Hören und gehört werden

Kurt De Swaaf
vom 08.10.2008

Hightech auf kleinstem Raum: Im evolutionären Wettlauf haben Insekten ihr Gehör hochgerüstet. Denn Partner wollen gefunden und Fledermäuse vermieden werden. Das Leben ist kurz

Freiluftkonzert. Es sind die Geräusche des Sommers: das Zirpen von Heuschrecken und Grillen auf den Wiesen, die Heimchen in der Stadt oder die knarrenden Gesänge der Zikaden, allgegenwärtig in den glühenden Landschaften Südeuropas. Solche Freiluftkonzerte machen einem schnell klar, dass Schall und seine Wahrnehmung nicht nur für Wirbeltiere eine wichtige Rolle spielen. "Ohren" im weitesten Sinne findet man bei Insekten an den Beinen, auf Antennen, im Brustbereich oder am Hinterleib, ja sogar an den Mundwerkzeugen.

Manche muten in ihrer Struktur äußerst sonderbar an, sind aber dennoch sehr leistungsfähig. "Unterschiedliche Insektenordnungen sind bei der Entwicklung von Gehörorganen sehr verschiedene Wege gegangen", erklärt der Biologe Heiner Römer von der Universität Graz im Gespräch mit heureka!. Es habe zwei Auslöser für die Evolution des akustischen Wahrnehmungsvermögens von Insekten gegeben: Entweder dient(e) es der Kommunikation mit Artgenossen oder der Erkennung von herannahenden Feinden. Ersteres sei wahrscheinlich bei Grillen und Laubheuschrecken der Fall, so Römer.

Bei Nachtfaltern hingegen hat sich das Gehör erst nach dem Erscheinen der ersten Fledermäuse vor etwa 50 Millionen Jahren entwickelt. Manche Arten dieser Insektengruppe können die Ultraschallortungsrufe der fliegenden Säuger sogar über Entfernungen von bis zu 40 Metern erkennen und so rechtzeitig die Flucht ergreifen.

Über Schall zum Sex. Im meist kurzen Leben der Insekten steht das Finden eines geeigneten Sexualpartners zwecks erfolgreicher Fortpflanzung ganz oben auf der Prioritätenliste. Sehr viele Arten nutzen Lockstoffe (Pheromone), andere wiederum Schallsignale. Die gefiederten Antennen männlicher Stechmücken sind z.B. mit tausenden von Sinneshärchen besetzt. Sie nehmen das - auch für menschliche Ohren bekanntlich nur zu gut hörbare - Vibrieren der Flügel weiblicher Tiere wahr. Fluglärm dient in diesem Fall also der Partnerfindung.

Für Heiner Römers Grazer Arbeitsgruppe ist die innerartliche akustische Kommunikation verschiedener Grillenspezies ein Forschungsschwerpunkt. Diese Insekten haben ihre Ohren - sogenannte Tympanalorgane - an den Vorderbeinen. Sie bestehen aus je zwei einander gegenüberliegenden Trommelfellen, dahinter befinden sich wiederum zwei Luftkammern und dazwischen eine Membran, die mit Sinneszellen in Verbindung steht. Schall kann sowohl von außen als auch über ein System von luftgefüllten Röhren von innen auf das Trommelfell einwirken. Die Differenz der beiden Schalldrücke bestimmt, wie sich das Trommelfell bewegt und wie infolgedessen die Sinneszellen erregt werden. Da dies von der Beschallungsrichtung abhängt, kann das Tier eine Schallquelle zuverlässig orten. Fachleute bezeichnen Tympanalorgane deshalb als "Druckdifferenzempfänger".

Wie genau das Gehör auch geringe Schalldruckunterschiede zu erkennen vermag und diese neuronal verarbeitet, geht aus einer neuen Studie der Grazer Forscher hervor (vgl. Biology Letters, Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1098/rsbl.2008.0367). Mittels Laborversuchen konnten die Experten nachweisen, dass Exemplare der südostasiatischen Art Mecopoda elongata sogar Lautstärkeunterschiede von lediglich ein bis zwei Dezibel wahrnehmen können. "Das ist exakt der gleiche Wert wie bei uns Menschen", betont Heiner Römer begeistert, "und umso erstaunlicher, als Insekten natürlich ein viel einfacheres Nervensystem mit nur wenigen Nervenzellen haben."

Tief ist attraktiv. Um männliche Grillen nicht nur zuverlässig zu orten, sondern sie auch als Vertreter der eigenen Art von anderen werbenden Insekten unterscheiden zu können, verfügen die Weibchen über ein recht präzise auf einen Frequenzbereich eingestelltes Gehör. Bei der einheimischen Feldgrille (Gryllus campestris) liegt dieser Bereich bei etwa 4,5 kHz. Es wird gerade untersucht, ob Feldgrillenweibchen Männchen mit etwas tieferen Ruffrequenzen bevorzugen; man vermutete, weil diese größer sind. Und da gäbe es dann wieder eine Parallele zum Menschen: Gelten tiefe Männerstimmen nicht auch als besonders sexy?

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