Wettlauf gegen das Vergessen

Sabina Auckenthaler
vom 03.10.2007

Alzheimer ist die Alterskrankheit schlechthin. Durch die steigende Lebenserwartung droht die Demenzerkrankung zur Epidemie zu werden. Allen Anstrengungen zum Trotz kann die Medizin derzeit nur mit Lösungsansätzen aufwarten.

Risikofaktor Alter. "Was können wir Alzheimerkranken heute anbieten? Ein paar Medikamente, die die Symptome etwas lindern und einen kurzen Aufschub der Krankheit ermöglichen. Das ist es." Alexander Kurz sieht nach wie vor keinen Grund zur Euphorie. Der Leiter des Zentrums für kognitive Störungen an der Psychiatrischen Klinik der TU München beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit der Erforschung von Alzheimer.

Obwohl Demenzerkrankungen kein neues Phänomen sind, nimmt ihre Brisanz zu. Bis sechzig erkrankt kaum jemand, danach steigt der Risikofaktor alle drei Jahre um drei bis vier Prozent an. Annähernd fünfzig Prozent der Neunzigjährigen leiden an einer Art der senilen Demenz. Von Alzheimer waren 2006 weltweit 26 Millionen betroffen, errechneten Forscher der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität.

Angesichts der steigenden Lebenserwartung soll bis 2050 die Zahl auf mehr als 106 Millionen Fälle ansteigen, wenn der medizinische Durchbruch weiterhin ausbleibt. Allein in Österreich sind derzeit rund 70.000 Menschen betroffen, in vierzig Jahren könnten es 150.000 sein. Die persönlichen Tragödien sind das eine, die steil in die Höhe schießenden Kosten das andere. Bereits jetzt verschlingt die Krankheit weltweit jährlich 193 Milliarden Euro, so die Schätzung von Anders Wimo vom Karolinska-Institut in Stockholm.

Fatale Eiweißklumpen. Indessen forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt an wirksameren Medikamenten, um die Krankheit aufzuhalten. Die meisten Ansätze zielen dabei auf das für Alzheimer typische Beta-Amyloid im Gehirn ab, das als Hauptschuldiger für den Gedächtnisverfall gilt, der unaufhaltsam im völligen Verlust des Verstandes endet.

Beta-Amyloide sind winzige Proteinteilchen, die auch bei gesunden Menschen vorkommen, da sie eine wichtige Rolle im Fettstoffwechsel spielen.

Kommt es aber im Gehirn zu Verklumpungen dieser Eiweißsubstanz, sind die Folgen verheerend: Beta-Amyloide bilden Plaques, also einen harten Belag um die Nervenzellen, und führen schließlich zu deren Absterben - die Alzheimerdemenz nimmt ihren verhängnisvollen Lauf. Was zur vermehrten Bildung dieses Amyloids im Gehirn führt, liegt - wie vieles bei der Alzheimererkrankung - im Dunkeln.

Viele Forscher überlegen daher, wie man vermeiden könnte, dass sich das Beta-Amyloid überhaupt bildet, und interessieren sich für die sogenannten Sekretasen. Das Eiweiß Beta-Amyloid wird nämlich von zwei Enzymen, der Beta- und der Gamma-Sekretase, aus einem größeren Protein (APP) herausgeschnitten. Diese Enzyme einfach an der Bildung von Beta-Amyloid zu hindern, wäre keine gute Idee. Die Sekretasen erfüllen auch noch andere Aufgaben, sie auszuschalten wäre möglicherweise mit unvorhersehbaren Nebenwirkungen verbunden.

Derzeit laufen mehrere Studien mit Entzündungshemmern, von denen man sich erhofft, dass sie nur die Funktion der Beta-Amyloid-Bildung, nicht aber andere Aufgaben der Enzyme beeinträchtigen. Als vielversprechend gelten auch die sogenannten Statine, die eigentlich als Cholesterinsenker eingesetzt werden. Ein hoher Cholesterinspiegel im Gehirn begünstigt die Produktion von Beta-Amyloid und somit die Bildung der Alzheimer-Plaques. Aber auch hier stehen die klinischen Nachweise noch aus.

Vorbeugen durch Impfung? Am besten wäre es natürlich, wenn man den Körper gleich immunisieren könnte - eine Impfung gegen Gedächtnisverfall sozusagen. Bereits vor einigen Jahren schien eine solche in greifbarer Nähe. Als die Pharmaunternehmen Elan und Wyeth-Ayerst im Jahr 2000 auf dem Alzheimer-Weltkongress in Washington erste Ergebnisse einer Impfstudie an 24 Patienten präsentierten, wurde dies als Sensation gefeiert.

Die Patienten hatten eine synthetische Variante des Beta-Amyloids gespritzt bekommen, welches bei Mäusen eine Immunreaktion gegen die Eiweißablagerungen bewirkte. In einer späteren Studienphase (II) entwickelten dann aber 18 der 298 geimpften Personen eine Gehirnhautentzündung, zwei starben daran. Die Studie wurde sofort abgebrochen, der Traum einer einfachen Impfung war vorerst geplatzt.

Einige Jahre später wollte eine Schweizer Forschergruppe wissen, wie sich die Krankheit bei den geimpften Probanden entwickelt hatte. Das Ergebnis überraschte und gab der Impfidee wieder neuen Auftrieb: die Patienten hatten immer noch einen erhöhten Spiegel an Beta-Amyloid-Antikörpern und schnitten auch bei bestimmten neuropsychologischen Standardtests besser ab.

Untersuchungen an inzwischen verstorbenen Teilnehmern der abgebrochenen Studie ließen sogar die Deutung zu, dass sich Plaques teilweise wieder aufgelöst haben könnten. Derzeit werden weltweit in einigen Studien wieder solche Impfstoffe getestet. Wann und ob überhaupt es einen Alzheimer-Impfstoff geben wird, kann heute niemand mit Gewissheit sagen.

