen. Ihre eiserne Maske nahm sie nun immer öfter ab. Als Mezzosopranistin debütierte sie 2000 an der Kammeroper, ab 2001 war sie festes Ensemblemitglied an der Volksoper. Sie sang unter anderem die Titelrolle in „Carmen“. In ihre Rollen schlüpfte sie „mit Haut und Haar“, erarbeitete in mühevoller Vorbereitung eine Körpersprache und Gedankenwelt für ihre Figuren – auch bei zahlreichen internationalen Gastengagements.
Das Spiel mit der Maskerade hat Adrineh Simonian perfektioniert. Ihr Rollenrepertoire ist umfangreich. Foto: Patrick, Privat
Doch seit 2014 habe sie nicht mehr gesungen, erzählt Adrineh bei koffeinfreiem Cappuccino im Delias in der Wiener Innenstadt. Sie trägt eine schwarze Schildkappe und dunkle Schlabberklamotten. „Keinen einzigen Ton, nicht einmal zu Hause.“ Nach einem Gespräch in der Opernkantine, in dem das Wort „Porno“ viel zu laut gefallen war und alle Anwesenden in kurzer Verlegenheit erstarren ließ, begann sie sich intensiv mit Pornografie zu beschäftigen. Zwei Dinge fielen ihr dabei auf: Zum einen wird der Sexfilm immer noch tabuisiert, obwohl die Kulturgeschichte der Pornografie bis in die Steinzeit zurückreicht – bereits in Höhlenmalereien 30.000 Jahre vor Christus wurden vergrößerte Genitalien dargestellt. Zweitens gab es keine Pornografie, die ihr gefiel. Die Lust der Frau spielt in herkömmlichen Sexfilmen keine Rolle. Sie sah darin eine Marktlücke, die sie zuerst frustrierte und dann zu eigenem Handeln brachte: Mit 42 streifte Simonian die Rolle als Opernsängerin ab und kündigte ihr Engagement, um sich als feministische Pornoregisseurin und -produzentin selbstständig zu machen. Ganz schön krass. „Gar nicht so“, sagt Simonian. Sie hatte sich emanzipiert. Die Rolle der Angepassten war zu Ende. Sie tat, was sie wollte, ohne auf gesellschaftliche Konventionen oder die Erwartungen ihrer Familie Rücksicht zu nehmen.
Sex und Singen sind sehr körperbetont. Um richtig gut zu sein, ist es da wie dort unerlässlich, seinen Körper sehr gut zu kennen. „Ich persönlich empfinde den Sprung von der Opernbühne auf ein Pornoset überhaupt nicht groß. Für mich war es als Sängerin immer wichtig, die Emotionen meiner Figur so authentisch wie möglich darzustellen. Um genau diese Authentizität geht es mir jetzt auch.“ Für ihre Opernrollen hatte sie jeweils ein Psychogramm erstellt, und so gehe sie nun auch in ihren Filmen vor. „Mich interessieren mehr die Psychologie der Sexualität und der authentische Selbstausdruck beim Sex. Die Authentizität ist mir irre wichtig. Die Körperlichkeit und die Körpersprache.“
Alltag am Set: Die Maske muss sitzen. Foto: Leonie, Privat
Was hat sich geändert, seit sie ihr Geld mit Pornografie verdient? „Es ist eine Schizophrenie der Gesellschaft“, wie sie meint. „Adrineh, die Opernsängerin“ galt als erhaben, „Adrineh, der Pornoregisseurin“ hafte plötzlich etwas Schmuddeliges an. „Das erstaunt mich, schließlich bin ich derselbe Mensch!“
Adrineh Simonian betreibt die Pornoplattform Arthouse Vienna, die für einen neuen, feministischen, ästhetischen Zugang zur Pornografie steht: arthousevienna.com