Nachhaltige Verhübschung/EXPO-Geschichte: "I have seen the future"

Ulrike Kozeluh
vom 14.06.2000

Fortschritt passiert und seit 150 Jahren hat er auch sein Fest. Die "Geschichte der Weltausstellungen" bietet hier reiches Anschauungsmaterial für eine kritische Bestandsaufnahme der Moderne. Wie Winfried Kretschmer zeigt, waren die Expos nicht nur politische Machtdemonstrationen, indem sie "nationale Identität" in einem Bild komprimierten, sondern markierten etwa auch den Beginn kommerzieller Massenveranstaltungen.

Als "friedlicher Völkerwettstreit", als "Symbol der Völkerverständigung" wurde die erste "Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations" 1851 in London gepriesen. Riesige Maschinenhallen, Retortenstädte und "ethnographische Dörfer", Sammelsurien skurriler und brauchbarer Erfindungen für den Alltag prägten den Ausstellungscharakter bis zum Zweiten Weltkrieg. Die "Expositions" waren der Auftakt für die Entwicklung des organisierten Massentourismus, der Museumsbewegung und der Olympischen Spiele. Veranstaltungen der Ersten Frauenbewegung und die I. Internationale fanden Ende des 19. Jahrhunderts durch die Besucherströme zu den Weltausstellungen hohen Zuspruch.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts übernahmen Fachmessen, Fachzeitschriften und die neuen Medien die Informationsfunktion - die Weltausstellungen kommunizierten fortan nicht mehr die neuesten Entdeckungen, sondern verwandelten sich in Freizeitveranstaltungen mit Infotainmentcharakter. Trotzdem - oder gerade deswegen - blieb die Begeisterung ungebrochen. Staunende Besucher wurden auf Rollbändern (Paris 1900) oder in Gondeln (Chicago 1933) an den materialisierten Zukunftsvisionen von Wissenschaft, Industrie und Militärvorbeigekarrt, durften auf Knöpfe drücken, Apparate in Bewegung setzen und bekamen am Ende einen Button mit der Aufschrift "I have seen the future" (New York 1939) in die Hand gedrückt.

Jeder Weltausstellung wurde Monstrosität, zu hohe Kosten oder "die Scheußlichkeit der eigens entworfenen architektonischen Wahrzeichen" (z.B. Paris 1889) vorgeworfen. Und nur wenigen Städten gelang es, längerfristigen Nutzen für ihre Bürger zu stiften. Für St. Louis (1904) oder Seattle (1962) war dies der Anlass, Mietskasernen zu renovieren und den Kampf gegen soziale Missstände aufzunehmen.

Gegen Ende wird Kretschmers Analyse allerdings merkwürdig flach. So lässt er sich in einer Vorschau auf die Expo in Hannover vom Nachhaltigkeitskonzept der Veranstalter etwas unkritisch mitreißen. Es fehlt der Hinweis, dass die Weltausstellungen immer auch der Bestätigung des engeren Wesenszusammenhanges zwischen Mensch und Technik, zwischen seiner erfinderischen Intelligenz und dem Expansionsdrang seiner Bedürfnisse dienten. Daher bleibt die Beantwortung von Fragen wie z.B. die nach der Zementierung von althergebrachten Dichotomien (Kultur versus Natur, Experten versus Laien) durch die Veranstaltung einer Expo unbeantwortet.

Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen. Frankfurt / New York 1999 (Campus). 303 S., öS 423,

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