Wir sind Klimawandel!
vom 27.10.2011
Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits zu spüren. So gibt es 20 Millionen Klimaflüchtlinge. 2050 könnten es 200 Millionen sein
Jeder kennt die Geschichte vom Frosch im Kochtopf: Wirft man ihn in kochendes Wasser, springt er wieder heraus. Setzt man den Frosch jedoch in lauwarmes Wasser und schaltet die Herdplatte ein, bleibt der Frosch und badet genüsslich. Das Wasser wird heißer und heißer - und irgendwann ist es zu spät, um aus dem kochenden Wasser zu fliehen.
Der Bevölkerung in der westlichen Welt geht es wie dem Frosch: Wir sehen, spüren und wissen, dass es um uns immer heißer wird, dass das Klima immer unbeständiger wird und ignorieren dennoch alle Warnungen. Bis es zu spät sein wird. Oder ist es schon zu spät?
Das gilt als der Status quo des Klimawandels
Wir sind mittendrin. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat es einen globalen Temperaturanstieg von ungefähr 0,7 Grad gegeben. In Österreich liegt dieser Wert bei rund 1,5 Grad. Dass bei uns die Temperaturen stärker steigen als anderswo, hat mehrere Gründe: Unter anderem liegt es daran, dass sich Tropen langsamer erwärmen als mittlere und hohe Breiten, und Ozeane langsamer als Landmassen.
Dazu kommt, dass in Europa durch Filter und Katalysatoren der Ausstoß von Schwefeldioxid (SO2) fast vollständig zurückgegangen ist, was gut ist im Kampf gegen sauren Regen. SO2 reduziert jedoch auch die Sonneneinstrahlung, dieser Effekt wurde unter "global dimming“ bekannt - weniger SO2 heißt also auch schnellere Erwärmung.
1,5 Grad also. Das bemerken nicht einmal die Wetterfühligsten. "Es ist eine zu langfristige Entwicklung, als dass der Bürger die Erwärmung merken würde“, sagt Herbert Formayer von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Zudem ist unser Wettergedächtnis sehr kurzfristig angelegt. "Wissen Sie etwa, wie das Wetter im Juli vor zwei Jahren war?“ Nur wenn man die Statistiken ansieht, wird klar, dass es in unserer Klimaküche zu köcheln beginnt - und bald richtig brodeln wird.
Zwischen 1961 und 1990 gab es rund zehn Hitzetage (über 30 Grad) im Jahr. "Inzwischen sind wir bei 20 Tagen mit über 30 Grad“, sagt Formayer. Eine Hitzewoche wie jene heuer im August mit täglich über 30 Grad - früher hätt’s das nicht gegeben. Es klingt wie ein Spruch der Großmutter. Nur diesmal hätte Großmutter Recht.
Für Menschen, die berufsbedingt der Hitze ausgesetzt sind, etwa Bauarbeiter, Kellner, aber auch Pendler, sind 30 Grad und mehr (im Schatten) nicht angenehm. Die anderen haben weniger Grund zu klagen, könnte man meinen: Sind doch Büros und Autos längst gekühlt. Auch im Altbau bleibt es angenehm. Und viele haben schon zu Hause eine Klimaanlage. Wo liegt also das Problem?
Bekommen wir rumänisches Klima in Österreich?
Das Wetter in Österreich wird niemals wie am Mittelmeer sein. Das Land, in dem die Zitronen blühen, werden wir nicht werden. "Wir haben trotz der Erwärmung weiterhin ein Kontinentalklima. Das bedeutet, die großen Landmassen kühlen auch in Zukunft im Winter ab“, sagt Herbert Formayer. Unser Klima wird eher rumänisch oder bulgarisch.
Das heißt, im Sommer wird es im Allgemeinen wärmer, dafür gibt es weniger Niederschläge. Dennoch kann ein Juni, Juli oder August auch kühl und regenreich ausfallen. Mehr Niederschläge gibt es im Winter - leider nicht als Schnee. Es regnet öfter, weil die Winter milder werden. Die meisten zumindest. Alle paar Jahre kann es in Österreich dennoch ein sibirisches Hoch geben. Mit Schnee und Wintertemperaturen kälter als minus 20 Grad. Das jedenfalls prognostiziert Herbert Formayer, dem sich im Großen und Ganzen auch andere heimische Klimaforscher anschließen.
