Einmischung ist gefragt
vom 13.11.2002
Die internationale Umweltpolitik steht an einem Wendepunkt. Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg brachte zwar wenig konkrete Ergebnisse, offenbarte aber eine Verschiebung der Zuständigkeiten: Die Politik delegiert die Verantwortung für die Erde an die Zivilgesellschaft. Dazu gehört auch die Wissenschaft - selbst wenn sich das noch nicht in allen Labors herumgesprochen hat.
Globalisierte Rhetorik. Das wirksamste Mittel gegen Kritik ist deren Vorwegnahme. Noch bevor jemand monieren konnte, dass der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg zu wenig konkrete Ergebnisse gebracht hat, steuerte Kofi Annan gegen. In seiner Abschlussrede am 5. September verwies der UN-Generalsekretär darauf, dass die Regierungen lediglich den Boden für weiteres Engagement gelegt hätten: "Um sie umsetzen zu können, müssen wir jeden Einzelnen einbeziehen", erläuterte Annan: "Nichtregierungsorganisationen (NGOs), lokale Regierungen, Gemeinden, die Wirtschaft, die akademische Gemeinschaft und jedes Individuum auf der ganzen Welt - es erfordert eine globale Anstrengung."
Aus dem rhetorischen Kniff wurde ein Auftrag: Die Verantwortung für Umwelt und nachhaltige Entwicklung wurde in Johannesburg weg von der Politik auf die so genannte "Zivilgesellschaft" geschoben - ein in letzter Zeit gerne bemühtes Konzept, um dem Einzelnen mehr Rechte, aber auch Pflichten zu übertragen. Viele Unternehmen haben diese soziale Verantwortung nicht zuletzt zur Imagepflege bereits aufgegriffen und völlig neue Koalitionen geschlossen.
Hund und Katz. So gaben in Johannesburg die früheren Erzfeinde World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) und Greenpeace ihre erste gemeinsame Pressekonferenz. "Vor zehn Jahren in Rio gingen wir noch wie Hund und Katz aufeinander los", erinnert sich Remi Parmentier von Greenpeace: "In Johannesburg legen wir unsere Differenzen zur Seite, um ein historisches Signal zu setzen." Beide wollen den Klimaschutz vorantreiben - natürlich im Sinne ihrer ureigensten Interessen: Der WBCSD möchte die zum Teil widersprüchlichen Umweltgesetze - vor allem in puncto Treibhausgase - vereinheitlichen, um auf dem globalen Markt besser agieren zu können. Greenpeace will die Umsetzung des Protokolls zur Senkung der Treibhausgase erreichen.
Mehr als 300 dieser Partnerschaften wurden offiziell registriert: öffentlich-private Kooperationen, NGO-Industrie-Projekte sowie bi- und multilaterale Länderprojekte. Damit gestand die Politik ein, dass privates Kapital nötig ist, um das Ziel der Nachhaltigkeit zu erreichen. Und dass die Probleme ganzheitlich gesehen werden müssen. Beispiel Wasser: Wer stundenlang gehen muss, um zu sauberem Wasser zu kommen, wird seine Kinder nicht zur Schule, sondern zum nächsten Brunnen schicken.
Neue Rolle der Wissenschaft. Im Aktionsplan wurden deshalb Wasserversorgung und Bildung als ein Problem definiert, das regional und zeitgleich gelöst werden muss. Und dafür benötigt man nicht nur Geld, sondern auch genaue Informationen aus den Regionen: Die beste Wassertechnologie kann nur erfolgreich eingesetzt werden, wenn man Klima, Bildungsgrad, Anbaumethoden oder Migrationsbewegungen miteinberechnet. Man? Dafür wäre dann in Kofi Annans Vision der Zivilgesellschaft die Wissenschaft zuständig. Die ist freilich noch dabei, ihre neue Rolle zu finden: "Wir kämpfen etwa mit dem Problem, kompetente Partner für Forschungsaufträge in Afrika zu finden, die wir in unsere Studien einbinden können", beklagt Günther Fischer vom IIASA, dem International Institute for Applied Systems Analysis, in Laxenburg.
Seine Studie über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern wurde beim Weltgipfel als Beitrag der österreichischen Wissenschaftler präsentiert. "Es ist allerdings unendlich schwer zu quantifizieren, was unsere Studie dort bewirkt hat", so Fischer. Dabei wird gerade das Klima die Zukunft der Ernährung und des Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern entscheidend beeinflussen. Nur sind die wissenschaftlichen Klimaprognosen bekanntlich mit Unsicherheiten verbunden. Die Forschung muss also lernen, auch unsicheres Wissen zu kommunizieren.
Werbung in eigener Sache. Die mangelnde Berechenbarkeit des Klimas sei aber eine Ausnahme, kontert der aus Österreich stammende Demograph Rainer Münz von der Humboldt-Universität in Berlin: "Die Fakten über die Bevölkerungsentwicklung liegen auf dem Tisch. Bis 2050 werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, ein Großteil davon in Armut." Deshalb müsse mehr über Familienplanung und die Bildung für Frauen geredet werden. Genau dafür betrieb Wolfgang Lutz vom IIASA im Vorfeld massiv Öffentlichkeitsarbeit, um das Thema auf die Agenda zu bringen. In den Konferenzpapieren erzielte er damit kein Echo - Fachmagazine wie "Nature" hingegen griffen das Thema sofort auf. "Die Dokumente landeten zwar in der Schublade, die öffentliche Diskussion ist aber ohnehin viel wichtiger", gibt sich Lutz keineswegs enttäuscht.
Der IIASA-Experte gehört schon zu jener Wissenschaftlerriege, die ihre Themen aktiv in die Politik einbringen wollen und sich auch nicht scheuen, direkten Kontakt mit Journalisten zu suchen. "Die Wissenschaftler sollten sich als Akteure verstehen", fordert auch Martin Jänicke von der Freien Universität Berlin. Der Umweltpolitikfachmann konnte in Johannesburg verfolgen, wie verschiedene Interessengruppen bis zuletzt versucht haben, Einfluss auf die Delegierten auszuüben. Auch die Forscher müssten daher "die Beamten an der Strippe haben". Sie sollten sie immer wieder mit brauchbaren Informationen versorgen und ihnen für Nachfragen zur Verfügung stehen. Denn schließlich seien es Beamte, die auf den Weltkonferenzen um Formulierungen streiten und letztlich die Entscheidungen treffen. Sie kurz vor den Gipfelereignissen mit Konvoluten von widersprüchlichen Studien zu versorgen sei nicht zielführend. Lobbyarbeit will eben gelernt sein.
Ulrike Schmitzer ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, arbeitet in der Ö1-Wissenschaftsredaktion und war für Ö1 beim Weltgipfel in Johannesburg.