Warum die Tiere den Wald verließen
Wildschwein, Dachs und Co. erobern die Großstadt. Für sie ist es eine ruhige Zone mit viel Nahrung
vom 27.05.2015
Der Steinmarder als Wappentier für Wien? - Würde sich ebenso gut eignen wie der Fuchs für Zürich oder das Wildschwein für Berlin, denn Wildtiere erobern die Großstädte!
"Die Stadt ist ein zunehmend attraktiver Lebensraum für Wildtiere, weil Nahrung im Überfluss vorhanden ist: Unmengen an Lebensmitteln werden in nicht hermetisch verschlossenen Behältern entsorgt", erklärt Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität.
Dass vermehrt Wildschweine in der Stadt leben, ist auch Folge des Klimawandels. "Ihr hohes Fortpflanzungspotenzial wird über Winterhärte und Nahrungsverfügbarkeit reguliert. Harte Winter werden seltener, auch die Nahrungsverfügbarkeit ist besser", begründet der Ökologe Arnold.
Die Tiere kommen aus den Bezirken und Gemeinden entlang des Wienerwaldes. Natürlich auch aus dem Nationalpark, wo sie über die Lobau und die Donauinsel in die Stadt ziehen. Als Reaktion auf verwüstete Gärten in den Außenbezirken kam es 2011 zur Novelle des Wiener Jagdgesetzes: Seither dürfen Wildschweine im gesamten Stadtgebiet geschossen werden.
Die Stadt ist mehr als ein temporäres Fressparadies: Es gebe hier bereits dauerhaft Wildschweine - mit Reproduktion innerhalb der Stadtgrenzen. Ihre Zahl ist nicht bekannt.
Bis zum Augarten vorgedrungen sind Dachse. "Es gibt eine Dachskolonie bei den Flaktürmen - die Tiere spazieren bis in die Innenstadt", so Walter Arnold. Gefährlich sind Dachse nicht, eher schon Wildschweine: "Wenn sie Junge führen, ist mit ihnen nicht zu spaßen."
In den Häuserschluchten können nur Steinmarder leben. Warum das in Wien massiv der Fall ist, ist nicht ganz geklärt.
Wien ist kein Einzelfall, es gibt den Trend der zunehmenden Urbanisierung von Wildtieren genauso in Berlin, München oder Zürich. Da wie dort ist nicht nur die Nahrungssituation besser: "Die Stadt wird von den Tieren als beruhigte Zone erlebt, es herrscht kein Jagddruck und keine intensive Land- und Forstwirtschaft", sagt Arnold.
Berlin sei mittlerweile die Stadt der Wildschweine und Zürich die Stadt der Füchse. Diese haben ihr Sozialverhalten geändert: Eigentlich sind Füchse Einzelgänger. "In Zürich sind sie jedoch zu Rudeltieren geworden", betont Arnold. Er berät im Rahmen des Projekts "Wildtiere in Wien"mit seinem Team Behörden in der Stadt, aber auch die Jägerschaft und die Bevölkerung. Auf einer Homepage kann man Wildtiersichtungen melden. "So erhalten wir einen guten Überblick - zusätzlich zu den Daten, die wir selbst etwa mit Kamerafallen erheben", erklärt der Ökologe.
Verwüstete Parks sind nicht das einzige Ärgernis. "Eine Gefahr sind Zoonosen, also die Übertragung von Krankheiten durch den Menschen als Fehlwirt, etwa über Sandkisten auf Spielplätzen", sagt Arnold. Zum einem Problem könnte sich der Fuchsbandwurm entwickeln. "In Wien besteht noch keine Gefahr, in München hingegen laufen schon Entwurmungsaktionen."
Der richtige Umgang mit Wildtieren ist Arnold ein wichtiges Anliegen. Hier ist viel Aufklärungsarbeit gefragt. So sollten die Tiere nicht aus falsch verstandener Tierliebe gefüttert werden: "Am Anfang findet man das Wildschwein oder den Dachs lieb, aber wenn sie den Garten umgraben, ist es mit der Liebe schnell vorbei."
Meldung von Wildtiersichtungen: www.vetmeduni.ac.at/de/fiwi/info/wildinwien