Düstere Aussichten: Ist das Spiel aus?

vom 14.06.2000

Man kann auch anders in die Zukunft blicken: Intelligente Roboter werden uns geistig baldüberlegen sein und uns abschaffen (oder als Haustiere halten). Gegen jegliches Gift resistente, gentechnisch veränderte Pflanzen geraten außer Kontrolle und verbreiten sich im zerstörerischen Wildwuchs über den Erdball. Die Nanotechnologie erzeugt auf molekularem Level winzige Organismen, die so klein sind, dass wir sie nicht einmal dann sehen, wenn sie uns an die Gurgel gehen.

So kann freilich nur ein technophober Miesepeter denken, ein langjähriges Mitglied von Global 2000 oder ein Literaturstudent, der zu viel Science-Fiction gelesen hat. Oder? Hören wir weiter: "Wir schlittern in dieses neue Jahrhundert ohne Plan, ohne Kontrolle, ohne Bremsen. Der kritische Punkt, nach dessen Überschreitung keine Umkehrung des Prozesses mehr möglich sein wird, nähert sich sehr schnell." Klingt nach Kleinformat?

Diese alarmierenden Worte finden sich in der Titelgeschichte der April-Nummer von Wired, dem Kultmagazin der Internetgemeinde. Der Autor von "Why the future doesn't need us" hört auf den unschuldigen Namen Bill Joy und war bislang nicht als düster-orakelnde Techno-Kassandra in Erscheinung getreten, ganz im Gegenteil. Joy ist Chefwissenschaftler und Mitbegründer von Sun Microsystems und hat nicht zuletzt die Programmiersprache Java mitentwickelt. Kurz: Ihm ist ein Platz in der Hall of Fame des Silicon Valley sicher.

Ausgerechnet Joy also - wie wenn Bill Gates den Kapitalismus kritisieren würde. Auf maximale Wirkung bedacht, trug der Informatik-Pionier seine düstere Zukunftsprognose auch auf der diesjährigen "Computing Continuum Conference" im kalifornischen Stanford vor. Die versammelten Koryphäen trauten ihren Ohren nicht.

Joy benennt mit Artificial Intelligence, Gentechnik und Nanotechnologie jene drei Wissenschaften, die das segensreiche Füllhorn des Fortschritts in eine Pandora-Büchse verwandeln können, zumal wenn sie in die "falschen" Hände geraten. Joys entscheidender Punkt: Die neuen Artefakte können sich - im Gegensatz etwa zur Atombombe - selbst reproduzieren. Einmal losgelassen...

Die Pointe seiner Polemik: er beruft sich auf genau jene fortschrittsberauschten Autoren in der AI-Forschung wie Ray Kurzweil und vor allem Hans Moravec (s. die Rezension ihrer neuesten Bücher S. 7), die seit Jahren das "Verschwinden" des homo sapiens im 21. Jahrhundert vorhersagen. Joy nimmt ihre Szenarien von derMenschwerdung der Maschine und der Maschinierung des Menschen ernst und denkt sie konsequent zu Ende: Wir werden überflüssig.

Bei aller medialen Inszenierung: niemand bezweifelt, dass Joys Besorgnis echt ist. Was aber rät er, wie könnten Bremsen und Steuerungselemente in den wissenschaftlichen Fortschritt eingebaut werden? Wissenschaftler müssten mehr Verantwortung für ihr Tun übernehmen und eine breite Diskussion entfachen. So sollten die genannten Probleme z.B. Thema der jährlich stattfindenden Pugwash-Konferenz werden, die sich seit 1957 vor allem mit Fragen der Atomrüstung beschäftigt.

Der einsame Rufer wurde gehört - dann ging die wissenschaftliche Öffentlichkeit in den USA wieder zum Tagesgeschäft über. Auf Konferenzen wie dem Highland Forum vergangenen Monat - gesponsert vom Pentagon - erschien die Zukunft wie gewohnt in hoffnungsfrohem Licht. Kris Pister von der University of Berkeley präsentierte seinen "Smart dust". Diese Minicomputer, deren Durchmesser das Zehntel eines Haares beträgt, sollen dereinst buchstäblich überall hinkommen: in unsere Blutbahnen, um den Kalk abzutragen, auf unseren Autolack, den sie in immer neuen Farben schimmern lassen, und als eine Art Frühwarnsystem in den Kühlschrank, um unsere Lebensmittel vor dem Verfall zu schützen. Wer hat da noch Angst vor Joy? O. H.

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