"Das hat mich nie mehr losgelassen"
heureka!: Sie sind einer der wichtigsten Geruchsforscher weltweit. Wie kommt man eigentlich auf dieses Forschungsthema?
Hanns Hatt: Das war Zufall. Während meines Biologiestudiums an der Uni München suchte man am nahegelegenen Max-Planck-Institut in Seewiesen Anfang der 1970er-Jahre jemanden, der sich mit Schmetterlingen auskennt. Man wollte das Riechen bei Insekten studieren. Ich habe das dann gemacht und den Leuten dabei zugeschaut, mit welchen Methoden die das Riechen untersuchen. Und das hat mich nie mehr losgelassen.
Täuscht der Eindruck, dass die Wissenschaft vom Riechen im Vergleich zu den anderen Sinnen in den letzten Jahren besonders große Fortschritte gemacht hat?
Nein, das ist schon richtig. Das Feld hat von Linda Bucks Entdeckung der Riechrezeptoren im Jahr 1991 extrem profitiert. Danacht erlebten die Forschungen über das Chemosensorium einen unglaublichen Boom. Die Forschritte in der Forschung haben dann wieder Linda Buck geholfen, die in der Folge 2004 den Nobelpreis erhalten hat. Und das hat natürlich wiederum der Riechforschung viel Öffentlichkeit gebracht.
In den letzten Jahren hat auch die industrielle Beduftung unseres Alltags - egal ob in Hotels oder durch die Parfümindustrie - enorm zugenommen. Hat das auch mit den neuen Erkenntnissen zu tun?
Ja. Der Boom in der Forschung brachte neue Einsichten darüber, wie wichtig das Riechen eigentlich ist. Und darauf wurden wiederum die Industrie und das Marketing aufmerksam. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung lassen sich in dem Bereich auch recht schnell umsetzen. Ich habe kürzlich am European Food Congress in Zürich einen Vortrag gehalten. Da waren neben den führenden Forschern auch Leute von Nestlé oder Mövenpick, die großen Hoteliers und die wichtigen Restaurantbesitzer. Mittlerweile arbeiten die längst alle mit dem neuen Wissen über die Düfte.
In Ihrem Labor wurde der erste der 350 Geruchsrezeptoren des Menschen identifiziert. Viel mehr kennt man aber nach wie vor nicht. Warum eigentlich?
Das ist einerseits eine Frage der Forschungsgelder, andererseits ist das ganze wohl doch viel komplizierter, als es mit dem ersten entdeckten Rezeptor aussah. Mittlerweile wissen wir zum Beispiel, dass es eine ganze Reihe von Zellen, etwa im Gehirn, in der Prostata und in der Haut, gibt, die diese Riechrezeptoren herstellen.
Sie konnten auch zeigen, dass Spermien von der Eizelle durch Maiglöckchenduft angelockt werden.
Ja, und wir haben gerade erst herausgefunden, dass Spermien nicht nur diesen einen Rezeptor für Maiglöckchenduft haben, sondern vermutlich mindestens 30 verschiedene Geruchsrezeptoren für alles Mögliche.
Apropos Fortpflanzung: Evolutionäre Psychologen behaupten immer wieder, dass Pheromone unsere Partnerwahl unbewusst sehr stark beeinflussen würden. Sie scheinen in Ihrem neuen Buch diesbezüglich eher skeptisch.
Beim Menschen wurde noch kein Pheromon nachgewiesen, das irgendwie die Kriterien tierischer Pheromone erfüllt. Denn Pheromone sind per definitionem Düfte, die wir selber produzieren und die bei unseren Mitmenschen unweigerlich eine ganz bestimmte Reaktion auslösen müssten. So etwas ist beim Menschen aber nicht bekannt, auch wenn es einige Duftstoffkandidaten gibt, die das eine oder andere dieser Kriterien gut erfüllen. Aber so etwas wie bei Schmetterlingen - also dass das Weibchen einen Sexualstoff abgibt und die Männchen nicht anders können als mitzufliegen -, das gibt es bei uns sicher nicht.
Und stimmt es, dass Frauen eher jene Männer aussuchen, deren Duft nahelegt, dass sie genetisch ganz anders sind, was wiederum dem Nachwuchs eine bessere Immunabwehr verschaffen würde?
Im Tierreich hat man das für den sogenannten MHC, also den Major Histocompatibility Complex, jenen Teil des Immunsystems, der vom potenziellen Sexualpartner "errochen" wird, mittlerweile fast überall nachgewiesen. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas auch bei uns Menschen existiert, allerdings in einer viel abgeschwächteren Form. Woher das kommt - ob von einem Pheromon oder ob es erlernt wird - ist noch nicht klar. Für das Erlernen spricht jedenfalls, dass wir als Kind mit den Gerüchen der Eltern und Geschwister aufwachsen, die keine Sexualpartner sind.
Hanns Hatt, 61, promovierte in Zoologie, Humanphysiologie und Medizin und ist Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum.
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