Wo die Kunst kotzt
„Moritz, noch einen Ingwerschnaps, bitte!“ Der Kellner schaut zum Tisch an der Tür, wo Lydia Haider sitzt, und signalisiert, dass er ...
Kleidung mit links-feministischen Statusmeldungen auch jenseits der üblichen Normgrößen: Samtpflaume macht guten Stoff für Leute, die im öffentlichen Raum Haltung demonstrieren wollen (Foto: Parnia Kosmos)
„Grüßt mich der Nachbar nicht zurück, weiß ich, ich bin in Wien.“ Parnia Kosmos grinst. Was den meisten Wiener:innen wurscht oder Beweis urbaner Wertekorrosion ist, empfindet die 38-jährige in Tirol Geborene drei Jahre nach ihrem Umzug immer noch als Zeichen von Freiheit. „Wohlfühlfaktor“ nennt sie diese alltägliche Demonstration städtischer Anonymität. Denn da, wo Parnia Kosmos herkommt, in Innsbruck, grüßt man gehörig. Überall und immer. Man braucht Parnia Kosmos nicht gut zu kennen, um zu wissen, dass die Frau auf Konventionen jeglicher Art pfeift. Die feministische Aktivistin, Mitglied der Burschenschaft Furia, Künstlerin und Hacklerin ist bekannt für ihre aufmüpfigen Ansagen. Seit zwei Jahren macht sie mit ihrem Streetwear-Label „Samtpflaume“ tragbare Statusmeldungen für Gleichgesinnte.
Soweit ist es auch dank Innsbruck gekommen. Wäre Parnia dort nicht dermaßen unter Druck gestanden, säße sie jetzt vielleicht als erfolgreiche Architektin in einem schicken Holzhaus im Tiroler Grün. Stattdessen probt sie von Margareten aus den textilen Aufstand.
Dieser Artikel ist in der Print-Ausgabe von FALTERs BEST OF VIENNA 1/23 zum Thema „Jetzt!“ erschienen, erhältlich auf www.faltershop.at (Foto: Șerban Florentin Roman)
Es waren keine üblichen Landfluchtmotive, die Parnia Kosmos 2020 nach Wien brachten. Weder Mangel an beruflichen Perspektiven noch die dörfliche Enge der Stadt Innsbruck, wo gerade einmal so viele Menschen leben wie im 1. und 23. Bezirk zusammen. Auch das fehlende Kulturangebot oder die überschaubare Auswahl an Lokalen trieben Kosmos nicht fort, sondern Alltagsrassismus. „Wer mit Migrationshintergrund in Tirol lebt, macht Rassismuserfahrungen. Ausnahmslos“, sagt Kosmos, deren Eltern einst aus dem Iran geflüchtet sind. Aufgewachsen als „einziges Ausländerkind in der Klasse“, hatte sie von der Provinz bald die Schnauze voll. Zu Pandemiebeginn hängte sie also ihren Job in einer Werbeagentur an den Nagel, wechselte für ihr Architekturstudium die Hochschule und packte ihr Leben zusammen.
Am Sehnsuchtsort Weltstadt Wien warteten Bildungskarenz und eine neue Liebe auf sie – und hochgeklappte Gehsteige. Wien hatte dichtgemacht: geschlossene Läden, menschenleere Straßen und Social Distancing. Der schlechteste Zeitpunkt, um in einer fremden Stadt zu starten. „Es war schwieriger als gedacht, denn die Vorzüge Wiens waren nicht zu sehen. Alles war geschlossen, ich kannte niemanden. Wegen des Distance Learning ergaben sich auch an der Uni kaum Bekanntschaften“, erinnert sich Parnia, die sich selbst als eher introvertierte Anti-Networkerin beschreibt. Was tun?
Was sie schon immer gern gemacht hatte: Kommentare zur gesellschaftlichen Situation auf Shirts drucken. Doch statt wie bislang nur sich selbst und den Freund:innenkreis zu versorgen, begann sie guten Stoff für alle herzustellen, die im öffentlichen Raum Haltung demonstrieren wollen. 2021 ging ihr eigenes Label „Samtpflaume“ online. „Streetwear with content, empowering apparel & feminist nice stuff“ verspricht die Website. Hier kann man Parnias handgemachte Stücke „Smash Patriachy“ in Leopardenprint, „Slutfaming“, „Mind your own uterus“ oder „Prolet:in mit Klasse“ auf fair gehandelter Bio-Baumwolle, Halsketten mit „Antifascista“-Schriftzug oder eine Anstecknadel in Form von brennenden Streichhölzern bestellen. Ihre Mission: Dinge machen, die sie selbst cool findet und in die nicht nur normschlanke Körper passen.
„In XXXXXL kriegt man selten Sachen, die einem taugen und bei denen auch noch die Message passt“, sagt Kosmos. Ihre Botschaften, „eine klare Kante gegen Sexist:innen, Faschos und andere Arschlöcher“, sitzen.
Der Samtpflaume-Bestseller: handgedruckt auf fair gehandelter Bio-Baumwolle. Parnia fertigt aber auch Wunschdesigns (Foto: Parnia Kosmos)
Inzwischen komme sie mit der Produktion oft kaum noch nach, sagt Parnia, während sie an den Ort der Samtpflaumen-Magie führt: das Arbeitszimmer ihrer Wohnung in Margareten. Auf rund 20 aufgeräumten Quadratmetern säumen Regale mit Kisten voller textiler Rohlinge, Transferfolien in verschiedenen Farben und Mustern sowie andere Utensilien, Transferpresse und PC die Wände. DIY ist für Parnia Prinzip. Sie entwirft Designs – auf Anfrage auch customized –, druckt, verpackt und verschickt. Als EPU fühlt sie sich trotzdem nicht. „Ich sehe Samtpflaume als Kollektiv, weil ich von der Community Input und Feedback bekomme.“
Leben könne sie davon nicht. Dazu müsste sie die Sache schon größer aufziehen, mehr Bestellungen bedienen. Dafür bräuchte sie helfende Hände, denn allein in einem simplen T-Shirt steckt eine Stunde Arbeit. „Der Stundenlohn ist derzeit auf jeden Fall unter dem Mindestlohn.“ Ob sie sich schon einmal wegen Förderungen erkundigt habe? Parnia winkt ab. „Ich verstehe mich als Lohnarbeiterin und Teil der Arbeiter:innenklasse“, erklärt sie. „Proletin mit Klasse eben.“
Textilrevoluzzerin
Parnias Label Samtpflaume hat einen Auftrag: „Eine klare Kante gegen Sexist:innen, Faschos und andere Arschlöcher“ (Foto: Parnia Kosmos)
Parnia Kosmos, die in Innsbruck geborene Tochter iranischer Dissident:innen, beschreibt sich zwar selbst als introvertiert. Das hält die 38-Jährige jedoch nicht davon ab, ihre Kritik am patriarchalen System laut kundzutun. Ob als Mitglied der feministischen Burschenschaft Furia oder mit ihrem Streetwear-Label Samtpflaume