Brief aus Brüssel

Emily Walton
vom 14.10.2015

Albert Einstein, der gerade eine Formel an die Tafel schreibt; der geniale Professor mit dem weißen Schopf, wie er dem Fotografen unter dem weißen Schnauzer die Zunge zeigt: Ikonische Bilder, die man sofort mit Einstein verbindet, auf denen jeder den legendären Physiker gleich erkennt. Weitgehend unbekannt sind hingegen jene Bilder, die Einstein in Antwerpen zeigen - ja, im unscheinbaren, kleinen, belgischen Antwerpen.

Albert Einstein emigrierte 1933 nach Amerika, nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergriffen und als eine der ersten Verfolgungsmaßnahmen alle jüdischen Professoren von den deutschen Universitäten verbannt hatten. Albert Einstein verließ Europa von Antwerpen in Belgien aus.

In den Hallen, in denen die Papiere und der Gesundheitszustand auch der Einsteins vor der Ausreise geprüft wurden, ist heute ein Museum entstanden. Es erzählt die Geschichte der "Red Star Line" und der Tausenden Passagiere, die diese Schiffslinie als Ausweg in ein neues Leben nutzten. Von den 1870ern bis zu den 1930ern machten sich rund zwei Millionen Menschen vom Antwerpener Hafen aus auf den Weg nach Amerika.

Jahrzehnte bevor EU-Regierungschefs, Innen- und Außenminister über Flüchtlingsquoten, Schengengrenzen und Dublinsysteme diskutierten, ja, Jahrzehnte bevor überhaupt von einer EU die Rede war, kamen die Schutzsuchenden in Scharen hierher. Ihr Leben in ein, zwei Koffer gepackt, die meisten nur mit einer einzigen Gewissheit: Dass es, sobald das Schiff ablegt, eigentlich nur noch besser werden kann - auch wenn selbstverständlich kaum jemand so gut und gerne aufgenommen wurde wie der Nobelpreisträger Albert Einstein als Professor in Princeton.

Inmitten der historischen Dokumente im Museum, die viele Einzelschicksale der Passagiere detailliert erzählen, ist ein sehr aktueller Satz zu lesen: "Migration mag heute anders aussehen als damals, doch die menschliche Seite der Migration ist universal und zeitlos." Die Bilder mögen schwarzweiß, die Umstände und Zeiten andere sein, doch diesen menschlichen Kern haben die Bilder von damals mit jenen gemeinsam, die wir heute jeden Tag zu sehen bekommen: Sie zeigen Menschen, die (fast) alles verloren haben und die das, was sie sich aufgebaut hatten, unfreiwillig aufgegeben haben, und die nicht wissen, was aus ihnen wird.

Sie sind, das sieht man auf einen Blick, hilfsbedürftig. Um das zu erkennen, muss man kein Einstein sein.

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