Ein Keller voller Leichen

Jessyca R. Hauser, als Gesicht von „Hyäne Fischer“ bekannt, über schlaflose Nächte, Bühnenangst und die ewige Frage: Was jetzt?

Verena Randolf
10.05.2023

Hauser beim privaten Chill-out mit Lavendelbad, Gesichtsmaske, Astrologie-Podcast und emotional support cat (Foto: Jessyca R. Hauser)

Sie zerpflückt Vergangenes und zerdenkt Zukünftiges. Nur, wie soll man dann noch schlafen können? So liegt Jessyca R. Hauser im Bett und schaut so lange stumpfe Serien, die sie schon kennt, bis ihr die Augen zufallen. Die Monologe der „Gilmore Girls“ nehmen dem Gedankenkarussell in ihrem Kopf den Schwung. Hauser, 1990 in Wien geboren und eine der vielversprechendsten Performancekünstlerinnen im deutschsprachigen Raum, grübelt – nicht gern, aber oft. Schuld daran seien die Sterne („Mond in der Jungfrau im zwölften Haus“), sagt die 32-Jährige.

Seit sie 2017 ihr Diplom an der Akademie der bildenden Künste gemacht hat, arbeitet sie „an der Schnittstelle von Performance, Video, Sound und Installation“. Sie führt Regie bei Musikvideos und stand 2021 als Live-Musikerin bei der Inszenierung von Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ am Berliner Ensemble auf der Bühne. 2018 blickte sie als „Hyäne Fischer“ im Musikvideo zur Blut- und Boden-Euro-Trash-Nummer „Im Rausch der Zeit“, die die Wiener Burschenschaft Hysteria zum Song Contest schicken wollte, tief in die Kamera. Gerade ist sie auf der Berliner Volksbühne in „Hyäne Fischer – das totale Musical“ zu sehen. Ein Kritiker schrieb darüber, es sei ein „Beweis dafür, dass freilaufende Präpotenz nicht zwangsläufig zu gutem oder auch nur halbwegs erträglichem Theater führt“.

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 1/23 zum Thema „Jetzt!“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at (Foto: Șerban Florentin Roman)

Kleiner Rückschlag. Hatte ihr ein paar zusätzliche schlaflose Stunden beschert. Und statt einer fixen Saison an der Volksbühne stand die Frage im Kopf: „Was jetzt?“

„Nerv wracking“ sei das jedes Mal. „Ich übe mich zwar darin, Vertrauen zu behalten. Doch hatte ich durchaus schon Phasen, in denen mir die Energie ausgegangen ist und ich vorwiegend mit Existenzängsten beschäftigt war.“ Falls irgendwann nix Neues mehr kommen sollte, „suche ich mir einen Job. Das kann man ja auch machen.“ Musste aber nicht sein, denn es kam recht schnell was Neues: Auftritte mit der Choreografin Florentina Holzinger in Melbourne, das Britney X Festival in Köln und ein Film auf der Diagonale, bei dem sie die Hauptrolle spielt.

Jessyca Hauser arbeitet am Theater, im Film, mit Tanz und Musik. Sie habe sich nie für eine Sache entschieden, könne daher auch nicht den einen Weg gehen. Sie verbietet sich damit die Genugtuung: „Jetzt habe ich es geschafft! – Oida, never ever! Ich weiß nicht, ob ich der Typ bin, der sich so etwas jemals denkt.“

„Post show gore“ nach Florentina Holzingers radikaler Choreo „Tanz“ (Foto: Jessyca R. Hauser)

Der positive Effekt einer Bühne: „Ich bin so konzentriert in dem, was ich tue, dass ich total im Jetzt sein kann.“ Umgeben von einem Ensemble oder als Teil eines Kollektivs könne ihr das Chaos um sie herum und in ihr drin nichts anhaben. Vor allem, wenn sie ein Kostüm anlegen und in eine Rolle schlüpfen kann. „Den Gedanken, auf Knopfdruck zu funktionieren, finde ich aber unsexy. Ich kann mit meiner eigenen Fehlbarkeit auf der Bühne gut umgehen, mit der Vorstellung, dass man etwas fundamental verscheißt.“ Passiert nur selten und falls doch, liegt im Zufall Magie.

Das hätten sie ihr als Kind sagen sollen. Die Klavier- und Gesangsklassenabende, für die sich Jessyca als Zehnjährige allein auf die Bühne stellen sollte, wären erträglicher gewesen. „Der Druck und das Alleinsein – ich habe jedes Mal komplett versagt, auch wenn ich gut vorbereitet war.“ Bis Mitte zwanzig habe sie sich nur ans Klavier gesetzt, wenn sie depressiv war. Dann habe sie angefangen zu komponieren, und das Trauma sei von ihr abgefallen. „Komponieren ist etwas ganz anderes, als am Klavier Repertoirestücke nachzuspielen. Wenn es Zeit ist, ein Lied zu schreiben, legt sich ein Schalter in mir um. Das muss ich dann im richtigen Moment checken und mich hinsetzen, um es festzuhalten.“

Als Deadline für die Komposition gibt sie sich zwei bis drei Stunden. „Danach muss das Lied fertig sein.“ Und wenn es nicht gut ist? „Das macht nichts, ich bin total selbstkritisch und hab tausend angefangene Projekte, die ich nicht weiterführe, weil ich damit nicht zufrieden bin. Wenn mir was nicht gefällt“, lacht sie, „dann landet es im Keller bei meinen anderen Projektleichen.“


Zeitberauschte

(Foto: Jessyca R. Hauser)

Die meisten kennen sie – blass, blutrote Lippen, sorgfältig frisierte Locken unter braunem Filzhut und im NS-Gedächtnislodenkostüm – als Hyäne Fischer. Als Interpretin des satirischen Kitschpop-Songs „Im Rausch der Zeit“, mit dem die feministische Burschenschaft Hysteria sie 2018 zum Song Contest schicken wollte und scheiterte. Jetzt steht die Performerin Jessyca R. Hauser in derselben Rolle in „Hyäne Fischer. Das totale Musical“ auf der Berliner Volksbühne

www.instagram.com/youcouldruinmyday

Weitere Ausgaben:

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!