"Wir kommen in einen Bereich, den die Biosphäre nicht mehr gewöhnt ist“, sagt Formayer. Statt natürlicher Schwankungen gibt es zunehmend Extreme. Die Situation gerät außer Kontrolle.
Vorsicht mit medialen "Jahrhundertereignissen“
Wissenschafter halten sich bei reißerischen Schlagzeilen, die Ausnahmeereignisse betonen, eher zurück. Anders als Medien, die schnell und gern von einem Jahrhunderthochwasser oder Rekordwinter berichten. "Damit wird die Wahrnehmung verzerrt“, sagt Formayer. Vergessen werde außerdem, dass sich in einem Jahrhundert viel ändern kann. Stichwort Hochwasser: An der Donau wurde über lange Zeit hinweg gebaut, es wurden landwirtschaftliche Flächen erschlossen, das Abflussverhalten wurde völlig geändert. "So gesehen ist die Bewertung von Jährlichkeiten extrem diffus und mit Vorsicht zu betrachten“, sagt Formayer.
Im Fall des Hochs "Michaela“ 2003 handelte es sich aber um ein "echtes“ Rekord-ereignis. "2003 war in vielen Teilen Europas der heißeste Sommer seit 1860, dem Beginn der Temperaturmessungen“, sagt Thomas Mölg, Klimaforscher an der Uni Innsbruck. Besonders deutlich zeigte sich dies etwa in der Schweiz. Während über die Jahre 1961 bis 1990 die Sommermitteltemperatur bei 17 Grad lag, wurde 2003 ein Wert von 22,5 Grad gemessen. "Natürlich gibt es immer wieder negative und positive Ausreißer“, sagt Mölg. "Aber 22,5 Grad liegt außerhalb des üblichen Streuungsbereichs zwischen 15 und etwa 20 Grad.“
Die Folgen der Hitze waren im Rekordsommer 2003 deutlich sichtbar: Mehr als 30.000 Menschen sind in Europa an den Folgen der hohen Temperaturen gestorben. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infekte haben zugenommen. Das Hoch "Michaela“ brachte einen volkswirtschaftlichen Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe und war die zweitschwerste Naturkatastrophe in Europa seit dem Erdbeben in Messina 1908. So betrachtet, bekommt der Begriff "Rekordsommer“ eine neue - negative - Bedeutung.
Das Klima wird in der nächsten Zeit unbeständiger
Seit 2003 hat es bisher keine weitere extreme Hitzewelle gegeben. Die heißen Sommer werden aber immer öfter kommen. Das Klima ist nicht mehr stationär, sondern dabei, in einen neuen, unbeständigeren Zustand überzugehen. Alle Prognosen - egal welche Modelle man heranzieht - sagen das bevor. "Wir können zwar nicht sagen, dass es exakt 2017 oder 2019 besonders heiß sein wird. Aber wir wissen, dass solche Hitzesommer deutlich häufiger auftreten werden“, sagt Mölg.
Wenn es soweit ist, wird es wieder Hitzetote geben. Eine weitere Gefahr sind auch hierzulande Waldbrände. "In Österreich gibt es viele Fichten, auch in Gegenden, wo sie nicht hingehören“, sagt Herbert Formayer, der sich auch an einer Initiative zum Thema Waldbrand beteiligt. Fichten lassen sich gut verkaufen, sind aber extrem trockenanfällig.
Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in Zukunft kommen mag, zeigte der Waldbrand in St. Jakob am Defereggen im August 2011: Eineinhalb Tage waren 100 Feuerwehrmänner und einige Hubschrauber im Einsatz, um den Brand zu löschen. Der Einsatz dürfte einige Zehntausend Euro gekostet haben.
Wasser wird knapper, die Gletscher schmelzen
Einer der wichtigsten Faktoren ist die Auswirkung des Klimawandels auf unsere Wasserspeicher: Immer häufiger trocknen Flüsse aus. Nicht das Trinkwasser ist davon bedroht, aber es gibt stellenweise bereits zu wenig Wasser für die Industrie und die Stromerzeugung. Als der italienische Po austrocknete, konnten Kraftwerke nicht mehr gekühlt werden.
