Wo die Kunst kotzt
„Moritz, noch einen Ingwerschnaps, bitte!“ Der Kellner schaut zum Tisch an der Tür, wo Lydia Haider sitzt, und signalisiert, dass er ...
Foto: Christoph Sommerer
Bill „I didn’t inhale“ Clinton hätte ihn durchziehen können. Ohne dass ihm dabei etwas aufgefallen wäre: nicht der merkwürdige Geruch, nicht der irritierend liebliche Geschmack. Und schon gar nicht die homöopathische Wirkung. Sie ist der Grund, warum der weiche braune Klumpen oder vielmehr jene Substanz, die darauf gesprüht wurde, einen regelrechten Hype ausgelöst hat: Hexahydrocannabinol, kurz HHC, war gerade dabei, CBD als den Mind Enhancer of Choice zu entthronen. In Wiener CBD-Shops ging HHC als der heißeste Scheiß in Form von Blüten, Hasch, Öl und Vapes über den Ladentisch, einschlägige Automaten waren vielerorts binnen kürzester Zeit leergekauft. Grund war ein verführerisches Versprechen, mit dem das halbsynthetische Cannabinoid beworben wurde: Legal High.
Damit ist jetzt Schluss. Nachdem das Gesundheitsministerium HHC eingangs weder als Suchtgift noch als psychotropen Stoff eingestuft hatte, folgte es Ende März anderen europäischen Ländern, wie Finnland, Ungarn und Belgien. Seither fällt HHC unter die Verordnung über Neue Psychoaktive Substanzen (NPS). Die Begründung: Es fehlen bislang ausreichende Erkenntnisse über etwaige gesundheitliche Folgen. Also baba, Legal High!
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 1/23 zum Thema „Jetzt!“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at (Foto: Șerban Florentin Roman)
Zwar bleibt der Konsum von HHC weiterhin straffrei, Herstellung und Handel sind nun aber verboten. Was bedeutet das für die Wiener Hanf-Branche?
Wer das wissen will, fragt Mario Russ. Auf der Heiligenstädter Straße, am äußersten Rand Döblings, wo die Stadt schon in beschauliche Dörfer ausfranst, betreibt Russ mit drei Kompagnons seit 2019 The Growcery, einen Grow- und Headshop samt Großhandel, außerdem auch Anlaufstelle für Wissenshungrige sowie CBD-Dispencery. Kurz gesagt, in Russ’ geräumigem Laden findet man so ziemlich alles vom Hanf, was sich legal verkaufen lässt, Expertenrat und eigene Merchandise-Klamotten inklusive.
Seine Kund:innen kommen von fast überall angefahren. Zwar gaben sie sich, seit HHC im Vorjahr zum großen Ding wurde, nicht die Türklinke in die Hand, doch die Substanz hatte einen Hype ausgelöst. Obwohl das Verbot von HHC für die Branche nicht aus heiterem Himmel kam, hat sie die plötzliche Umsetzung kalt erwischt. „Etwas ohne eine Übergangsphase für die Betriebe zu verbieten, ist eines Landes wie Österreich unwürdig, da die Geschäfte und Produzent:innen nun auf ihrer Ware sitzen bleiben werden“, sagt Russ, zielgruppenkonform in Camouflage-Cargos, weißem Streetwear-Sweater mit Cannabis-Message und Baseball-Cap. „Aus unserer Sicht ist das ein Rückschritt und geht gegen den globalen Trend, Cannabis und alle damit verbundenen Cannabinoide zu legalisieren.“ Die Begründung für das Verbot von HHC aufgrund möglicher Gesundheitsschädlichkeit könne er nicht nachvollziehen, da es dafür weder in den USA noch in Europa Belege gebe.
Mind-Enhancer auf Knopfdruck: Laco befüllt die Automaten der Growcery mit allem, was das abenteuerlustige Hirn so braucht. Aktuell betreibt The Growcery fünf Automaten in Wien, im Laufe des Jahres sollen es zwanzig werden (Foto: Christoph Sommerer)
Eigentlich ist HHC, einer von Hunderten Wirkstoffen der Hanfpflanze, ein alter Hut: Die Substanz wurde bereits in den 1940er-Jahren extrahiert. Neu war die Produktpalette. Sie schien für viele Konsument:innen die Marktlücke zwischen CBD und THC, dem berauschenden und illegalen Wirkstoff des Hanfs, zu schließen. „Die Leute hatten sich gefreut, eine legale Alternative zu dem verbotenen THC zu haben, nun wurde sie ihnen wieder genommen, und sie werden erneut in die Kriminalität getrieben. Viele unserer Kunden sind enttäuscht über die Entscheidung der Politik.“
Auf den ersten Blick möchte man meinen, der 35-Jährige sei selbst sein bester Kunde. Russ erweist sich jedoch als personifizierte Antithese von Kifferklischees und verblasener Legalize-it-Romantik. In seiner Jugend hat er auch das eine oder andere Mal inhaliert. Jetzt ist er jedoch mehr Geschäftsmann als idealistischer Pothead. Nach einem Studium von Betriebswirtschaft, internationalem Marketing und Betriebsrecht in England war er in der Immobilienbranche tätig, ehe er ins Hanf-Business einstieg. Seine Vision: eine starke internationale Marke. Er habe in den vergangenen Jahren viel Zeit in den Aufbau eines breiten Vertriebs- und Automatennetzwerks gesteckt. Wichtig ist ihm eine Wertschöpfungskette, mit seinen Cos möchte er einen Cannabis-Lifestyle etablieren samt eigener Clothingline.
Ein bisschen Idealist steckt aber auch im Geschäftmann: „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, der österreichischen Gesellschaft das Thema Cannabis wieder näherzubringen. Auch weil ich gemerkt habe, dass noch sehr viele Vorurteile damit verbunden sind. Wir wollen das alte Drogenimage ablegen und das Thema einer breiteren Bevölkerung zugänglich machen.“
In den 1970er-Jahren haben die beiden Potheads Cheech and Chong mit ihren Stoner-Movies ein eigenes Filmgenre geschaffen. Die Bong war ihr Lieblingsrequisit (Foto: Christoph Sommerer)
Der HHC-Hype lief für ihn dabei aber ohnehin unter der Kategorie „Peanuts“. Dem heimischen Markt viele Schritte voraus, vernetzt er sich mit Produzent:innen in Ländern, in denen Kiffen legal und der Handel mit Cannabis-Produkten kein riskantes Business kleiner Start-ups ist, sondern ein Milliardengeschäft börsennotierter Firmen.
Kein Wunder also, dass Russ bereits dabei ist, das nächste Ass aus dem Ärmel zu schüttel: H4CBD. Als „positiven Lichtblick am Ende des Tunnels“ bezeichnet er das Produkt, auch „Super CBD“ genannt. „Unserer Meinung nach ist H4CBD die bessere Alternative zu dem jetzt verbotenen HHC und hat zudem ein breiteres Spektrum an positiven Wirkungen.“ Er und sein Team arbeiten jetzt mit Hochdruck an der neuen Produktlinie. Mario Russ sieht darin berauschende Wachstumsperspektiven.
Grasflüsterer
Mario Russ, 35, und seine Kompagnons sind dabei, mit ihrem Headshop The Growcery von Döbling aus eine große Nummer im internationalen Cannabis-business zu werden. In ihrem Laden bieten sie alles rund um den Hanf, was Spaß macht und legal ist. Bis gerade eben hieß der heißeste Scheiß, der über ihr Verkaufspult ging, HHC. Dann verbot das Gesundheitsministerium Ende März Herstellung und Verkauf des bis dahin Legal Highs