Aus – Scham

Gen Z feiert Elena Wolff, den Rising Star der Wiener Kabarettszene. Ihre* scharfen Beobachtungen treffen den Nerv jetzt

Birgit Wittstock
24.05.2023

Foto: Thomas Schubert

Holprig, der Einstieg. Die eine ist zu spät, die andere hat schon Bier intus. „Entschuldige, es tut mir so leid, das passiert mir sonst nie“, sagt die eine. „Nein, mir tut es leid!“, versichert die andere. Gefühlte fünfzig Entschuldigungen später: Die Kabarettistin*, Comedienne*, TikTok-Bühnenperformerin*, Regiestudentin*, Filme-macherin* und Schauspielerin* Elena Wolff nimmt auf der abgewetzten Bank im Café Jelinek Platz.

Der Kellner stellt zwei Flaschen Wieselburger auf den wackeligen Kaffeehaustisch. Beim Anstoßen folgen 25 weitere Entschuldigungen. Noch den restlichen Abend wird man mit der eigenen Peinlichkeit ringen. Elena Wolff hat in ihre* professionelle Rolle zurückgefunden und feuert druckreife Sätze. Die 29-Jährige* spricht wie auch auf der Bühne über Geschlechterrollen, über die „hyperstilisierte Weiblichkeit“, mit der sie* – non-binary/bevorzugte Pronomen they/them, sie* – männerdominierte Bereiche aufmischt und bloßstellt. Über Machtstrukturen und das, was unter dem euphemistischen Label Mental Health zusammengefasst wird: Scham, Angststörungen, Depressionen. Damit struggelte auch die in Berlin geborene Ex-Kitzbühelerin* während Corona. Seit der Pandemiepause fährt sie* ein fast schon manisches Programm: Spielte im Niedermair ihr* Soloprogramm „Apokalypse Frau“, drehte ihren* ersten Film „Para:Dies“, begann ein Studium der Regie an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Ihr* zweiter Film, „Asche“, wird gerade fertiggestellt. Echt jetzt?

Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 1/23 zum Thema „Jetzt!“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at (Foto: Șerban Florentin Roman)

Wie ist es, auf der Kabarettbühne zu stehen, und das Publikum lacht nicht?

Elena Wolff: Die Hölle! Man liefert sich auf der Bühne egotechnisch ultimativ aus. Im Kabarett noch um einiges mehr als im Theater. Dort hat man einen gewissen Schutz, denn das Publikum kommt nicht zwangsläufig nur, um zu lachen. Humor hat dort nicht denselben Stellenwert wie bei Comedy und Kabarett. Das ist, wenn es schlecht läuft, wie ein Dialog, bei dem sich eine Person verweigert. Wenn ich dir eine Geschichte erzähle und nach fünf Minuten merke, dass ich dich zu Tode langweile, habe ich im Normalfall den Luxus, aufzuhören. Beim Solo geht es dann noch fünfzig Minuten weiter. Ich habe mir mittlerweile antrainiert, mein Gefühl für meine Performance nicht mehr so von der Reaktion des Publikums abhängig zu machen. Humor ist spezifisch. Wer gewisse popkulturelle Referenzen nicht versteht oder nicht aus dieser oder jener Blase stammt, fühlt sich zwangsläufig weniger angesprochen. Was ich auf der Bühne sage, ist nicht allgemeingültig, es ist ein Genre innerhalb des Kabaretts. Manchmal lacht das Publikum nicht, damit habe ich mich abgefunden. Ich kann es aber nicht ertragen, wenn ich das Gefühl habe, anhand meiner eigenen Kriterien keine gute Performance geliefert zu haben. Eine Zeit lang ging es mir psychisch nicht gut, da stand ich oft wie in Trance auf der Bühne und dachte mir nur: Warum tu ich mir das eigentlich an?

Wie lautet die Antwort?

