GEOLOGIE

Auf dem Weg ins Anthropozän

Im Sommer soll die Entscheidung für ein neues Erdzeitalter fallen. Hier ein Einstieg ins Thema, das wir in der nächsten Ausgabe ausführlich behandeln

Sonja Burger
vom 06.04.2016

Hubert K. hat sich Baugrund gekauft.

Beim Fundamentgraben stößt er auf Plastikstücke und einen flachen, runden, schwarzen Gegenstand. Reste einer Schelllackplatte. Achtlos wirft er sie in die Mülltonne.

Schellackplatte? Sie war die Vorgängerin der mittlerweile wieder in Mode gekommenen Vinylplatte. Halt aus Schellack statt aus Vinyl. Eine alte Münze oder Keramikscherben hätten Huberts Interesse geweckt. Aber eine Schelllackplatte?

Doch nun, da eine internationale Forschungscommunity im heurigen Sommer darüber entscheiden will, ob ein neues Erdzeitalter -das Anthropozän, also das Erdzeitalter des Menschen -eingeläutet werden soll, könnte die Schelllackplatte eine neue Bedeutung bekommen.

"Formen, die wie die Schelllackplatte sehr kurzfristig auftreten und relativ weit verbreitet waren, könnten sich als Technoleitfossil für die 1950er- Jahre eignen", meint der Geologe Michael Wagreich vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien. Leitfossilien helfen, das Alter von Gesteinsschichten zu bestimmen. Jene für das Anthropozän wären für ihn jedoch synonym mit Technofossilien.

Wagreich ist Mitglied der internationalen Anthropozän-Arbeitsgruppe. Er steht dem neuen Begriff aber mit kritischer Distanz gegenüber. Andere, allen voran der Paläobiologe Jan Zalasiewicz von der Uni Leicester, sind hingegen für dessen Einführung.

Momentan werden die dazugehörigen Leitfossilien (noch) breit aufgefasst und umfassen vieles: von Plastik über Flugasche bis zu Radionukliden. Daher ist zum jetzigen Zeitpunkt die Einordnung und Definition eines Anthropozäns nicht nur schwierig, sondern auch umstritten. Wie soll es sich von anderen Erdzeitaltern abgrenzen? "Chemische Signale wie Radionuklide haben mit Fossilien nichts zu tun. Doch Technofossilien stehen für mich synonym für Artefakte. Ein neuer Terminus ist darum für mich nicht notwendig", erklärt Mathias Harzhauser, Direktor der Paläontologisch-Geologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien.

Warum darüber überhaupt diskutiert wird? Um das Anthropozän in Sedimentschichten bestimmen zu können, braucht man Marker. Sie müssen für jeden Geologen, ob in Österreich oder Japan, eindeutig sein. So müsste etwa Plastik weltweit überall ungefähr zeitgleich aufgetreten sein. Bei "Erdzeitalter" sprechen Experten von einem gedachten Zeithorizont, der durch ein globales, markantes Ereignis wie das Aussterben einer Art oder das Aufkommen eines neuen Organismus, der sich rasch ausbreitet, gekennzeichnet ist. "Das Anthropozän müsste das Gleiche leisten. Viele Ereignisse waren aber kulturhistorisch bedingt und traten nicht gleichzeitig auf", sagt Harzhauser. Eine Ausnahme seien Radionuklide, die seit den ersten Kernwaffentests im Juli 1945 überall nachweisbar sind.

Einigt man sich im Sommer in Kapstadt tatsächlich auf das neue Erdzeitalter Anthropozän, würde es wohl mit der Mitte des 20. Jahrhunderts beginnen. Die Radionuklide der ersten Kernwaffentests wären der Marker.

Technofossilien wären das für Michael Wagreich trotzdem keine, weil sie keine Körperfossilien sind. Diese besitzen nämlich einen Körper. Ist das nicht auch bei der Schelllackplatte der Fall? Hätte Hubert die Plastikstücke nicht ausgegraben, bliebe von ihnen nur mehr Kohlenwasserstoff übrig. "Eine derart kohlenwasserstoffreiche Sedimentschicht könnten in ferner Zukunft wiederum Muttergestein für Erdöl und Erdgas sein", spekuliert Wagreich.

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