Das Blut der Nabelschnur

Privatanbieter werben mit Heilsversprechungen darum, Nabelschnurblut für den Eigenbedarf zu konservieren. Was wahrscheinlich nie etwas bringen wird

Verena Ahne
vom 24.04.2013

Stammzellen aus Nabelschnurblut: Das Notfallpaket für's Leben." Slogans wie dieser packen werdende Eltern an ihrer empfindlichsten Stelle. Wer wollte sein Kind nicht bestmöglich versorgen? Für rund 2000 Euro können sie das "Notfallpaket" privat schnüren: Gewonnen aus der Nabelschnur (manchmal auch der Plazenta), aufbereitet im Labor, gelagert in flüssigem Stickstoff bei etwa -190 Grad Celsius, sollen die kostbaren Zellen Jahrzehnte überdauern, um später schwere Krankheiten zu heilen.

Sinnvoll? Unabhängige Organisationen weltweit, darunter die österreichische Arbeitsgruppe für Stammzell-Transplantation, sagen nein - außer, wenn in einer Familie gehäuft Krankheiten auftreten, die mit Blutstammzellen behandelt werden können, oder als "gerichtete Spende" für ein bereits erkranktes Familienmitglied.

Die Wahrscheinlichkeit, die teure Einlagerung je zu brauchen, ist nach derzeitigem Wissensstand verschwindend. Schätzungen reichen von 1:2.000 bis 1:250.000. Obwohl es weltweit über 2,5 Millionen private Einlagerungen gibt - mindestens fünfmal so viele wie öffentlich zugängliche Nabelschnurblutspenden -, wurden insgesamt erst etwas mehr als 300 Personen mit eigenem NSB behandelt, der größere Teil davon im Rahmen von Verträglichkeits- oder experimentellen Studien.

Bei ein paar seltenen kindlichen Tumorarten wie Neuro- oder Retinoblastom (ein Krebs am Auge) gibt es Erfolge - aber auch andere Therapien.

Sachliche Informationen zu finden ist schwierig: Nabelschnurblut-Seiten im Netz sind meist gesponsert von jenen, die ihre Dienstleistung so lukrativ verkaufen, analysierte das deutsche Magazin Spiegel. Und die Info-Materialien der Privatanbieter selbst verschleiern eher als aufzuklären, wie die deutsche Onkologin Ursula Creutzig und Kolleginnen im Deutschen Ärzteblatt feststellten: Einzeln betrachtet durchaus richtige Aussagen würden so kombiniert, dass in der Zusammenschau automatisch überzogene Erwartungen entstehen.

Hier der Versuch einer Zurechtrückung.

Warum Nabelschnurblut?

Es enthält besonders viele blutbildende, in geringen Mengen auch andere Stammzellen - ein Hoffnungsgebiet der Medizin. Verschiedene Stammzellarten finden sich überall im Körper. Durch Teilung bilden sie lebenslang neue Tochterzellen, die sich zu den verschiedenen Zelltypen - insgesamt gibt es im menschlichen Körper mehr als 200 - weiter entwickeln.

Stammzellen aus Nabelschnurblut sind jung, haben noch keine Immunabwehr aufgebaut, sind (weitgehend) frei von schädlichen Einflüssen wie Krankheiten, Viren oder Umweltfaktoren. Deshalb, so die Werbung, seien sie das bessere Ausgangsmaterial für einen späteren Einsatz.

Transplantationsmedizinerin Hildegard Greinitz von der Klinik für Innere Medizin 1 am Wiener AKH ärgert diese Behauptung: "Das wurde bisher wissenschaftlich nicht demonstriert." Was insofern relevant ist, als der Körper ein Leben lang Quelle für Stammzellen ist - es muss also nicht auf kryokonservierte zurückgegriffen werden.

Nabelschnurblut kann schwere Krankheiten wie Leukämie heilen

Das bisher einzig relevante Einsatzgebiet der Stammzelltherapie sind lebensbedrohliche Krankheiten des blutbildenden Systems, vor allem die verschiedenen Arten von Leukämie, angeborene Immunschwächen oder schwere Anämien. Durch eine Chemooder Strahlentherapie wird das Immunsystem im Körper zerstört. Transplantierte Blutstammzellen, die vor der Therapie aus dem eigenen Körper, bei angeborenen Erkrankungen aus Knochenmark oder (heute eher) dem Blut von Spendern gewonnen werden, können es wieder aufbauen.

