Aus – Scham
Holprig, der Einstieg. Die eine ist zu spät, die andere hat schon Bier intus. „Entschuldige, es tut mir so leid, das passiert mir sonst ...
Shandiz Ahi
Es sticht in der Nase, ein Geruch von Leim und flüssigem Zement. In der Werkstatt liegen Fragmente von Canvasstoffen, Hanfseilen und Beton herum. Soli Kiani arbeitet für eine Ausstellung im Klubhaus Kunst + Schnittlauch mit ihrer Galerie Sophia Vonier. Leinen, Beton und Wachskreide werden zu „plastischer Malerei“, wie sie es nennt. Sie tränkt den Stoff in Acryl und Leim und lässt ihn zu abstrakten Skulpturen aushärten. Oder konstruiert damit Stofftürme auf Betonsockeln. „Ich habe viel experimentiert, bis die richtigen Zutaten beisammen waren.“
Dabei wollte Soli Kiani immer nur malen. Seit sie denken kann. In den Sommerferien in ihrer iranischen Heimatstadt Shiraz an kühlen Nachmittagen in ihrem Zimmer. Sie galt als großes Talent, doch das war für ihre Eltern nicht von Belang. Sie verlangten „eine gute Bildung und ein ordentliches Studium. Mein Vater war sehr streng und konservativ, Kunst war für ihn kein ernst zu nehmender Beruf. Ich habe mich auch nicht getraut, es anzusprechen.“
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 1/23 zum Thema „Jetzt!“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at (Foto: Șerban Florentin Roman)
Also Matura. Danach, als 19-Jährige, Heirat mit einem austroiranischen Medizinstudenten samt Umzug nach Wien. Fern von den gesellschaftlichen Zwängen im Iran und dem elterlichen Patriarchat hoffte sie auf Freiheit. 2000 sollte der Beginn ihres selbstbestimmten Lebens werden. Dachte sie. Doch in der Ehe erlebte sie Gewalt und noch mehr Zwang. Nach acht Monaten hatte sie genug. Trennung. Ein erster Schritt zur Selbstermächtigung. Doch der weitere Weg dahin war steinig und einsam. Distanz zu ihrer Heimat und ihrer Familie war dazu nötig.
2007 stellte sie eine Mappe zusammen und bewarb sich an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Aufgenommen, studierte sie bei Christian Ludwig Attersee Malerei, Animationsfilm und Tapisserie bis zum Diplom 2012. Lange Zeit malte sie nur „schöne, bunte Bilder“, wollte nichts mit der dunklen Seite ihrer Herkunft zu tun haben. Schließlich war sie in einer Familie aufgewachsen, in deren unmittelbarem Umfeld es Hinrichtungen gab und viel politisiert wurde. „Ich steckte in einer Identitätskrise. 2015 habe ich meine Arbeit ruhen lassen und begonnen, mich mit der Geschichte meines Heimatlandes zu befassen. Als Nachrevolutionskind hatte ich genügend Erfahrungen mit der Sittenpolizei gemacht. Die Aufarbeitung all dessen hat mich sehr aufgewühlt. Dann kam ein erster künstlerischer Ausdruck davon: Zeichnungen von Tschadors, die ich aus dem Iran mitgenommen habe. Ich wollte die abstrakte Form des Stoffes ohne den Kontakt mit einem menschlichen Körper darunter festhalten.“
In ihrer ersten Soloausstellung „Ossian – Rebellion“ zeigt Soli Kiani widersprüchliche Realitäten im Iran: unterdrückte Frauen und bunte Mosaike (Foto: Eva Kelety)
2017 zeigte sie Werke auf der Kunstmesse Parallel Vienna. Daraus entstanden dann Skulpturen und Installationen aus Hanfseilen. Sie hängen von der Decke, Erinnerungen an die grausamen Hinrichtungen in ihrem Heimatland Iran. „Aufklärung und Sichtbarkeit“ nennt sie ihr künstlerisches Anliegen.