Diagnosepuzzle. Inzwischen kommen jährlich rund 600.000 Alzheimerkranke allein in der EU dazu. "Oft werden sie leider erst sehr spät diagnostiziert", sagt Peter Dal-Bianco, Leiter der Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen an der Wiener Universitätsklinik für Neurologie. Zu ihm kommen zumeist Menschen, bei denen Anzeichen einer Gedächtnisschwäche nicht mehr zu übersehen sind.

Einen einfachen Test für Alzheimer gibt es heute nicht, die Diagnose muss aus mehreren Puzzlesteinen zusammengesetzt werden. "Nicht jeder, der vergesslich ist, hat Alzheimer", betont Dal-Bianco. Zunächst müssen andere Ursachen wie Depressionen oder kleine Gefäßverletzungen im Kopf ausgeschlossen werden. Im Gespräch mit dem Patienten und den Angehörigen - im Falle einer Demenz ist auf die Angaben des Patienten kein Verlass - verschafft sich der Neurologe ein erstes Bild. Ein spezieller neuropsychologischer Test vergleicht die Fähigkeiten des Patienten mit der Altersnorm.

Neben Alzheimer kommen auch andere neurodegenerative Demenzformen infrage. Bei der Lewy-Body-Demenz, der zweithäufigsten Form, treten zum Beispiel oft Halluzinationen auf: "Dann glaubt jemand vielleicht, seinen vor langer Zeit verstorbenen Hund unter dem Tisch zu sehen", sagt Dal-Bianco. Bei Alzheimer dagegen sei zunächst vor allem das episodische Gedächtnis betroffen. Mit hundertprozentiger Sicherheit kann man Alzheimer erst post mortem anhand der Eiweißplaques im Gehirn diagnostizieren.

Erfolge bei Früherkennung. "Fast alle Erfolge, die wir bisher in der Behandlung erzielen, fallen in die frühen Phasen der Krankheit", sagt Konrad Beyreuther. Der Leiter des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg vergleicht die Krankheit mit einem Kabelbrand: "Wenn es richtig losgeht, ist er nicht mehr zu stoppen." Beyreuther setzt als Biochemiker bei der Frühdiagnose auf die Untersuchung des sogenannten Liquor cerebrospinalis, der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit. Die Methode sei günstiger als bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomografie (MRT) oder Positronenemissionstomografie (PET), an deren Einsatz als Diagnostikverfahren bei Demenz ebenfalls geforscht wird.

Bei der Liquoranalyse wird neben der Konzentration von Beta-Amyloid auch die des Tau-Proteins gemessen. Dieses gilt nämlich neben dem Beta-Amyloid als weiterer Hauptverdächtiger bei der Entstehung der Gehirnkrankheit. Bei Alzheimerpatienten ist die Beta-Amyloid-Konzentration in der Gehirnflüssigkeit fast auf die Hälfte reduziert, der Tau-Protein-Wert dagegen stark erhöht. Eine Rolle spielt zudem eine veränderte Form des Tau-Proteins.

"Aus diesen drei Parametern zusammen lässt sich dann eine Diagnose erstellen", erklärt Christian Humpel, Leiter des Psychiatrischen Labors für Experimentelle Alzheimerforschung an der Medizinuniversität Innsbruck. Hier wird das Diagnoseverfahren seit zwei Jahren eingesetzt, derzeit bei rund 120 Patienten pro Jahr. Für einen routinemäßigen Scan aller Risikopatienten ist dieses aufwendige Verfahren derzeit aber nicht geeignet: "Das Problem sind die Graubereiche", erklärt Humpel, "wenn die Messwerte zum Beispiel nur leicht von der Norm abweichen oder nur einer der drei Parameter auffällig ist, können wir keine zuverlässige Diagnose stellen."

Vorbeugen. Ob sich Forscher in letzter Zeit vermehrt der Vorbeugung von Alzheimer zuwenden, weil der medizinische Durchbruch ausbleibt? Mehrere Studien der letzten Jahre deuten darauf hin, dass bestimmte Faktoren das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, beeinflussen: zum Beispiel Bewegung und Ernährung. Erst vor einem Jahr erregte eine US-amerikanische Studie Aufmerksamkeit, wonach Probanden, die sich an die Prinzipien der griechisch-mediterranen Ernährung hielten - also Olivenöl, Hülsenfrüchte, Getreide, Obst und Gemüse, wenig Fleisch, dafür mäßig Fisch, Milch und Wein - deutlich seltener an Alzheimer erkrankten. Alzheimerspezialist Alexander Kurz warnt aber vor übereilten Schlussfolgerungen: "Wie bei allen Studien, die auf Befragungen bezüglich der Lebensgewohnheiten beruhen, können wir nicht mit Sicherheit sagen, was schlussendlich den Unterschied bewirkt hat." Das gelte übrigens auch für Untersuchungen, nach denen Menschen mit höherer Bildung oder einem Leben, das von geistig anregenden Tätigkeiten geprägt ist, ein geringeres Risiko hätten. Es sei zwar möglich, dass Personen, die über gute geistige Ressourcen verfügen, die Demenzsymptome länger kompensieren können. Daraus zu schließen, Kreuzworträtsel zu lösen senke das Alzheimerrisiko, sei aber leider zu einfach.

Literatur

Die Fotos von Ursula N. (links) und Fritz S. (S. 16) stammen ausdem einfühlsamen Bildband von Petra und Michael Uhlmann: Was bleibt... Menschen mit Demenz. Porträts und Geschichten von Betroffenen.Frankfurt a. M. (Mabuse). 102 S., € 25,60

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