Wolff: Viele Menschen bewundern den Mut jener, die sich auf die Bühne stellen. Ich bewundere wiederum alle, die die Bühne nicht brauchen. Das Bedürfnis, mich dem so auszuliefern, kommt bei mir ja zum Teil aus einem emotionalen Mangel. Ich hatte eine Zeit lang eine ausgeprägte Angststörung und konnte kaum die Kraft dafür aufbringen, aber mit zunehmender Stabilität habe ich wieder den notwendigen Hunger entwickelt, und die Bühne hat mir gefehlt. Schließlich hatte ich mir selbst etwas geschaffen, was ich liebe und wobei ich Dinge verarbeite, von denen ich glaube, dass sie vielleicht auch für andere hilfreich sein können.

Was macht denn so große Angst?

Wolff: Künstler:innen haben insgeheim wahrscheinlich den Gedanken: Bin ich eventuell ein Star? Could it be me? Gleichzeitig ist da auch eine unfassbar große Angst, mittelmäßig zu sein, zu scheitern. Aber niemand redet darüber. Das war früher an der Schauspielschule so und ist auch an der Filmakademie, wo ich gerade Regie studiere, ähnlich. Für mich ist es inzwischen selbstverständlich, verletzlich zu sein und zu sagen: „Leute, ich habe gerade Angst oder Zweifel. Ich vergleiche mich mit euch und habe das Gefühl, ihr seid alle brillant, und ich falle total ab.“ Aber es ist noch nicht Kultur, offen damit umzugehen. Für mich ist Scham das destruktivste Gefühl, das existiert. Auf einer Skala aller negativen Emotionen, die man so haben kann, steht Scham weit über Hass. Sozialphobie ist extrem weit verbreitet. Die Angst, verurteilt zu werden, steht sogar über der Angst, ermordet zu werden.

Beim Schnitt von Wolffs neuestem Film „Asche“: Mit Nils Svenja Thomas als Jakob und Elena Wolff als Sie (Foto: Elena Wolff)

Was zumindest das Ende der Angst wäre …

Wolff: Stimmt. Mit der Scham hingegen muss man sich mitunter ewig auseinandersetzen. Mit ihrer Hilfe kann man Menschen extrem gut kontrollieren, klein halten, diskreditieren und demütigen. Sie kann gegen alle beliebigen Gesellschaftsgruppen eingesetzt werden und ist ein unglaublich mächtiges Werkzeug. In meinem Soloprogramm behandle ich so gut wie alle meine tiefen, dunklen Geheimnisse, alles, was für mich früher unfassbar schambehaftet war. Ich kehre es nach außen und halte die Lupe drauf. So hat sich die oktroyierte Scham beinahe gänzlich aufgelöst.

Warum ist Spaßmachen immer noch eine männliche Domäne?

Wolff: Weil die allgemeine Doktrin lautet, dass Frauen und weiblich gelesene Personen keinen Humor produzieren. Sie sind, wenn überhaupt, the bottom of the joke. Es wird über sie gescherzt und gelacht, oder sie sind unfreiwillig komisch, aber sie sind nicht Produzent:innen von Humor. Stefanie Sargnagel war eine der Ersten in meinem Umfeld, die auf eine sehr ungefilterte Art und Weise ihre Gedanken geteilt haben. Das hat für mich die Schleusen geöffnet. Ich habe mich getraut, zum ersten Mal eine Statusmeldung zu veröffentlichen. Der Response gab mir dieses vage Gefühl, dass ich die Fähigkeit habe, Menschen zum Lachen zu bringen.

Manches von dir auf der Bühne wirkt wie eine Karikatur von Frauen: eben the bottom of the joke. Ist das ein Meta-Joke?

Wolff: Ja und nein. Die Figuren haben schon etwas mit mir zu tun. Es steckt auch Aggression und Wut in ihnen, denn meine eigene Weiblichkeit ist eine sehr offensive. Ich locke gern mit einer gewissen Ästhetik, stoße dann aber mit den Inhalten ab, die ich präsentiere. Wenn, dann karikiere ich nicht Weiblichkeit, sondern die Art und Weise, wie das Patriarchat Weiblichkeit interpretiert. Weiblichkeit könnte ich gar nicht karikieren, denn dazu ist sie mir zu nahe. Man wächst damit auf, dass man ein Gefühl dafür entwickelt, wie Weiblichkeit interpretiert oder gesehen wird. Ich spiele gern mit dem Konzept von Weiblichkeit und ihrer Mystifizierung und breche das dann auf – das ist dann vielleicht die Karikatur.

