Nichts, was wehtut
vom 13.11.2002
Umweltpolitik ist vor den vorgezogenen Nationalratswahlen am 24. November praktisch kein Thema. Dabei wird sie in den Wahlprogrammen der vier großen Parteien durchaus thematisiert. "heureka" bat einen Umweltwissenschaftler, die Positionen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und den Grünen zu lesen.
Weil die Arbeitslosigkeit in den Vordergrund gerückt ist, glauben die Parteien, Umweltschutz sei passé. Eine beherzte und konsequente Umweltpolitik vermisse ich bei allen. Besonders von den Grünen hätte ich mehr erwartet. In deren Programm lese ich: "Mit Weitblick Umwelt schützen. Atomkraftwerke, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Transitlawine - Umweltthemen lassen kaum jemand kalt." Das stimmt. So geht das aber weiter, da steht nicht, was man konkret tun soll, welche Maßnahmen in welcher Zeit und mit welchen Kosten verbunden sind. Solange man nicht weiß, wie etwas rennen soll, kann man schwer etwas dagegen sagen. Darum sehe ich auch keinen Willen, ernsthaft etwas zu verändern.
Zeitgemäß ist an den Wahlprogrammen vor allem die Keimfreiheit, in der sie formuliert sind. Originell ist da nichts, umweltpolitische Prioritäten sind mir nicht aufgefallen. Eine Vorsorgepolitik fehlt völlig in den Programmen. Wie üblich in Österreich muss erst etwas geschehen, damit etwas geschieht. Umweltprobleme repariert man aber nicht mal eben, wenn sich das Klima verändert hat oder die Mure runtergegangen ist. Ich vermisse auch, dass Probleme im Gesamtzusammenhang angeschaut werden.
Die Politik nimmt die Umweltprobleme zu wenig wahr. Dabei mangelt es nicht an Informationen. Der Umweltbericht wäre kein Wälzer, wenn alles in Ordnung wäre. Der 1995 verabschiedete Umweltplan umfasste 357 konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz mit Zeitvorgaben, ob das innerhalb zwei, fünf oder zehn Jahren machbar wäre. Viele Wissenschaftler haben sich damals unentgeltlich den Kopf zerbrochen und sind bis heute frustriert. Der Umweltplan ist nämlich zunächst von allen Parteien abgesegnet und hinterher ignoriert worden. Meines Wissens ist kein einziger Punkt im Sinn des Umweltplanes umgesetzt worden.
Alle Wahlprogramme sind locker formuliert, aber die Sprache ist nicht ehrlich. Probleme werden verschwiegen, wenn es wehtäte, sie zu lösen. Es gibt keine Debatte über eine ökologische Steuerung der Abfallströme. Konfliktträchtige Themen wie Transit werden eher ausgespart. Später wird man sagen, die EU sei schuld am massiv steigenden Lkw-Verkehr. Die EU ist eine gute Ausrede für alles, was man unterlässt. Keine Partei scheint bereit, die durch Erosion, Dünger und Spritzmittel verursachten Bodenprobleme aufzuarbeiten. Wie man sich das europäische Tierschutzgesetz vorstellt, das derzeit vorbereitet wird, bleibt ein Rätsel. Niemand thematisiert Lärmschutz, auch Arten- und Naturschutz kommen fast nicht vor. Man beschränkt sich auf gefällige Politik.
Wenn sich die Grünen zur "Nachhaltigkeit in Umwelt- und Naturschutz" bekennen, ist das trivial. Dazu bekennen sich alle. "Sicherung unserer Existenz in der Gegenwart und der Zukunft unserer Kinder" - das ist so banal, dass es schon fast genial ist. Mich stört, dass heute Banalitäten verkauft werden. "Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken" - auf diesem Niveau wird das behandelt. Heute geht es eben nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Personen. Die Programme sind sozusagen Fußnoten zu den Kandidaten, die im Vordergrund stehen.
Die ökologische Steuerreform wird hierzulande nur bei den Grünen angesprochen, und das auch nur in ziemlich groben Zügen. Bei der SPÖ habe ich die Ökosteuer nicht gefunden, das ist ihr zu brisant. Bei der ÖVP heißt eine Überschrift "Energiepolitik: Erfolgsstory fortsetzen". Man redet von einer Erfolgsstory, obwohl Österreich das Klimaprotokoll von Kioto nicht wird einhalten können. Bis 2008 fordert die ÖVP einen Ökostromanteil von sage und schreibe 78 Prozent - das ist Bauernfängerei.
Von der FPÖ habe ich wenig Umweltpolitisches erwartet. Aber sie fällt gegenüber den anderen Parteien nicht mal ab. Sie zielt allerdings auf einzelne Punkte, ohne der Komplexität der Probleme gerecht zu werden. "Erhöhung des Anteils der Biomasse und Windenergie", heißt es da, aber dass ein steigender Anteil der Energie aus erneuerbaren Trägern kommen soll, ist schon gesetzlich festgelegt. Die FPÖ fordert also, was eh schon im Gesetz steht. Außerdem verlangt sie die Kennzeichnung von Strom, ob er aus erneuerbarer Energie ist - technisch ist diese Unterscheidung gar nicht möglich.
Auch in den Programmen ist vieles nicht unterscheidbar. Nachhaltigkeit predigen alle, aber eine Politik, die sich nachhaltig nennt, darf nicht alles zubauen, die Böden nicht davonschwimmen lassen und nicht zulassen, dass die klimaschädigenden Emissionen zu- statt abnehmen. Es fehlt ein Forum, wo man sich in diesen Fragen über Partei- und Fachgrenzen hinweg verständigen kann. Außerdem brauchen wir wieder ein starkes eigenständiges Umweltministerium.
Aufgezeichnet von Stefan Löffler.
Werner Katzmann engagiert sich seit mehr als dreißig Jahren im Umweltschutz. Er lehrt Landschaftsökologie an der Wiener Technischen Universität und ist Mitgründer einer lokalen Partei, der Wolkersdorfer Umwelt-Initiative.