"Auch in Salzburg hat es im Sommer 2003 so wenig geregnet, dass in der Salzach fast nur Wasser vom Gletscher war“, sagt Jan-Christoph Otto, Geomorphologe an der Uni Salzburg. Wir kratzen also unseren Reservespeicher an; die Gletscher schmelzen rapide. "Am Kitzsteinhorn ist der Gletscher zwar noch bis zu 90 Meter dick, er verliert aber in warmen Jahren rund ein bis zwei Meter an Eis. Bis zu zwei Kilometer Länge hat er seit Ende des 19. Jahrhunderts verloren, also über 50 Prozent“, sagt Otto.
"Uns erwarten auch Muren, Überschwemmungen und Felsstürze“, sagt die Leiterin des Instituts für Meteorologie an der Boku Wien, Helga Kromp-Kolb.
In den vergangenen zehn Jahren haben die Geologen eine Häufung von Felsstürzen bemerkt, ein Zeichen, dass der Permafrostboden im Hochgebirge schmilzt. Das bedeutet, dass im Sommer immer tiefere Bereiche der gefrorenen Felsen und Gipfel in großen Höhen auftauen. Wenn sich die Temperaturverhältnisse im Inneren, also in Felsspalten ändern, ändern sich auch die Stabilitätsverhältnisse.
Mit der zunehmenden Temperatur ändert sich auch die Landwirtschaft. Wenn es zu wenig regnet, zu wenig Wasser zur Bewässerung da ist oder es heftige Gewitter gibt, werden wir mit Ernteausfällen rechnen müssen. Und später sogar auf andere Getreidesorten umstellen müssen. "Es wird andere Nützlinge und Schädlinge geben“, sagt Kromp-Kolb. "Auch Krankheiten, an die wir in unseren Breiten nicht denken, werden auftreten.“ Sie müssen nicht gleich zur Plage werden, bilden jedoch eine Herausforderung für das medizinische System.
Der Klimawandel bringt (noch) keine apokalyptischen Horrorszenarien. Doch die Veränderungen sind so drastisch, dass wir endlich handeln sollten.
"Die Natur liefert die Prozesse, ja. Aber der Mensch löst sie oft erst aus“, sagt Geomorphologe Otto. Ein gutes Beispiel: die Hochwasserproblematik. "Sie ist mitunter darauf zurückzuführen, dass wir Flächen versiegeln und in Flussauen bauen. Früher, etwa am Nil, war Hochwasser Teil eines positiven Stoffkreislaufs. Der Schlamm hat Nährstoffe angeschwemmt, die gut für den Boden waren.“ Heute ist an einem Hochwasser nichts Gutes zu finden.
Die Menschen passen sich dem Klimawandel an
Wir passen uns dem Wandel an. Mit einer Kultur des Reagierens. Bei der Flächenwidmung und Raumplanung treten Gedanken an ein Extremereignis meist in den Hintergrund - bis es zu spät ist. "Auch der Einzelne handelt erst, wenn er betroffen ist. Die Eigenverantwortung ist in Österreich gering“, sagt Herbert Formayer. Oft sind es simple Vorkehrungen, die getroffen werden können, um den Schaden eines Wetterextrems gering zu halten. Man könnte zum Beispiel die Möglichkeit schaffen, die Kellertür abzudichten, wenn man in einem Hochwassergebiet wohnt. Oder den Öltank befestigen. Immer wieder kommt es vor, dass Tanks durch das Hochwasser hochgeschwemmt und beschädigt werden.
Wir dämmen unsere Häuser besser und bauen Klimaanlagen ein, um uns zu schützen. Wenn weniger Schnee fällt, werden Schneekanonen gekauft. Oder Löschfahrzeuge, um den Waldbrand zu hemmen. "Momentan können wir uns diese Anpassungsmaßnahmen leisten“, sagt Formayer. Doch wird dabei häufig außer Acht gelassen, dass manche Maßnahmen den Klimawandel verschärfen.
Auch ändern all diese Maßnahmen nichts an der Tatsache, dass es rund um uns heißer wird und Menschen in Afrika während einer Dürre sterben. "Viele Regierungen sind der Meinung, dass es leichter ist, Geld in die Anpassung zu stecken, als in die Vermeidung der Erderwärmung im Allgemeinen“, sagt Formayer.
