Handwerk mit Hand und Fuß
Leder statt Plastik, reparieren statt wegwerfen: Siegfried Hain trägt als Schuhmacher wesentlich zur Nachhaltigkeit bei. Im Interview gibt er Einblicke in das…
Foto: David Hiepler & Fritz Brunier
Zwei Meter dicke Betonmauern. Winzige Schießschartenfenster. Ein dunkles, schmuckloses Stiegenhaus. Keine Frage: Der düstere, siebengeschoßige Bunker Nr. 5 an einer Ausfallstraße im Norden von München war kein Ort, an dem man an Wohnlichkeit dachte. Bis der Immobilienentwickler Stefan Höglmaier den denkmalgeschützten Bau 2010 kaufte. Heute befindet sich im Erdgeschoß ein Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, und darüber pro Geschoß eine Wohnung. Eine schwergewichtige chirurgische Aktion, bei der ganze Betonquader aus der Wand gefräst wurden, machte es möglich. Rund 2.000 Tonnen Material wurden in den Umbauarbeiten nach Plänen des Architekturbüros raumstation entfernt. Die Fensternischen, die dadurch entstanden, sind so groß wie Zimmer. Ein Wohn-Erlebnis zwischen Exklusivität, Industrie-Coolness und dezentem Grusel-Charme.
Überall schlummern solche Bauwerke, die nie zum Wohnen gedacht waren, und warten auf findige Entdecker. Wer zum Beispiel hätte sich als Einfamilienhaus ausgerechnet einen Turm direkt neben dem Brüsseler Flughafen ausgedacht? Kaum jemand. Aber der schlanke Wasserturm – französisch elegant „Château d’Eau“ – stand nun mal genau da. Bis 1990 war das 1939–’41 errichtete Bauwerk in Betrieb gewesen, später wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Heute ist dort, wo früher bis zu 250.000 Kubikmeter Trinkwasser schwappten, ein 230-Quadratmeter-Wohnraum mit Küche, Ess- und Wohnbereich, auf dem Dach lockt die Terrasse mit 360-Grad-Umblick. Dem belgischen Architekten Mauro Brigham gelang es, mit seinem Umbau die kühle, glatte Optik des Interieurs zu erhalten: Die Räume sind ganz in Schwarz, Weiß und Grau gehalten. Anfangs von einem Ehepaar mit Katze bewohnt, wird das Château d’Eau heute für Events vermietet. Wohnlich ist es immer noch – auf seine eigene Art.
Es ist oft Liebe auf den ersten Blick, wenn ein ungewöhnlicher Bau als Wohnort erkoren wird. Und es erfordert nicht gerade wenig Liebesmüh. Als sich ein Unternehmer aus Düsseldorf nach einem neuen Standort umsah, fiel ihm das
20 Meter hohe Getreidesilo aus dem Jahr 1963 auf, das auf dem Grundstück stand. Anfangs wollte er es abreißen, bis seine Lebensgefährtin ihn überzeugte, doch „etwas daraus zu machen“. Der Umbau, gemeinsam mit den Architekten, dauerte sieben Jahre, der Bauherr machte sogar einen Führerschein für den extra dafür gekauften Kran. Es hat sich gelohnt: Der kantige Turm ist mit zeitlos-dunklem Klinker verkleidet, das Interieur hochwertig und exklusiv – und bekam 2006 einen Architekturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen.
Was braucht der Mensch zum Wohnen? Vier Wände und ein Dach, doch das bedeutet keineswegs, dass es immer ein normgerechtes Wohnhaus mit normgerechten Zimmern sein muss. Sonst wäre der Begriff „Fabrikloft“ heute schließlich nicht fester Bestandteil des Maklerlateins. Doch nicht alles, was „Loft“ heißt, ist tatsächlich eine Fabrik gewesen. In zweifellos waschechter Industrie-Atmosphäre lässt sich in der Brotfabrik in Wien-Favoriten wohnen. Das über Jahrzehnte gewachsene Ensemble aus Ziegel- und Betonbauten, fast ein Stadtviertel für sich, wurde schrittweise in einen lebendigen postindustriellen Mix verwandelt. Kultur und Arbeit trifft Wohnen. Etwas avantgardistischer ist das luftige Loft in der ehemaligen Panzerhalle bei Salzburg: Hier gossen smartvoll Architekten aus Wien den Beton für das Galeriegeschoß und die geradezu barocke Stiege in wagemutige Formen – was mit einer Fülle von Architekturpreisen honoriert wurde.
Man sieht: Zum ungewöhnlichen Wohnen braucht es oft nur den richtigen Ort, die richtige Zeit und aufmerksames Hinschauen. Ob Wasserturm, Silo, Fabrik, oder etwas ganz anderes: Ihr nächstes Zuhause könnte überall sein.
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