Unfehlbare Schmeckometer?

Florian Holzer
vom 21.11.2001

Restaurantführer und Weinwertungen werden als Anleitungen zum Glücklichsein benutzt. Aber wie weit lässt sich Wohlgeschmack objektivieren oder gar nach wissenschaftlichen Kriterien bewerten?

Ein paar unbestrittene Kriterien gibt es schon: Zum Beispiel ist es von Vorteil, wenn ein Lokal so hell beleuchtet ist, dass man sein Essen mit bloßem Auge erkennen kann. Auch die als angenehm empfundene Raumtemperatur bewegt sich innerhalb messbarer Schwankungsbreiten. Ebenso der noch erträgliche Lärmpegel. Aber ab dann wirds schon ein bisschen schwieriger - oder zumindest soziokulturell beeinflusst.

Die Frische des Essens zum Beispiel ist relativ: Da war man in Zeiten vor der Erfindung moderner Kühltechnik wahrscheinlich etwas toleranter als heute. Und sogar innerhalb eng gesteckter sozialer wie nationaler Grenzen können die Ansichten, wie sehr ein Fasan abgehangen sein muss oder ein Käse stinken darf, ziemlich differieren (gesetzliche Hygienebestimmungen sorgen da zumindest für gewisse Rahmenbedingungen).

Mit welchen Parametern arbeiten also Restaurantkritiker, um zu Bewertungen zu kommen, die Objektivität suggerieren? Nun, in erster Linie natürlich mit subjektiven: Da Zentimeterangaben beim Schnitzel oder die gestoppte Zeit des Kellners von der Küche bis zum Tisch selten das sind, was einen dazu bewegt, sein Geld in ein bestimmtes Restaurant zu tragen, wird also mit eher subjektiven Begriffen wie "Originalität", "Authentizität", "Individualität" oder "Kreativität" operiert.

Aber wäre eine Objektivierung gastronomischer Qualität überhaupt machbar, kann man den wahrhaftigen und unfehlbaren Schmeckometer konstruieren? Schwerlich, denn erstens spielen im Ereignisfall namens Gastronomie einfach zu viele Komponenten und Variablen mit, zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis am nächsten Tag oder auch nur eine Stunde später haargenau so ausfällt, höchst gering, und drittens ist das individuelle Empfinden dann immer noch subjektiv geartet.

Wie also vorgehen beim Beurteilen des Schnitzels? Bestimmte vorgegebene Indizes helfen dabei. So verleiht Gault Millau seine vier Hauben an die "weltbesten Restaurants", eine Haube an Lokale mit "sehr guter Küche, die mehr als das Alltägliche bietet" und geht davon aus, dass das Grüppchen von anonymen Testern sowohl schon in "weltbesten Restaurants" gespeist hat als auch dem "Alltäglichen" nicht vollkommen entfremdet ist. Ab und an stattfindende Probeessen mit Obertester Michael Reinartz, bei denen über die gereichten Gerichte diskutiert wird, sollen die Skalierung aktualisieren und gewissermaßen zur Objektivierung der Subjektivität führen.

Dass mit solchen Bewertungen auch wirtschaftliche Interessen einhergehen, ist klar. Das beste Beispiel dafür liefert der bekannteste Weinkritiker der Welt, Robert M. Parker aus den USA: Der frühere Anwalt beurteilt Weine aus aller Welt mit einer Hundert-Punkte-Skala, die er dem US-amerikanischen Schulsystem entlehnt hat - sie ist im modernen Weinbusiness mittlerweile zum wesentlichsten Argument geworden, einen Wein zu kaufen oder nicht. Bekommt ein Tropfen im "Wine-Advocate" über 95 Punkte, ist sein Erzeuger ein reicher Mann.

Was natürlich dazu führt, dass nicht wenige Hersteller ihre Weine extra so gestalten, dass sie Robert Parker gefallen, und sein Geschmack ist mittlerweile einigermaßen gut bekannt: konzentriert, wuchtig, unfiltriert, mit dichter Farbe, hohem Alkohol und kräftigem Einsatz vanillig schmeckender, neuer Holzfässer. Derartige Getränke überfluten zurzeit fast schon den Markt, warnende Worte von wegen Verlust kultureller Vielfalt verhallen relativ ungehört in der Wüste.

Gegen diesen Einfluss Parkers versuchte vor einigen Jahren eine Gruppe europäischer Weinspezialisten und -kritiker mit der Gründung der "Grande Jury Européenne" vorzugehen. Mittels höchst komplizierter Verfahren sollte die Wahrheit im Wein gefunden werden: Zur Bewertung kommen nur Weine, die über jeden Zweifel erhaben sind, nur dreißig Stück pro Halbtag, und das unter notarieller Aufsicht.

