Handwerk mit Hand und Fuß
Leder statt Plastik, reparieren statt wegwerfen: Siegfried Hain trägt als Schuhmacher wesentlich zur Nachhaltigkeit bei. Im Interview gibt er Einblicke in das…
Foto: Karin Wasner
Es riecht nach Tannennadeln, gebrannten Mandeln und Punsch. Die glühenden Scheite in den Feuerkörben knacken im Rhythmus der flackernden Flamme. Dazwischen Kinderlachen und -gejammer, Häferl klacken zu ausgelassenen „Prost“-Wünschen, Glöckchenläuten und Pferdegetrappel. Irgendwoher tönt ein „Stille Nacht“ aus einer Trompete. Still wird die kommende Nacht allerdings keinesfalls werden. Denn das ist der 5. Dezember. Krampustag.
Die „stade Zeit“ ist für die Menschen in Großarl und Hüttschlag eine besondere Zeit. Wenn der erste Schnee die Berge weiß zuckert, wird es vorweihnachtlich still im Salzburgerland. Seit Jahrhunderten pflegt man in dem ruhigen Tal Brauchtum und überlieferte Traditionen und feiert den Advent ohne Kitsch und Bling-Bling. Hier plärrt kein „Last Christmas“ aus billigen Boxen, hier lauscht man dem Klang der Weisenbläser oder den zarten Stimmen der Adventsänger und -sängerinnen. Oder man erzählt sich zum Geräusch des knirschenden Schnees Weihnachtsgeschichten, während man mit einer Fackel den Krippenweg entlang hoch zur Kirche stapft. Von Unterberg sieht man an manchem Freitag im Dezember über 150 leuchtende Punkte lautlos den Hang entlangkriechen. Nur an einem Abend wird es richtig laut.
„Das Freie, das Archaische, das taugt mir!“ Rupert Kreuzer ist einer von hundert Krampussen, die am 5. Dezember lärmend durch die Dörfer ziehen. Er steckt aber nicht nur in einer der Masken, er ist der Künstler hinter den Krampusmasken. Einer der berühmten Maskenschnitzer hier im Tal. Rupert Kreuzer setzt sich selbst und den anderen Männern für einen Abend die Fratze des Bösen auf. Acht Krampusse ziehen als „Pass“ mit einem Nikolaus und seinem „Körberlmanderl“ – dem moosbärtigen Korbträger und Nikologehilfen – von Haus zu Haus. Im 17. Jahrhundert ist dieser Einkehrbrauch erstmals dokumentiert: Begleitet von Schreckgestalten, prüft und beschenkt der Nikolaus die braven Kinder, die unartigen werden vom Krampus bestraft. Nicht zu verwechseln sind die Krampusse mit Perchten, die in den Raunächten laufen, um den Winter auszutreiben. Der Krampus ist untrennbar mit dem Nikolaus verbunden. Er ähnelt in seinem Aussehen dem Teufel und mythischen Tiergestalten. Der Krampus hüllt sich in Schaf- oder Ziegenfell und trägt eine geschnitzte Holzmaske aus Zirben- oder Lindenholz. Bis zu zehn Kilo wiegt allein die Maske. Aus dieser ragen noch Ziegen-, Steinbock- oder Widderhörner, die gar nicht lang und zahlreich genug sein können. Krampus sein ist anstrengend und körperlich harte Arbeit. „Wir wollen das Ursprüngliche an dem Brauch erhalten und nichts verfälschen.“ Drei alte Schnitzmesser von seinem Onkel hatte er vor über dreißig Jahren, als er als Zwölfjähriger seine erste Krampusmaske schnitzte. „Wir waren sechs Kinder, und so eine Maske hätte tausend Schilling gekostet!“ Heute investieren Liebhaber auch gerne einige Tausend Euro in die schrecklich-schönen Kunstwerke des Holzbildhauers. Jede einzelne Maske ist ein Unikat und entsteht in Handarbeit in Ruperts Atelier Astei im Zentrum von Großarl Markt.
Dort ist am Abend vor dem Nikolaustag der Teufel los. Eigentlich hundert Teufel, denn als Symbol für den gefallenen Engel Luzifer steht der Krampus für den Gegenspieler Gottes, den Teufel. Zornige Fratzen mit heraushängenden Zungen, verdrehte Augen in Giftgrün, Hörner so lang wie ein Arm. Bei jeder Bewegung erzeugen die prallen Kuhglocken an den zotteligen Fellkörpern ohrenbetäubenden Lärm. Dazu rasseln schwere Eisenketten, und Weidenruten schwirren zum „Triezen“ und „Tratzen“ der kreischenden Zuschauer durch die Luft.
In einer dieser Kreaturen steckt auch jedes Jahr Hermann Prommegger. Der gelernte Fleischhauer und Wirt am Talschluss in Hüttschlag ist der Mann hinter den berühmten „Metzger-Masken“. Sobald die Sommergäste weniger werden, verschwindet er in seinem Keller und taucht erst Anfang Dezember wieder auf. „Mit Augenringen und Holzspänen im Haar!“ Prommegger grinst müde. Schon auf der ersten Treppenstufe hinunter in sein Reich schlägt einem der Geruch von Leder und Zirbenholz entgegen. Nur kurz bringt Hermann Prommegger später die Kettensäge zum Schweigen und dreht das Radio leise, aus dem zuvor AC/DC selbst den Lärm der Säge übertönte. „Etwa 25 Stunden Arbeitszeit stecken in einer meiner Masken, in besonderen Stücken auch viel mehr.“ Sohn Hias hilft beim Bemalen der Kunstwerke und arbeitet konzentriert an einigen noch „nackten“ Holzgesichtern mit Pinsel, Farbe und Föhn. Jede Minute zählt jetzt.
„Loave sagen wir hier zur Krampus-
maske“, erklärt Hermann. Das hochdeutsche Wort „Larve“ komme aus dem Lateinischen, „Larva“ ist das Gespenst. „Eine Maske ist neutral, eine Larve soll böse Absichten verbergen. Daher kommt auch das ,Entlarven‘.“
Etwa hundert Loaven schnitzt Hermann im Jahr. Und das bereits 39 Jahre lang. Das ergibt ein ansehnliches Heer an Schreckensgestalten, die er sich in seinem Leben bereits ausgedacht hat. Einige von ihnen reisten bis nach Australien oder Amerika, seine Kunden finden ihn inzwischen übers Internet auf der ganzen Welt. „Ein paar Masken hab ich, die geb ich niemals her. Mit denen verbindet mich eine Geschichte.“
In seiner Werkstatt hängen Hörner in allen Längen und Krümmungen von der Decke, warten Rinderzähne in Schüsselchen auf ihre nächste Bestimmung. Werkzeug aller Art liegt, wo noch Platz bleibt, und schaurige Skizzen zieren die Wände. Furcht einflößende Kreaturen starren aus allen Ecken. Aber so richtig unheimlich wird es erst, wenn der Mensch einmal im Jahr am Krampustag den Teufel zum Leben erweckt.
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