science@fiction

Daniel Kehlmann
vom 07.07.2004

Gut, dass es jetzt vorbei ist! Eine Weile reden im Fernsehen keine Intellektuellen mehr über Fußball. Keine hastig zurechtgemachten Theorien darüber, dass die Gesamtzahl der Objekte auf dem Feld in etwa jener der Buchstaben des Alphabets entspricht, also sozusagen gelesen werden kann wie ein Text, keine Ausführungen über die Lessing'sche Dramaturgie des Ereignisses, nichts über Gender-Differences im Rezeptionsverhalten der Zuschauer, man bleibt verschont von Gesängen über die Poesie des Kampfes ums Leder. Einige Zeit wird man nicht die Gesichter von Javier Marías und Klaus Theweleit sehen, und auch nicht die all jener Provinzdichter und leicht erschreckenden Kulturwissenschaftler, die nur mehr bei Fußballereignissen in die Nähe einer Kamera kommen und sich verschwitzt bemühen, irgendetwas zum Thema zu äußern, das nicht jeder andere ohne Veröffentlichungsliste genauso sagen könnte.

Wir müssen nicht Soziologen zitieren, um zu belegen, dass es lesende Kinder im Sportunterricht selten leicht haben. Beim Völkerball werden sie als Letzte gewählt, beim Fußball freut sich keiner, sie in der Mannschaft zu haben, oft fälschen sie Entschuldigungsschreiben, um der Turnstunde zu entgehen. Später, aus der sicheren Position des akademisch bestallten Prominenten, können sie dann den Spieß umdrehen, im Fernsehen erzählen, wie fußballverrückt sie immer schon gewesen seien, und sich gemeinsam mit Kulturmoderatoren, bei denen es genauso war, als erfahrene Kenner geben.

Das Unangenehmste daran ist ihre Herablassung. Im Grunde nämlich haben sie immer noch die alte Verachtung für den Sport. Jawohl, die meisten Kulturmagazine haben ausführlich über Günter Netzers Buch berichtet - und zwar in einem Ton des verblüfften Amüsements, als hätte es ein sprechender Affe verfasst. Die Fußballmeisterschaft in Feuilleton und Kulturfernsehen, das ist jedes Mal wieder die große Rache der Kinder, die nicht mitspielen durften. Und die sollen sie ja auch haben. Aber wie schön, wenn es dann wieder vorbei ist.

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