Die Haut des Nacktmulls
vom 03.10.2007
An Würmern, Fliegen und Mäusen erforschen Molekularbiologen, welche Gene am Altern beteiligt sind, um diese Prozesse beim Menschen besser zu verstehen. Aber auch von Opossums und dem Nacktmull kann man einiges über das lange Leben lernen.
Der Wurm als Modell. Er wird in drei bis vier Tagen erwachsen und lebt gerade einmal drei bis vier Wochen. Nicht zuletzt seine Kurzlebigkeit macht den ein Millimeter langen Fadenwurm zu einem der "Haustiere" der Molekularbiologen. Er ist - wie die Bäckerhefe, die Fruchtfliege oder die Maus - ein sogenannter Modellorganismus, also ein Lebewesen, das von der Wissenschaft besonders gerne und genau erforscht wird.
Caenorhabditis elegans, wie der Wurm auf Lateinisch heißt, war denn auch der erste mehrzellige Organismus, dessen Genom sequenziert wurde. Das war 1998. Bereits mehr als zwanzig Jahre zuvor begannen Molekularbiologen am Wurm zu untersuchen, welchen Einfluss die Gene auf das Altern haben könnten.
Konkret suchten sie nach Stämmen, die länger lebten, weil eines ihrer Gene verändert war. Und sie wurden fündig: Mutanten, die den Namen age-1 bekamen, lebten im Durchschnitt um sechzig bis achtzig Prozent länger als normale Fadenwürmer. Die Wissenschaft reagiert skeptisch: Es schien unwahrscheinlich, dass die Veränderung eines Gens einen so dramatischen Einfluss haben könnte.
Anfang der Neunzigerjahre fand die kalifornische Molekularbiologin Cynthia Kenyon ein anderes Fadenwurmgen, das noch drastischere Auswirkungen auf das Altern hat: Wenn das Gen mit dem Namen daf-2 seine Aktivität reduziert, was wiederum Einfluss auf die sogenannte Insulin/IGF-Signalübertragung hat, verdoppelte sich die Lebenserwartung der Würmer, die in jeder Hinsicht stressresistenter wurden. Zusätzlich verlängerte sich die Lebenszeit von Kenyon dadurch, dass sie die daf-2-Mutanten auch noch kastrierte und ihnen weniger zu fressen gab. Diese Tierchen konnten dann zwar keinen Sex mehr haben und waren auf Diät gesetzt, lebten dafür aber sechsmal länger als ihre normalen Artgenossen. Umgelegt auf den Menschen würde das 500 Jahre bedeuten.
Von Mäusen und Menschen. Zunächst einmal stellte sich aber die Frage, ob diese oder ähnliche Gene - und das, was sie regelten - auch bei anderen Tieren die Lebensdauer so nachhaltig beeinflussen konnten. Was lag näher, als einen anderen beliebten Modellorganismus der Molekularbiologie für Vergleiche heranzuziehen. Und tatsächlich zeigt sich auch bei der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster), dass eine reduzierte Insulin/IGF-Signalübertragung das Leben der Tiere um rund 85 Prozent verlängert.
Bei Würmern und Fliegen handelt es sich um kurzlebige, wirbellose Organismen. Wie aber verhält es sich bei Mäusen? Und funktioniert das womöglich auch beim Menschen? Bei Mäusen hängt es davon ab, wo im Körper der Insulinrezeptor abgeschaltet wird. Wird seine Aktivität im Fettgewebe reduziert, hatte das tatsächlich eine lebensverlängernde Auswirkung. In den übrigen Geweben hatte der Eingriff die gegenteilige Wirkung: Er führte zu Diabetes des Typs II.
Und das passiert bei einer reduzierten Insulin-Signalübertragung leider auch beim Menschen: Statt gesunder Langlebigkeit kommt es zu Krankheiten, die noch dazu für vorzeitiges Altern typisch sind. Womöglich hilft aber eine leichte Reduktion. Die wahrscheinlich lebensverlängernde Wirkung von reduzierter Kalorienzufuhr auch bei uns Menschen scheint darauf hinzudeuten, während die einzelnen Gene sich weniger stark auf das Altern auszuwirken scheinen, wie Zwillingsstudien zeigen (s. S. 6 ff.).
Die Lehre des Opossums. Liegt es also an der Umwelt? Um deren Einflüsse besser zu verstehen, hat der US-amerikanische Zoologe Steven Austad einen ganz anderen Weg zur Erforschung von Alterungsprozessen bei Tieren gewählt. Anstatt die molekularen Mechanismen des Alterns anhand von kurzlebigen Modellorganismen im Labor zu untersuchen, widmet er sich Tieren in freier Wildbahn. Und im Besonderen solchen Tierarten, die auffällig länger oder kürzer leben als ihre näheren Verwandten.
Auf die Idee brachte ihn, wie so oft, der Zufall - in Gestalt von Opossums, die ihm unbeabsichtigt in seine Lebendfallen gingen, mit denen er in Venezuela eigentlich südamerikanische Wildhunde fangen wollte. Der zoologische Altersforscher von der University of Texas fand heraus, dass die Opossums vergleichsweise schnell altern: Die Lebenserwartung der von ihm unter die Lupe genommenen Population betrug gerade einmal zwei Jahre.
Etwas anders sah es bei einer Opossumkolonie auf einer kleinen Insel vor der US-amerikanischen Ostküste aus: Dort hatten die Tiere keine Feinde - und alterten um fünfzig Prozent langsamer. Austads Schlussfolgerung: Aufgrund der Gefährdung durch viele Fressfeinde leben die Opossums in Venezuela schnell, sie vermehren sich rasch und sterben früh. Weil sie in ständiger Gefahr leben, haben sie auch kein gutes Immunsystem ausgebildet, um alt zu werden.
Vorbild Nacktmull. Dass umgekehrt ein Leben in Sicherheit und ohne die beständige Angst vor Feinden den Tod nach hinten verschiebt, konnte Austad zuletzt auch an vergleichenden Experimenten mit Nacktmullen zeigen. Die Nager leben in riesigen unterirdischen Bauten in Ostafrika, haben dort keine natürlichen Feinde und werden bis zu 28 Jahre alt, während Labormäuse höchstens drei Jahre schaffen.
Doch warum ist das so? Um die Frage zu beantworten, entnahmen Austad und seine Mitarbeiter den Mäusen und Nacktmullen Fibroblasten, also jene Hautzellen, die Kollagen produzieren, und setzten sie schädlichen Umweltfaktoren aus: einer giftigen Chemikalie und Gammastrahlen. Dabei zeigte sich, dass die Nacktmullzellen den Umweltstress im Labor weit besser verkrafteten als jene ihrer nahen Verwandten, der Mäuse.
Die Erklärung liegt für die Forscher auf der Hand: Die gefahrlose Lebensweise der Nacktmulle im Untergrund wirkt sich prächtig auf ihre Widerstandskraft und die körpereigenen Reparaturmechanismen aus. Mit anderen Worten: je weniger Stress und Risiko, desto länger das Leben. Was man immer schon geahnt hat, aber nun eben auch durch den Nacktmull wissenschaftlich bestätigt wurde.