„Asche“-Dreh in Linz. Drehbuchautorin*, Regisseurin*, Schauspielerin*, Produzentin* Elena Wolff mit Tonmann Lukas Benedicic (Foto: Sophia Hochedlinger)

Das bisherige Rollenverständnis ist gerade voll im Umbruch – was bedeutet das für Performende?

Wolff: Vieles wird einfach wesentlich kritischer hinterfragt. Natürlich auch auf der Bühne. Vor allem Männer sind jetzt in der Bredouille und an dem Punkt, ihr Mannsein hinterfragen zu müssen. Wir müssen gewisse Aspekte unserer Identität hinterfragen und kontextualisieren. Viele fühlen sich damit nicht wohl, weil sie das noch nie tun mussten. Vor allem weiße, heterosexuelle Männer mussten sich bislang selten damit auseinandersetzen, dass ihre Perspektive nur eine spezifische und nicht die objektive Messlatte ist, als die sie immer galt. Während Frauen ja immer schon beigebracht wurde, dass sie eine Abweichung von der Objektivität sind, per se inhärent subjektiv, ergo nie politisch sein können.

Und wo stehen wir jetzt?

Wolff: Wo ich gerade stehe?

Du, ich, wir alle zusammen.

Wolff: Alle Menschen? In meiner Wahrnehmung? Echt jetzt?

Für alle zu sprechen ist zwar anmaßend, aber lass uns anmaßend sein.

Wolff: Es ist ein irrsinniger Hunger und ein großer Schaffensdrang da. Ein Hunger auf Menschen und auf die Welt, auf Geschichten. Man könnte die vergangenen Coronajahre als Lücke oder Leerstelle sehen. Ich glaube aber, es war wie ein Ausflug in ein anderes Universum mit anderen Grundregeln. Und die Erfahrungen, die man dabei gemacht hat, können genauso wertvoll sein. Sie sind es nicht zwangsläufig, können es aber sein. Wobei ich nicht wie andere auf der Straße gelandet bin. Manche mussten ihr Hab und Gut aufgeben, deshalb finde ich es ziemlich whack zu sagen: „It was amazing for my personal development.“ War’s auch nicht. Ich habe es auch fast nicht überlebt. Aber jetzt im Nachhinein spüre ich auch ab und an eine Zärtlichkeit zwischen den Menschen.

Sind wir mehr im Hier und Jetzt?

Wolff: Der Rahmen von Zukunft hat sich sehr verschmälert. Was passiert ist, hat alle in ihren Grundfesten erschüttert. Wobei es nie eine Zukunft gab, mit der man rechnen konnte. Ein gewisses Level an Unvorhersehbarkeit ist sowieso immer da. Und der Vorteil daran kann sein, dass man sich mehr auf das Unmittelbare einlässt. Mehr anwesend ist im Leben. Ich kann das gar nicht, bin immer drei Schritte voraus. Wenn die ganze Geschichte also den Effekt haben könnte, uns mehr im Jetzt zu halten, könnte man noch zumindest einen minimalen Vorteil daraus ziehen. I don’t know.


Reinsagerin*

(Foto: Privat)

Auf ihrer Website stellt sie* sich als nihilistische Idealistin* vor. Ein Understatement. Das weiß man, wenn man Elena Wolff in Aktion erlebt hat. Begonnen hat die 29-Jährige* beim Poetry-Slam, inzwischen bespielt sie* fast alle Bühnen: Kabarett, Comedy, Theater und auch die virtuellen, Film und TikTok. Ihre Figuren entwirft sie* dabei so präzise, dass es fast schon wehtut

www.elenawolff.com

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