Eine Frage der Einteilung
vom 02.07.2003
Die Kunstgeschichte hat die Visualisierungen der Forschung als Gegenstand ihrer eigenen Forschungen entdeckt. "heureka" sprach mit drei Kunsthistorikern über das Sammeln, Zeigen und Beforschen von Bildern der Wissenschaften - und darüber, welche Erfahrungen sie mit den Bildproduzenten gemacht haben.
Die erste Adresse für alle, die sich im deutschsprachigen Raum mit dem Umgang mit Visualisierung in der Wissenschaft befassen, ist derzeit das Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität in Berlin. Kunst- und Wissenschaftshistoriker, Kultur- und Literaturwissenschaftler, Mathematiker und Informatiker forschen, lehren und sammeln gemeinsam zum Thema Bilder der Wissenschaft. Am Anfang stand die Digitalisierung der Sammlungen der eigenen Universität, mittlerweile ist ein zweites Datenbankprojekt dazugekommen: Im Projekt "Das technische Bild" sollen ab Herbst wissenschaftliche und technische Bilder aus aller Welt seit Erfindung des Buchdrucks im Internet zugänglich gemacht werden.
"Wir sind nicht ein weiteres Archiv oder eine Sammlung mehr", sagt Gabriele Werner, die die Forschungsdatenbank zusammen mit Horst Bredekamp konzipiert hat, "sondern wir verknüpfen die Bilder, um die Möglichkeit zum Vergleich zu schaffen." Jedes Bild erhält durchschnittlich dreißig Schlagworte sowohl nach inhaltlichen wie auch formalen Kriterien wie Muster, Formen und Farben. So, erklärt Werner, werde die visuelle Kultur der Wissenschaft quer über Fachgrenzen und Epochen hinweg erschlossen und vergleichbar.
Ein Bildersammler etwas anderer Art ist Markus Lohoff. Ursprünglich war der Aachener Kunsthistoriker von seiner Universität beauftragt worden, die ästhetischen Aspekte aller dort vertretenen Disziplinen in einer Ausstellung zu würdigen. Mittlerweile ist das Projekt auf ein Buch eingeschrumpft - aber keineswegs "nur ein Buch": In Arbeit ist ein stolzer Bildband, der dem "Bildhandeln" von 120 Wissenschaftlern aus nahezu allen möglichen Fächern der Rheinisch-Westfälischen Hochschule nachspürt.
"Ich war erstaunt", berichtet Lohoff über seine Recherchen, "wie stark sich Wissenschaftler mit ihrem Tun identifizieren und dieses als ästhetisch begreifen. Aber gleichzeitig berufen sie sich darauf, das Ästhetische auszuklammern." Neben vielen Forschern, die sich freuten, einmal über die Schönheit ihrer Arbeit zu sprechen, stieß er auch auf Fachvertreter, "die nicht in diese Richtung gestellt werden wollen. Für die ist Bild Trug. Die Formel zählt, der Logos, das Symbol." Gewohnt, Einteilungen nach Bildtechniken oder Intentionen vorzunehmen, ist Lohoff bei den Bilder produzierenden Wissenschaftlern an Grenzen gestoßen: "Kategorisieren fällt hier schwer."
Peter Geimer ist froh, dass er sich nicht mit allzu breit angelegten Übersichten herumschlagen muss. Der Kunsthistoriker forscht lieber in die Tiefe - und das trotz seiner disziplinären Herkunft - am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Am interessantesten findet Geimer, dessen Spezialgebiet die Geschichte der Fotografie ist, die Zufälle und Irrtümer. Zum Beispiel den von Arthur Goodspeed, dem 1890 die erste Röntgenaufnahme glückte, ohne dass er ahnte, was ihm da gelungen war. Sechs Jahre später, kurz nach Wilhelm Röntgens Veröffentlichung, meldete er in einem Brief an die Zeitschrift "Science" seine "Entdeckerschaft ohne Entdeckung" an, wie Geimer sagt. Am liebsten würde er nach Pennsylvania fahren und dort in den Archiven mehr über den armen Goodspeed erfahren.
Eine Tagung über "Bild und Evidenz", die er im Oktober am Wiener Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) organisiert, ist fachübergreifend angelegt. Für ihn ist klar, dass die Interpretationsmacht über die Bilder der Wissenschaftsgeschichte nicht bei einer einzigen Disziplin liegen kann. In diesem Sinn ist allerdings Horst Bredekamp (miss-)verstanden worden, als er in den letzten Jahren für eine Weiterentwicklung der Kunstgeschichte zur historischen Bildwissenschaft plädierte - nämlich als Abstecken neuer, aus Sicht vieler Wissenschaftshistoriker jedoch bereits besetzter Claims.
Immerhin ist Bredekamp einer der einflussreichsten deutschsprachigen Vertreter seines Fachs und einer der wenigen, die auch außerhalb davon wahrgenommen werden. Auch die im Frühjahr erstmals erschienene Schrift "Bildwelten des Wissens", die er zusammen mit Gabriele Werner herausgibt, kann als Einsatz in diesem Spiel interpretiert werden. Sie selbst sagt, sie mache diese Zuständigkeitsdebatte nicht mit (siehe Interview).
Die Bildwissenschaftlerin, die sich seit ihrer Dissertation über "Mathematik im Surrealismus" mit den Wechselwirkungen und Parallelen zwischen Kunst und Wissenschaft befasst, übernimmt im Wintersemester den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst. Lehre und Forschung zum wissenschaftlichen Bild war der ausschlaggebende Grund für ihre Berufung.
Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 1,1. Berlin 2003 (Akademie Verlag). 124 S., e 29,80
Peter Geimer (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie. Frankfurt a.M. 2002 (Suhrkamp). 443 S., e 15,30