Wir sind Weltraum!
Würde Österreich titeln. Aber statt Journalisten sind immerhin zwei heimische Satelliten im All
Bilder aus dem Reisebüro und von Prospekten: (Indigo-)Blaue Reiter mit Gesichtsschleier, als "stolze Söhne der Wüste" bezeichnet. Der Volkswagenkonzern hat sogar einen Geländewagen nach ihnen benannt. Doch die Unabhängigkeit der Tuareg, auf die der Autoname anspielt, gerät zunehmend in Gefahr.
"Es ist ein ewiger Kampf gegen solche Klischees", sagt Ines Kohl vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mit Klischees behaftet ist nicht nur die Kleidung der Tuareg. "Immer wieder lese ich:'die Tuaregs' - dabei ist Tuareg ein Pluralwort", sagt Kohl. Die Einzahl lautet "Targi" bzw. "Targia" und bezeichnet eine Sprachgruppe: Tuareg ist eine Variante des Berberischen.
Ines Kohl erforscht die moderne transnationale Mobilität der Tuareg. Krisen in der Sahara und im Sahel zwangen viele von ihnen, ihren Lebensstil aufzugeben. Aus einem Großteil der ursprünglich viehzüchtenden Nomaden sind transnationale Akteure geworden, die sich mit dem Kleinhandel über die Grenzen, Schmuggel und Migration eine neue Lebensbasis geschaffen haben. Zuletzt mischten sich auch Kokainund Waffenschmuggel darunter.
Wetterkapriolen treiben Nomaden in die Städte
Die größte Bedrohung ist die ökologische Krise. Vor einigen tausend Jahren war die Sahara ein Feuchtgebiet, dann fiel sie trocken. Doch was dort seit einigen Jahrzehnten passiert, ist ungewöhnlich. "Es kommt vermehrt zu Starkregenfällen. Der Wechsel von Dürreperioden und Regen in immer kürzeren Abständen schwemmt die Gartenanlagen weg, die viele Tuareg als zweites Standbein betreiben", stellt Ines Kohl fest. Seit den Achtzigerjahren haben daher viele das Nomadenleben aufgegeben und sind in die Städte gezogen.
Zur ökologischen kommt die ökonomische Krise: "Sie haben fast keine schulische Ausbildung. Viele können weder lesen noch schreiben", sagt Kohl. Daher setzen die Tuareg ihre Nomadenfertigkeiten wie Orientierungsfähigkeit und transnationale Beziehungen vermehrt für Schmuggeltätigkeiten ein. Schmuggel von Lebensmitteln und Treibstoff zum eigenen Gebrauch gab es zwischen den Saharastaaten ja immer schon.
Das große Geschäft: Kokain für Europa
In den letzten Jahren habe sich aber dieser Schmuggel mit kriminellen Strukturen vermischt. Infolge des Libyenkriegs kam es zum Waffenschmuggel. Dabei bedienten sich Islamisten, aber auch Tuareg-Rebellen in Mali. Nach dem Tod Gaddafis kam es auch zum Alkoholschmuggel nach Libyen.
Das größte Geschäft ist allerdings der Kokainhandel. Südamerikanisches Kokain landet in westafrikanischen Küstenstaaten und wird durch die Sahara nach Norden transportiert. Nach Schätzungen der UNODC kommen 14 Prozent des in Europa konsumierten Kokains über diese Route. Vom Kokainschmuggel über die Sahara weiß man, seit im Jahr 2008 in Mali ein Flugzeug abgestürzt ist.
Gegen die kriminellen Aspekte (Drogenhandel, Islamisten) gehen Frankreich und die USA vor. Sie kontrollieren ihrerseits die Grenzen. Algerien wird von der EU dazu angehalten, seine südlichen Grenzen zu sichern, um Migration in die EU zu unterbinden.
"Das hat dazu geführt, dass nun auch 'normale' Grenzüberschreitungen der Tuareg hochgradig kriminalisiert werden", so Kohl. Und Grenzüberschreitungen sind für die Tuareg Normalität: "Es gibt in Niger keine einzige Tuareg-Familie, die keinen Angehörigen in Libyen oder Algerien hat."
Tuaregs als Chauffeure für Migranten
"Mir ist wichtig zu zeigen, dass die Sahara eine eigenständige Region ist", sagt die Sozialanthropologin. Denn diese falle in der Wissenschaft durch alle Raster: Middle Eastern Studies nehmen zwar den Maghreb mit, aber nur bis zum Beginn der Sahara. Die Afrikanistik beschäftigt sich erst mit dem Gebiet südlich der Sahara.
"Es ist aber nicht nur eine Region, die eine Barriere darstellt und die man überbrücken muss, es ist eine zentrale Region mit innersaharischen Strukturen", so Kohl. Durch die Mischung von saharischen, maghrebinischen und sahelischen Strukturen seien neue Phänomene entstanden, die an den Tuareg sichtbar würden: "In transnationalen Handelsstrukturen mischt sich der Kleinhandel mit dem Schmuggel. Es betrifft auch das Verkehrswesen: Wie sie die Sahara durchqueren, ist einzigartig in der Region", sagt Kohl. Über ihre Trassen kämen viele Migranten nach Europa. "Die Tuareg sind die Chauffeure, die sie nach Algerien und Libyen bringen."
Das FWF-Projekt "Sahara Connected" betreibt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann. Durch ihn, einen Targi aus Niger, kommt sie leicht an Informationen. "Seit auch Waffen und Drogen geschmuggelt werden, ist es schwieriger, mit Fahrern in Kontakt zu treten. Ich wollte auf einem der Schmuggelwege mitfahren, doch wegen der islamistischen Gruppen in Mali, Nordniger und Libyen geht das nicht."
Von November bis März wird sie daher stationäre Feldforschung in Niger betreiben. "Wir wollen untersuchen, wie sich geopolitische Veränderungen - der Krieg in Libyen und Mali - auf den transsaharischen Verkehr auswirken: mit neuen Akteuren wie dem Volk der Tubu aus dem Osten Libyens, die von Gaddafi vernachlässigt wurden und nun stark geworden sind, mit neuen Waren sowie mit neuen Strecken."
"In transnationalen Handelsstrukturen vermischt sich Kleinhandel mit dem Schmuggel"
INES KOHL SOZIALANTHROPOLOGIN
Literaturtipp: Mano Dayak: Geboren mit Sand in den Augen. Zürich, Unionsverlag. (Biografie des Rebellenführers, der 1995 unter mysteriösen Umständen starb: Das Flugzeug, das er zur Umsetzung eines Friedensvertrags mit dem Premierminister von Niger bestieg, explodierte beim Start.)
Linktipp: www.ines-kohl.com