Lässt sich der Klimawandel überhaupt noch aufhalten? Sind wir schon an einem Punkt, an dem die Situation nicht mehr einzubremsen ist? "Die Meinungen gehen hier auseinander. Manche sagen, wir sind schon dort“, sagt Kromp-Kolb. "Ich habe beschlossen, mir diese Frage nicht mehr zu stellen. Man muss tun, was man tun kann. Einfach handeln.“
Um das sogenannte 2-Grad-Ziel zu erreichen (die globale Erwärmung soll auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung begrenzt werden), müssten die Emissionen um 80 Prozent gesenkt werden - das klingt wie ein Ding der Unmöglichkeit. Zumindest verzögern ließe sich der Klimawandel, um Zeit zu gewinnen und um ein Umdenken in allen Bereichen, auch der Wirtschaft zu erzielen. Doch die nationale, europaweite und auch globale Klimapolitik ist auf einem Tiefpunkt.
Vor der Kopenhagener Klimakonferenz 2009 hofften viele, der eben erst gewählte Präsident Obama könnte ein Umdenken der USA bewirken. Mittlerweile hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Und selbst wenn es eine politische Bereitschaft gäbe, lässt diese sich nicht mit der derzeitigen Wirtschaft vereinbaren.
"Man ist nur zu Maßnahmen bereit, die nicht in die ökonomischen Systeme eingreifen“, sagt Formayer. Eine globale CO2-Steuer? Undenkbar, zu groß scheint die Auswirkung auf die Industrie.
"Dabei sollte die Politik Richtungssignale setzen“, sagt Kromp-Kolb. Im Moment geht es in die falsche Richtung. Beispiel: die Finanzkrise 2008. "Um die Industrie zu beflügeln, hat man bei uns die Abwrackprämie eingeführt und Menschen motiviert, sich ein neues Auto zu kaufen. Die Initiative wurde unter einem Klimaschutz-etikett verkauft“, sagt Kromp-Kolb. An Nachhaltigkeit wurde nicht gedacht. "In anderen Regionen war es anders: In Südkorea etwa hat man 80 Prozent in nachhaltige Maßnahmen investiert, etwa in den öffentlichen Verkehr.“
Weltweit gibt es 20 Millionen Klimaflüchtlinge
Geschieht ein Extremereignis - etwa Hurrikane Katrina in New Orleans oder das Erdbeben samt Tsunami und Atomkatastrophe in Japan - kommt Angst auf. Die Medien schreiben die Apokalypse herbei, kurz flammt ein Klimabewusstsein auf - und verebbt dann schnell wieder.
Die Tatsache, dass es weltweit 20 Millionen Klimaflüchtlinge gibt (bis 2050 sollen es 200 Millionen sein), hindert uns nicht daran, am nächsten Tag ins Auto zu steigen. Und wenn Inseln - die Malediven oder weniger bekannte Regionen - unterzugehen drohen, fliegen wir einfach woanders hin, statt auf einen Langstreckenflug zu verzichten.
In gewisser Weise sei es vergleichbar mit den Aufschriften auf Zigarettenpackungen, sagt Kromp-Kolb. Smoking Kills schreckt den Raucher nicht ab. Horrorszenarien können nicht schocken. Erst wenn man die Katastrophe zu einer persönlichen macht, wird es den Menschen nahe gehen. "Man müsste klar machen: Eure Enkel werden im Krieg leben, weil der Kampf um Ressourcen so ausgeprägt sein wird“, sagt Kromp-Kolb.
Das Schwinden mancher Ressourcen wie Öl, Gas und teilweise auch Wasser hängt nicht kausal mit dem Klimawandel zusammen. Es ist aber die direkte Auswirkung des nicht von nachhaltigem Wirtschaften geprägtem Schneller-weiter-höher-immer-mehr-Prinzips, das uns kurzfristigen Genuss bringt - allerdings mit langfristigen Folgen.
Die Gesellschaft, sagt Kromp-Kolb, müsse sich Fragen stellen: Braucht jeder ein Auto? Zwei Fernseher? Zwei Computer? Braucht jeder ein Haus? So viele Quadratmeter Wohnraum? Der Gedanke an ein Mehrgenerationenhaus, wie es früher üblich war, klingt für viele schauderhaft. "Wir müssen uns mental von diesem Luxus lösen“, sagt Kromp-Kolb. "Denn derzeit leben wir auf Pump der Natur. Und auf Pump der Menschen in der Dritten Welt.“
Die Frage ist nicht, ob das gut gehen kann - sondern nur: wie lange noch? Für neun Milliarden Erdbewohner - so viele werden wir Mitte des Jahrhunderts sein - wird sich dieser verschwenderische Stil nicht ausgehen.