Nach der Verkostung werden die Ergebnisse vom Computer statistisch ausgewertet. Die Noten jedes einzelnen Jurors werden analysiert, diese selbst werden dann je nach Bewertungsverhalten selbst nach verschiedenen Kategorien klassifiziert: nach der der Introvertierten (Benotung im Mittelfeld, wenig Abweichung), der Extrovertierten, der der Großzügigen und der Anspruchsvollen.

Die solcherart "normalisierte" Benotung ist aber erstens von Parkers Urteil nur selten weit entfernt und bedarf zweitens eines ungeheuren Aufwandes, um festzustellen, ob 1990 jetzt der Lafite oder der Latour besser war. Wahr ist jedenfalls, dass beide Weine sehr gut und ganz unglaublich teuer sind.

Florian Holzer (E-Mail: florian.holzer@derstan dard.at) arbeitet als Restaurantkritiker für den "Falter" und den "Standard". Er lebt und isst vorwiegend in Wien.

Lektüreleckerbissen? Über Musik reden, ist wie ein gemaltes Mittagessen, sagt man. Und über Essen schreiben? Kann ohne literarische Geschmacksverstärker leicht fad munden. Der Aufsatzband "Essen und Lebensqualität" versucht einen gemeinsamen Forschungs-Nenner für die Kultur- und die Naturwissenschaften zu finden. Der hohe Anspruch der Interdisziplinarität wird nicht eingelöst, zu inkompatibel sind die Herangehensweisen, zu sehr schmoren die Autoren im eigenen Saft.

Andererseits: Das Innenleben der Bundeszentrale für Fleischforschung und die Essensdarstellungen im modernen Tanz, die gesundheitsfördernde Wirkung ungesättigter Fettsäuren und die Verdauungsprobleme Hegels zwischen zwei Buchdeckeln zu finden, ist fast schon wieder pikant.

Lust aus dem Garten. Als anregender erweisen sich die "Pflanzen der Liebe", dank der opulenten Illustrierung liest/isst auch das Auge mit. Der Ethnopharmakologe Christian Rätsch verfolgt die Verwendung von Aphrodisiaka bis zu den Neandertalern zurück und beschreibt nicht nur die bekannten Pflanzen wie Alraune, Ginseng, Tollkirsche und Stechapfel, sondern berichtet auch über die erotisierende Wirkung verschiedener Gemüsepflanzen und Gewürze wie Tomate, Basilikum, Paprika und Chilipfeffer. Auch Genussmittel wie Kakao oder Vanille, ja selbst Nahrungszusätze wie Guarana können die Lust steigern. Zubereitungshinweise inklusive.

Gerhard Neumann et al. (Hg.): Essen und Lebensqualität. Natur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Frankfurt/New York 2001 (Campus). 338 S., öS 391,-/e 27,61

Christian Rätsch: Pflanzen der Liebe. Aphrodisiaka in Mythos, Geschichte und Gegenwart. Mit Rezepten und praktischen Anwendungen. Aarau 2001 (AT Verlag). 208 S., öS 394,-/ e 28,63

Soziologie des Hamburgers. Dass es schlecht um die Welt bestellt ist, wussten wir. Dass dies hauptsächlich auf "Das Imperium der Rinder" zurückzuführen ist, führt uns Jeremy Rifkin in seinem neu aufgelegten "Klassiker" mit alarmierenden Statistiken vor. Die Viehbestände explodieren, riesige Flächen versteppen, Getreide wird vom Nahrungs- zum Futtermittel umgewidmet, durch vermehrten Fleischverzehr steigen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark an. Ganz zu schweigen vom Leidensweg der Rinder zwischen Hochzüchtung, Tiertransport und Schlachthof.

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Es lebe das Risiko! Scheinbar sachlicher argumentieren Per Pinstrup-Andersen und Ebbe Schioeler. Die beiden Dänen wollen das Lagerdenken in der Debatte um gentechnisch veränderte Lebensmittel (GMO) überwinden. Am Ende sitzen aber wieder mal die Gentechnikkritiker, die Medien und eine allzu besorgte Öffentlichkeit auf der Anklagebank. Angstmache und Fehlinformationen gefährdeten das Potenzial der GMOs, vor allem die Länder der Dritten Welt könnten darauf aber nicht verzichten. "Der Preis der Sattheit" ist eine gewisse Risikobereitschaft, Freisetzungen von GMOs ist aktive Entwicklungshilfe. O.H./P.I.

Jeremy Rifkin: Das Imperium der Rinder. Der Wahnsinn der Fleischindustrie. Frankfurt/New York 2001 (Campus). 281 S., öS 261,-/e 18,42

Per Pinstrup-Andersen und Ebbe Schioeler: Der Preis der Sattheit. Gentechnisch veränderte Lebensmittel. Aus dem Englischen von Susanna Grabmayr und Marie-Therese Pitner. Wien/New York 2001 (Springer). 204 S., öS 275,-/e 19,95

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