Aus sicherer Entfernung zur Unterdrückung im Iran und in ihrem eigenen Leben arbeitet sie an einem Nerv der Zeit, der viele Menschen, besonders Frauen, schmerzt. Er kommt im Claim „Woman.Life.Freedom“ zum Ausdruck – Parole der Rebellion im Iran seit Herbst 2022. Es ist die bislang mutigste und zugleich die tragischste feministische Bewegung im Land. Die Generation Z kennt dort Freiheit nur aus Social Media und aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Jetzt geht sie dafür auf die Barrikaden. Unterstützt von Frauen und Männern jedes Alters, aus allen sozialen Schichten und Ethnien.
Sie wedeln mit Woman-Life-Freedom-Fahnen und verbrennen Kopftücher. Ihr Einsatz für ihre Menschenrechte wird brutal bekämpft, sie riskieren, dafür inhaftiert, gefoltert, vergewaltigt und gehängt zu werden. Exiliraner:innen wie Soli Kiani werden vom Regime bespitzelt. Und wie die Geschichte von drei Exiliranern in Wien zeigt, auch umgebracht. Die Gefahr hat sie lang zögern lassen, dann stand ihr Entschluss fest, keine halben Sachen mehr zu machen. „Je schärfer, kritischer und direkter meine Arbeit wurde, desto besser erreichte sie die Menschen.“ Mittlerweile ist Soli Kiani in der Kunstwelt angekommen, erhielt Preise und war an Ausstellungen in Wien, u. a. bei der STRABAG Artlounge, bei Sotheby’s Artist Quarterly, im Bank Austria Kunstforum und bei der Vienna Art Week beteiligt.
Zensur und Unterdrückung sind zentrale Motive von Kianis Arbeiten (Foto: Soli Kiani)
Aufsehen erregte sie mit der temporären Installation „Tabiies/Trennung“ im Lendhafen Klagenfurt: separierte Eingänge für Männer und Frauen, mit Stoff oder Hanfseil-Vorhängen verschlossen – Geschlechtertrennung wie im Iran. „Mit den Hanfseilen wollte ich zeigen, was Rebellion in dieser Kultur bedeutet, und was einen dann erwartet.“
Stoff als trennendes Element ist ein zentrales Motiv der Künstlerin. „Es ist nicht nur Kleidung, sondern auch Schutzmantel wie Gefängnis meiner Identität.“ Ein Gefängnis, das sie in vielen ihrer Selbstporträts als Sinnbild der Zensur zeigt. „Zensur gibt es überall. Auch hier. In Social Media werden viele meiner Arbeiten mit nackter Haut sofort gelöscht.“ Das hält sie allerdings nicht davon ab, weiterzumachen. Auch nicht die traurige Gewissheit, „dass ich nach diesen Arbeiten meine Eltern im Iran nicht mehr besuchen kann …“ Sie kämpft mit den Tränen. „Mein Vater leidet an Demenz und ist schon alt – aber es ist so wichtig, gerade jetzt diese Rebellion im Iran zu unterstützen. Wir können nicht so tun, als gäbe es das alles nicht. Das größte Problem auch hierzulande ist, dass die Politik wirtschaftliche Interessen über die Menschenrechte stellt.“
Rahmensprengerin
Soli Kiani erkämpfte eine Position als selbstbestimmte Künstlerin in Wien (Foto: Shandiz Ahi)
Die Entscheidung für ihre künstlerische Freiheit hieß für Soli Kiani, 41, eine gegen ihre Heimat: In die kann sie nun nicht mehr einreisen. Umso mehr kämpft die Exiliranerin mit allen Mitteln für ein freies, selbst-bestimmtes Leben im Iran wie anderswo. Ihre Kunst ist Ausdruck des feministischen Freiheitskampfes
Studio Soli Kiani
www.solikiani.com