Was in der Transplantationsmedizin sonst Sorge macht -die Abwehr körperfremder Zellen -, wird bei der Leukämietherapie genutzt: "Die weißen Blutkörperchen des Transplantats erkennen die restlichen Leukämiezellen als fremd und eliminieren sie", erklärt Greinitz den "Graft-versus-Leukämie-Effekt", der eine langfristige Heilung erst möglich macht. Das bedeutet aber: Gerade bei Blutkrebs, dem Hauptanwendungsgebiet der Stammzelltherapie, sollte nicht autologes, sondern allogenes (Nabelschnur-)Blut verwendet werden!

Zukunftsfeld regenerative Medizin

Da es derzeit kaum Argumente für die autologe Einlagerung gibt, gilt die Hoffnung der Privatanbieter der Zukunft und den "Möglichkeiten der regenerativen Medizin". Doch die Entwicklungen in diesem Bereich sind völlig offen. Zwar wird seit etlichen Jahren geforscht, um die Spezialisierung von Stammzellen so zu steuern, dass sie gezielt geschädigtes Gewebe regenerieren - etwa nach einem Herzinfarkt -, oder Funktionsverluste wieder herstellen, wie bei Autoimmunerkrankungen (etwa Diabetes 1). Auch soll im Labor aus Stammzellen neues Gewebe entstehen - Haut, Knorpel, in Zukunft vielleicht sogar Organe -, das auf oder in den Körper transplantiert werden kann, ohne Abstoßungsreaktionen hervorzurufen ("Tissue Engineering").

Aber: Dafür genügen frische Stammzellen aus dem eigenen Körper.

Ein weiterer Punkt: In frischem NSB sind Gewebestammzellen in geringen Mengen zwar zu finden, in eingefrorenem aber nicht mehr genug, um Gewebe zu züchten, wie Creutzig und Kolleginnen betonen: "Die Blutbanken gehen davon aus, dass es in Zukunft möglich sein wird, auch aus einzelnen Stammzellen genügend Zellen zu entwickeln", präzisiert Greinix. Dafür müssten nur die richtigen Wachstumsfaktoren gefunden werden. "Aber das ist Spekulation, es geht noch nicht." In den nächsten 20 Jahren, ist die Expertin überzeugt, "werden wir wahrscheinlich ohnehin direkt am lebenden Gewebe mit Wachstumshormonen arbeiten". Der Umweg über die oft unberechenbaren Stammzellen wäre dann obsolet.

Die Alternative: Nabelschnurblutspende

"In Österreich finden wir für rund 20 Prozent der Menschen, die mit Stammzellen behandelt werden könnten, keine passende Lebendspende", so Greinitz. "Für sie bedeutet allogenes Nabelschnurblut eine Chance auf Heilung."

Hier kommt die gute Verträglichkeit des jungen Blutes zum Tragen: "Bei Lebendspenden müssen elf oder zwölf von zwölf Merkmalen bei Spender und Empfänger übereinstimmen, damit es nicht zu gefährlichen Abstoßungsreaktionen kommt", so die Transplantationsmedizinerin, "bei NSB nur vier oder fünf von sechs Merkmalen." Durch die gute Verträglichkeit ist auch die geringe Menge - eine Portion reicht für maximal 50 kg - wenig problematisch: Bei Erwachsenen zwei Spenden zu kombinieren, ist inzwischen gängige Praxis. "Früher wurde Nabelschnurblut nur für Risikopatienten verwendet - in Österreich übrigens immer noch", so Christian Gabriel, Leiter der Blutzentrale des Roten Kreuzes OÖ, das in Linz seit 2001 die erste öffentliche Nabelschnurblutbank Österreichs aufbaut. "Aber international geht der Trend Richtung Nabelschnurblut auch bei Erwachsenen: Es ist sehr sicher und meist schneller verfügbar als Lebendspenden. Das kann einen Überlebensvorteil bedeuten."

Wer also Gutes tun und das NSB des Babys spenden möchte, erfragt spätestens sechs Wochen vor der Geburt an der Entbindungsstation, ob und unter welchen Bedingungen eine (kostenfreie) Spende an eine Blutbank oder für Forschungszwecke angenommen wird.

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