Die Biomechanik des Carvens

Robert Czepel
vom 07.07.2004

Die Sportwissenschaft ist eine international etablierte akademische Disziplin, mit einem überraschend breiten Themenspektrum. Auch Österreicher mischen im internationalen Forschungsbetrieb an vorderster Front mit. Und zwar - wie nicht weiter überraschend - im Ski- und Wintersportbereich. Eine Spurensuche.

Sportforschungsrollen. Was Hirnforscher, Physikerinnen oder Soziologen so an ihren Universitätsinstituten treiben, davon hat man eine ungefähre Vorstellung. Woran aber forschen eigentlich Sportwissenschaftler? Joachim Mester von der Sporthochschule Köln, einer der Doyens der deutschen Sportwissenschaft, bekommt solche Grundsatzfragen offenbar öfter gestellt. Entsprechend lakonisch fällt jedenfalls seine Antwort aus: "Bei normalen Projekten untersuchen wir die Rolle vorwärts, bei Großprojekten die Rolle rückwärts."

Tatsächlich findet an der Sporthochschule Köln, einer der Hochburgen dieser Disziplin, knallharte Grundlagenforschung statt. Etwa im Bereich Mikrogravitationsforschung, bei der in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt der Knochensubstanz- und Muskulaturverlust im Zustand der Schwerelosigkeit untersucht wird. Oder im Bereich Molekularbiologie: Hier werden am Tiermodell jene biochemischen Vorgänge aufgeklärt, die auch in den Körpern der menschlichen Athleten zum Tragen kommen.

Die Arbeitsweise im Labor unterscheidet sich nicht wesentlich von jener an biologischen oder medizinischen Instituten. Ist die Sportwissenschaft also zu den Naturwissenschaften zu rechnen? "Nein", meint Mester, "sie ist eine anwendungsorientierte Querschnittswissenschaft, die Kontaktflächen zu vielen anderen Disziplinen unterhält. Ganz ähnlich, wie das etwa auch bei der Verkehrs- oder Ernährungswissenschaft der Fall ist."

Dies drückt sich auch in der Aufteilung der Fachbereiche an der Kölner Hochschule aus: Zwei von drei sind medizinisch-naturwissenschaftlich orientiert, im dritten Fachbereich beschäftigt man sich ausschließlich mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Aspekten der Körperertüchtigung. Solche Themenvielfalt herrscht freilich nur an großen Sporthochschulen wie jener in Köln mit 200 wissenschaftlichen Mitarbeitern, die 7000 Studierende betreuen.

Skispitzenforschung. Dass internationale Anerkennung auch im kleineren Rahmen zu erreichen ist, zeigt das Beispiel Salzburg. Am sportwissenschaftlichen Institut der Universität gibt es vier Habilitierte und sechs wissenschaftliche Mitarbeiter. Über Drittmittel werden 14 weitere Forscher finanziert. Trotz dieser eher kleinen Belegschaft befindet man sich im Bereich der Ski- und Wintersportforschung an der Weltspitze. Gemeinsam mit der Skifirma Atomic betreibt die Universität Salzburg ein Christian-Doppler-Labor, in dem unter anderem die Biomechanik des Carvingschwungs untersucht wird. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Produktentwicklung ein, was wiederum der Performanz der heimischen Ski-Cracks zugute kommen dürfte. Schließlich vertraut ein Großteil des ÖSV-Teams auf die roten Latten aus dem Salzburgischen.

Allerdings arbeite man keineswegs nur im Bereich des Spitzensports, betont der Vorstand des Salzburger Instituts Erich Müller. So wurden etwa kürzlich die sportmedizinischen Grundlagen des Bergwanderns untersucht. Hier zeigt sich klar der Unterschied zwischen Sportlern und Untrainierten: Erstere profitieren körperlich vom Bergwandern, sie reagieren biopositiv, so der Fachbegriff. Personen mit schlechter Fitness sind hingegen der Gefahr der Abnützung des Bewegungsapparates ausgesetzt. Müller und Mitarbeiter haben nun im Detail erhoben, warum das so ist und was man dagegen tun kann. Schließlich ist der Bergsport ein touristisch äußerst wichtiger Wirtschaftsfaktor. Empfehlung des Forschers: kleine Schritte machen, wenn möglich auch Bergstöcke benützen.

Grundsätzlich gilt für die Bewegung das alte Prinzip von Paracelsus, demzufolge sich die Wirkung immer über die Dosis definiert. Der Unterschied im Sport ist nur, dass nicht nur das Zuviel schädlich sein kann, sondern auch das Zuwenig. Müller sieht in Übereinstimmung mit seinem Fachkollegen Joachim Mester vor allem im Bereich des Zuwenig eines der zukünftigen Betätigungsfelder der Sportwissenschaft. Denn: Der schlechte Gesundheitszustand der Jugendlichen infolge Bewegungsmangels sei Besorgnis erregend und lasse mit Blick auf die Zukunft "die Alarmglocken läuten". Hauptaufgabe sei es daher, nicht nur sportmedizinische Heilungsempfehlungen zu geben, sondern vor allem Konzepte zu entwickeln, um Menschen aus ihrer körperlichen Wohlstandsträgheit herauszuholen.

Mentaltrainingsmotivation. "Wenn man sich einredet, man ist müde, dann ist man müde", wusste Lothar Matthäus schon, als er noch Profifußballer war. Was er vermutlich damit meinte: Erfolg im Sport ist nicht zuletzt von der Motivation abhängig, mithin also Kopfsache. Diesem Zusammenhang geht die Sportpsychologie auf den Grund, die allerdings in Österreich ein eher vernachlässigtes Dasein fristet. Die einzige außerordentliche Professur existiert an der Universität Wien, Günter Amesberger hat sie inne. International gesehen boomt die Disziplin jedoch, betont der Wiener Sportpsychologe.

Im Bereich Leistungssport untersucht Amesberger unter anderem die Wirkung mentaler Trainingstechniken. Beispielsweise durch Biofeedback: Dabei werden etwaige Stresszustände anhand gewisser Parameter wie des Hautleitwerts, der Atemfrequenz oder der Muskelspannung gemessen und dann durch Interventionen im körperlichen, emotionalen und sozialen Bereich reduziert. Ziel sei es, dem Athleten zur absoluten Konzentration auf seine Tätigkeit zu verhelfen. "In der Performance bleiben" nennt Amesberger diese Fähigkeit von Sportlern, auch unter größtem Druck bei der Sache zu bleiben.

Medaillenerfolgspsychologie. Freilich bleibt es nicht nur bei der Theorie, denn Amesberger betreut auch Athleten im Wettkampf. Offensichtlich mit Erfolg: Die von ihm gecoachten österreichischen Segler holten bei den letzten Olympischen Spielen in Sydney zwei Goldmedaillen, auch die Ruderer führte er im Jahr 2001 zum WM-Sieg. Heißt das also, dass man heutzutage ohne psychologische Betreuung gar keinen Erfolg haben kann? Nein, meint Amesberger: Es gebe sehr wohl Personen, die das auch ohne mentale Betreuung bewerkstelligen.

ÖSV-Star Stefan Eberharter sei dafür etwa ein Beispiel: "Solche Charaktertypen zeichnen sich durch eine extrem hohe Zielorientiertheit aus", so Amesberger. Ein Blick auf die Ergebnislisten der vergangenen Abfahrtssaison bestätigt das im doppelten Sinn: Eberharter war einfach schneller dort als seine Konkurrenten. Im Ziel nämlich.

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