Virtuelle Spiele in der Wirklichkeit

Laura Ari
vom 09.06.2010

Games sind der Wissenschaft noch nicht ganz geheuer. Künstler versuchen, die Strukturen von Computer-Games in Real-Life-Szenarien umzusetzen

Henry Jenkins, Direktor der Comparative Media Studies und Professor of Literature am MIT, prophezeite dem Computerspiel den Status der lebendigsten Kunstform des 21. Jahrhunderts. Das war im Jahr 2000. Damals wurde Jenkins von der Wissenschaftsgemeinde belächelt. Er hat einen prominenten Vorgänger in Gilbert Seldes, der 1925 Ähnliches dem Kino für das 20. Jahrhundert attestiert hatte und dafür verlacht wurde.

Game-Forschung an unseren Unis

Videospiele beeinflussen Kulturen weltweit, entwickelten sich zum Massenmedium und halten Einzug in die Wissenschaft. Wie aber sieht es mit der Erforschung von Computerspielen und deren Verbindung zur Kunst in Österreichs Wissenschaftsbetrieb aus?

Michael Wagner, Leiter des Fachbereiches „Applied Game Studies“ des Departments für Bildwissenschaften an der Donau Universität Krems, meint: „Die Einstellung zu den Game Studies ist sehr gemischt. Zum einen haben wir in Österreich einen hoch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs, der international anerkannt ist und über den Österreich sich zu einem der wissenschaftlichen Zentren der Game Studies entwickeln könnte. Zum anderen aber zeigen die heimischen Universitäten immer noch große Berührungsängste mit dem Spiel als wissenschaftlichem Thema.“

Alois Ferscha, Vorstand des Instituts für Pervasive Computing an der Johannes Kepler Universität Linz, erinnert sich: „Es war am Anfang nicht leicht, weil sich unter dem Begriff niemand Konkretes vorstellen konnte und das Gebiet als wissenschaftliches Fach bei Weitem nicht entwickelt war.“ Im Jahr 2000 begann er nach Aufforderung durch die Uni das Institut aufzubauen. Akademisch ist dessen Ausrichtung dem „Ubiquitous Computing“ zugeordnet.

Dieser von Mark Weiser am PARC in Palo Alto 1988 geprägte Begriff umschreibt den allgegenwärtigen Computer, „the most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.“ Es kam zur Herausbildung unterschiedlicher wissenschaftlicher Begriffe, je nach akademischem Schwerpunkt oder institutioneller Eitelkeit (Calm Computing, Invisible Computing, Universal Computing), die aber im Grunde dasselbe Phänomen beschreiben: eine Miniaturisierung von Informations- und Kommunikationstechnologien, die einhergeht mit dem explosionsartig wachsenden globalen Netzwerk, dem Internet.

Der Begriff „Pervasive Computing“ beschreibt den Aspekt des unsichtbaren „Eindringens“ der Technologie in unser gesamtes Umfeld und die Dinge unseres Alltags. In Bezug auf Games sind, gemäß einem pervasiven Standpunkt, sogenannte „Real Games“ besonders interessant. Virtuelle Welten wie „Second Life“ werden hier am anderen Ende des Spektrums verortet, da sich Pervasive Computing mit der Realität, dem „First Life“, auseinandersetzt.

Margarete Jahrmann, Lehrbeauftragte an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Dozentin am Game Design Department der Zürcher Hochschule der Künste, forscht an der Schnittstelle zwischen realen und virtuellen Welten. Ihre Dissertation hat sie unter dem Titel „Ludics. The Art and Politics of Play“ gerade an der University of Plymouth in Großbritannien eingereicht.

Real-Life-Spiele als Kunstaktion

Wenn die Überlappung der Welten zu Tage tritt, wie sie der argentinische Autor Jorge Luis Borges schon 1940 in „Orbis Tertius“ schildert, wo Dinge aus einer fiktionalen Welt in die Wirklichkeit einbrechen, wird es für Jahrmann spannend. Sie ist Mitgründerin der „Ludic Society“, deren Ziel es ist, „Ludics“ als eigenständige Disziplin durchzusetzen.

In Anlehnung an und in kritischer Auseinandersetzung mit dem Computerspiel „Second Life“ entstand das Projekt „Tagging the City“. Dieses Game findet in der realen Welt statt. Jahrmann entwarf gemeinsam mit dem Multimediakünstler Max Moswitzer mehrere Versionen des Alternate Reality Games.

In der Version von 2007, als gerade in Politik und Gesundheitswesen der Einsatz von RFID-(Radio Frequency Identification)-Implantaten diskutiert wurde, verwendeten Jahrmann und Moswitzer subkutane RFID-Implantate für ihr Spiel – als kritisches Statement zur laufenden Debatte. Aus moralischen Bedenken implantierten die Künstler diese nur sich selbst. Jahrmann sagt dazu: „Ich finde es absurd, jeden markieren zu wollen wie ein Objekt – sind wir alle nur noch Objekte?“

RFID-Chips können aber auch auf die Haut geklebt und in „Tagging the City“ eingesetzt werden – wobei die Spielmuster der virtuellen Umgebung sich im Real Play widerspiegeln: Man führt Regeln ein, setzt Tags und Markierungen an realen Objekten und stülpt so eine künstliche Informationsebene über die physische Realität. Eine Second-Life-Ebene, die ein soziales Netzwerk wie etwa Facebook reflektiert. In Neal Stephensons Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ von 1992 bezeichnen Metaverse den dreidimensionalen Raum, in dem Menschen als Avatare in der Metapher der realen Welt miteinander agieren.

Das Spiel als Forschungsmethode

Freilich benötigt man keine (subkutanen) RFID-Chips, um Real Games zu spielen. Da sind sich alle drei Wissenschaftler einig. „Ein einfaches Handy mit GPS-Funktionalität reicht dafür vollkommen aus“, sagt Michael Wagner. Er beobachtet die Entwicklung der Alternate Reality Games mit großem Interesse, da die Zusammenführung von Spielraum und Realität ganz neue Möglichkeiten in der Pädagogik bietet. „Derzeit haben wir im Game Based Learning immer noch das Problem, dass Spiele, entgegen der populären Ansicht, Wissen eher schlecht vermitteln können, da sie Spielraum und Realität sehr klar voneinander abgrenzen.“

Generell sei „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Computerspielen eher als Teil einer Spielwissenschaft zu sehen“. Und „fraglich bleibt lediglich, ob die Einschränkung auf Computerspiele aufrechterhalten bleiben kann. Meiner Meinung nach muss man den Spielbegriff heute etwas weiter betrachten“, meint Wagner.

Jahrmann möchte in ihrer Forschung die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Games an sich richten, sondern ebenso auf die kollaborativen und kollektiven Möglichkeiten des Zusammenarbeitens, die sich aus den Spieltechnologien und der kulturellen Praxis des Spielerischen ergeben.

„Play Affordance“ verlangen unsere spielerischen Gadgets von uns – vom „klassischen“ Mobiltelefon über das iPhone bis zum Android phone. Die Beziehung zwischen Objekt und Subjekt wird durch die Materialität selbst ermöglicht. Das Interface dabei ist das Spiel und die ludische Methode zeigt auf, wie wir diese Verbindungen herstellen. Diese Interaktion des Menschen mit dem Objekt, kritisch analysiert, setzt das Spiel an sich als Methode voraus.

„Die Kunst war immer Vorreiter von interessanten Themenfindungen für die Wissenschaft“, sagt Alois Ferscha. Mögen die Spiele beginnen!

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