Wie grün ist ein grünes Haus?

Sonja Burger
vom 02.05.2012

Die BOKU erforscht die Möglichkeiten, per Fassadenbegrünung in Städten das städtische Klima positiv zu beeinflussen und das Feinstaubaufkommen zu verringern

37,5 Grad Celsius. Hochsommer in Wien. Alles stöhnt unter der Hitzewelle. Die Stadt gleicht mehr und mehr einem Backofen. Wer kann, flüchtet ins Bad. In der Nacht gibt es jedoch kein Entrinnen. Von einer spürbaren Abkühlung ist nichts zu merken.

Unter Experten ist dieses Phänomen als "urban heat island“ bekannt. Es bedeutet im Wesentlichen, dass Städte bei hohen Tagestemperaturen in der Nacht weniger stark abkühlen als das Umland. "In Wien ist es um rund fünf Grad wärmer als außerhalb“, sagt der Umweltmediziner Hanns Moshammer vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Er untersuchte im Jahr 2006 im Rahmen des Forschungsprojekts StartClim den Zusammenhang von Temperatur und Mortalität (Sterblichkeit) sowie Morbidität (Krankheitshäufigkeit). Fazit: Die Stadthitze kann gesundheitliche Folgen haben, im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen. Mehr Grün- und Wasserflächen bzw. Windkorridore könnten die Stadt kühler machen.

Die Wiese an der Hauswand macht den Wiener glücklich, oder?

Damit sind wir beim Kern des Problems. "Wer nach zusätzlichen horizontalen Grünflächen sucht, stößt irgendwann an die Grenzen des Machbaren“, sagt Florin Florineth, Leiter des Instituts für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). "Denn gerade in Städten sind viele Bodenflächen bereits versiegelt.“

Was wäre jedoch, wenn man unabhängig von Bodenflächen begrünen könnte? Dann hätte man eine "fassadengebundene Begrünung“ wie an der Fassade der MA-48-Zentrale am Margaretengürtel. Das dort eingesetzte System "Grünwand“ wurde von den Firmen Tech Metall und Dachgrün gemeinsam mit dem Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau und dem Institut für Meteorologie der BOKU entwickelt.

Auf 850 m2 Fassadenfläche wurden 2.800 Meter geschlitzte Pflanzentröge aus Aluminium kaskadenartig übereinander montiert und 17.000 Pflanzen gesetzt, die in erster Linie trockenresistent sein müssen wie beispielsweise Blaugräser, Katzenminze oder Schafgarbe.

Inzwischen liegen zahlreiche Messwerte zur Fassadenbegrünung aus verschiedenen Projekten vor, etwa auch von "GrünStadtKlima“. "Wir erheben die Leistungen in punkto Wärmedurchfluss, Feuchtigkeitshaushalt, Temperatur- und Strahlungsbilanz oder thermische Gewinne sowie Kühleffekte“, erklärt die Projektmitarbeiterin Vera Enzi. Das sei wichtig, um der "grünen Branche“ konkrete Werte liefern zu können - etwa: Um wie viel Grad sinkt die Temperatur in und rund um das Gebäude durch die Verdunstungsleistung der begrünten Fassade?

Hilft Fassadenbegrünung gegen Feinstaub in der Stadt?

Bislang stimmen die Daten alle Beteiligten optimistisch. Man schreibt der Fassadenbegrünung ein großes Potenzial zu. Allerdings schränkt Florin Florineth von der BOKU ein: "Die Pflanzen verbessern das Mikroklima, aber manches lässt sich bei der Nachhaltigkeit noch verbessern.“

Für ihn sei es deshalb naheliegend, neue, ressourcenschonende Begrünungssysteme zu entwickeln, die den Baustoff Pflanze und den Rohstoff Holz kombinieren. Dazu hat die BOKU vor Kurzem begonnen, aktiv nach Forschungs- und Wirtschaftspartnern für das geplante Projekt "Pflanze als Baustoff“ zu suchen. Ziel ist es, sich um eine Förderung als kooperatives Forschungsprojekt (K-Projekt) im Rahmen des COMET-Programms zu bewerben. Bei der Start-Up-Veranstaltung konnte Umwelthygieniker Hanns Moshammer davon überzeugt werden, dass die Idee Potenzial besitzt: "Ich bin gespannt, ob sich die Annahme der BOKU, dass Fassadenbegrünungen auch die Feinstaubbelastung reduzieren, wissenschaftlich belegen lässt.“

Kommt es zum K-Projekt, würde er mögliche positive Auswirkungen auf die Gesundheit erforschen. Außerdem gibt es laut Enzi bezüglich Feinstaub bei anderen Projekten wie ProgreenCity eine enge Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen, etwa der Universität Mainz.

Manchem Stadtmensch graut vor der Natur und ihren Viechern

Wie Psychologen vom Institut für Umwelthygiene bereits in früheren Projekten erhoben haben, ist das Naturerleben von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Was den einen entzückt, macht den anderen verrückt. Zwar erleben viele Menschen Natur als positiv. "Es gibt aber auch jene, die Natur - ob Insekten oder Pflanzen - als schmutzig empfinden“, so Moshammer, "und auch deren Empfinden sollte man berücksichtigen“.

Kommt das Projekt ins Rollen, würden Psychologen am Institut untersuchen, welche Bandbreite an Empfindungen eine Fassadenbegrünung auslöst. Das ist für die Konzeption verbesserter Systeme sehr wichtig. Denn im Unterschied zu einer herkömmlichen Fassade ist eine begrünte Fassade etwas Lebendiges, das gepflegt werden muss. Wie wichtig diese psychologischen Aspekte für das Gelingen oder Scheitern einer Fassadenbegrünung sind, weiß Vera Enzi von der Wohnhausanlage Kammelweg 8 im 21. Bezirk. Ihre Erkenntnis: "Wird die Fassade begrünt, sollten die Bewohner einbezogen werden, um späteren Frustrationserfahrungen vorzubeugen.“

Grüne Fassaden an winzigen Häusern - ein Forschungsprojekt

Ursprünglich war das System "Grünwand“ für die Fassadenbegrünung von winzigen Häusern, sogenannten Mikrohäusern, geplant. Jetzt kommt man im Projekt ProgreenCity wieder darauf zurück. Darin wird untersucht, wie es sich in verschiedenen Klimazonen in einem begrünten Haus lebt. In Wien, Madrid und Tübingen werden dafür Mikrohäuser aufgebaut.

Pro Standort liefern je ein begrüntes und ein unbegrüntes Haus die erforderlichen Daten. "In Wien stehen beide Häuser in der Seestadt Aspern“, erklärt Enzi. "Das begrünte Haus wird bewohnt sein. Ab Mitte Mai soll der Bewohner täglich seine positiven und negativen Erfahrungen bloggen.“ Die Mikrohäuser werden aus gutem Grund in unterschiedlichen Klimazonen aufgebaut. "Unser Ziel ist es, zu allgemeinen Aussagen über die Leistung grüner Fassaden über mehrere Klimazonen hinweg zu gelangen“, sagt Enzi. Es reicht also nicht, dass ein Haus grün aussieht - ob es auch die gewünschten Wirkungen für seine Bewohner bringt, muss erst erforscht werden.

Mehr aus diesem HEUREKA

12 Wochen FALTER um 2,17 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!