Von der Plage zum Helden
Die Gambia-Riesenhamsterratte spürt Landminen auf
Reden Sie mit!" Diese knappe Aufforderung richtet sich an eine breite Öffentlichkeit, auch in wissenschaftlichen Dingen mitzugestalten. Sehr verkürzt, aber dennoch treffend beschreibt der Satz im Wesentlichen das Modell "Open Innovation". Was aber halten Wissenschafter davon, die in heiklen Feldern wie der Genetik arbeiten?
Der Genetiker Markus Hengstschläger gehört zu jenen österreichischen Wissenschaftern, die ihre Ideen stets offen nach außen vertreten und sich nicht in den sogenannten "Elfenbeinturm" zurückziehen.
Hengstschläger arbeitet nicht nur als Forscher und Lehrer. Er ist neben seiner Tätigkeit als Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUni Wien auch in "wissenschaftspolitischen" Gremien mit Fragen der gesellschaftlichen Relevanz von Forschung befasst. So etwa als stellvertretender Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung oder als stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission oder auch als Universitätsrat der Uni Linz.
Wir sprachen mit ihm über das Modell "Open Innovation", das zumindest in Teilen der Wirtschaft längst praktiziert wird und nun dank einer Inititative der österreichischen Bundesregierung auch in den Wissenschaften zum Tragen kommen soll. Dabei geht es natürlich auch um die Fragestellung, ob in Forschung und Wissenschaft ein öffentliches Mitreden von nicht in die Materie Eingeweihten überhaupt Sinn macht:
Herr Hengstschläger, wie geht es Ihnen eigentlich mit dem Begriff ,Open Innovation'? Glaubt man etwa, dass Wissenschaftern einmal die Ideen ausgehen könnten und sie deshalb Anleihe bei der Bevölkerung nehmen sollten?
Markus Hengstschläger: Der Begriff ,Open Innovation' steht im Gegensatz zu ,Closed Innovation'. Hier wird Forschung meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom Labor bis zum Patent und der Anwendung am Markt betrieben - für einen Innovationsprozess, der sich vom Start weg nicht innerhalb der Grenzen des akademischen oder industriellen Labors oder Büros bewegt. Dazu gehören Ansätze wie Open Access, also freier Zugang zu wissenschaftlicher Literatur, oder auch Crowdfunding, also der Versuch, Finanzierungsunterstützung durch eine große Gruppe an Interessenten zu bekommen. Das finde ich gut.
An der School for Innovation der Stanford University wird aktuell sehr viel über Radical Collaboration gemacht. Das heißt, gezielt Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen an einer bestimmten Frage gemeinsam arbeiten zu lassen. Auch das kann im Rahmen von Open Innovation unterstützt werden und ist in der Wissenschaft schon lange angekommen. Und ich persönlich halte das für unverzichtbar. Wenn es aber um Citizen Science, sprich Bürgerbeteiligung geht, muss man meiner Meinung nach genau definieren, was man will.
Open Innovation kommt ursprünglich aus der Wirtschaft. Lässt es sich aber auch eins zu eins auf die Wissenschaft übertragen?
Hengstschläger: Genau das ist die wesentliche Frage. In der Wirtschaft war eine Bürgerbeteiligung stets so zu verstehen, dass der Innovationsprozess auch vom Nutzer, etwa vom frustrierten Kunden, ausgehen kann. Dieses Phänomen hat Eric von Hippel vom MIT schon in den Siebzigerjahren beschrieben: Das Feedback des Kunden veranlasste schließlich das Unternehmen, einen Entwicklungsprozess bis zur Markteinführung zur Lösung des Problems einzugehen.
In der medizinischen Forschung bekommt man natürlich auch viel Feedback vom Patienten, das etwa bei Therapien auch neue Innovationsprozesse einleiten kann. Wenn Sie mich aber konkret fragen, ob ich glaube, dass neue, bahnbrechende Ideen von Laien in die wissenschaftlichen Labors gebracht werden können, bin ich davon nicht überzeugt. Ausschließen möchte ich es aber auch nicht.
Wie gehen wissenschaftliche Prozesse im Gegensatz zu wirtschaftlichen vor sich? Welche sind die größten Innovationsmotoren?
Hengstschläger: Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter sprach von ,schöpferischer Zerstörung', und Clayton Christensen von der Harvard Business School hat, darauf aufbauend, sein Konzept der ,disruptiven Innovation' entwickelt, durch die bestehende Produkte vom Markt verdrängt werden, wodurch die Wirtschaft vorangetrieben wird.
Wissenschaft funktioniert meiner Meinung nach heute aber nicht, oder vielleicht nur zu einem geringen Teil nach einem disruptiven Konzept. Wissenschaftliche Durchbrüche, die schließlich auch zu marktreifen Innovationen führen, entstehen heute mehr Step-by-step. Das heißt, eine Entwicklung führt zur nächsten, und die übernächste Entdeckung baut wieder darauf auf. Um hier Beiträge leisten zu können, muss man viel über den Wissenschaftsprozess wissen. Und auch den aktuellsten Stand der Wissenschaft zu dieser Thematik kennen.
Ich glaube daher vielmehr, die größten Innovationsmotoren sind: Erstens Begegnungen zu ermöglichen, zweitens ein Klima des Vertrauens zu schaffen, wo auch ausgefallene Ideen kommuniziert werden dürfen, drittens ,Design Thinking', um sich auch bestimmter Prozesse -vom Verstehen über die Idee hin zum Austesten -bedienen zu können, und schließlich das von Horace Walpole geschaffene Konzept der ,Serendipity', was man mit glücklichem Zufall umschreiben kann. Es sind also zufällige Entdeckungen im Forschungsprozess willkommen, sofern sie auf ihre Relevanz untersucht werden können. Zwei Komponenten setze ich, vielleicht manchmal etwas blauäugig, dafür voraus: Die Bereitschaft bzw. Motivation der Forscher, ständig ,extra miles' zu gehen, sowie die ausreichende Finanzierung von Forschung in einem Land.
Soll Open Innovation der Bevölkerung Wissenschaft schmackhaft machen?
Hengstschläger: Das kann sicher auch ein Ziel davon sein. Hier hat Österreich immer noch großen Nachholbedarf, denn wir wissen, dass die Bedeutung von Wissenschaft in der Bevölkerung immer noch zu gering geschätzt wird. Wenn Wählerinnnen und Wähler wenig Interesse und Vertrauen in Wissenschaft haben, dann färbt das leider auch immer auf die Politik ab. Es ist meiner Meinung nach aber auch eine Bringschuld jeder Wissenschafterin und jedes Wissenschafters, hier einen Beitrag zu leisten.
Sie sprachen in einem Ihrer Vorträge u.a. über das Thema ,Wissenschaft braucht Gesellschaft'. Wie ist das genau zu verstehen?
Hengstschläger: Als Genetiker, der in der Grundlagenwissenschaft und auch in der Patientenbetreuung tätig ist, hat man in seiner täglichen Praxis mit vielen der heute polarisierendsten ethischen Fragen zu tun. Die Wissenschaft muss die aktuellen Möglichkeiten erklären. Die Medien müssen das allgemein verständlich übersetzen. Und die Gesellschaft muss sich eine Meinung bilden und jene politischen Parteien wählen, die ihre Meinung vertreten, um letztendlich Gesetze zu schaffen. An diese hat sich die Wissenschaft dann aber auch zu halten. So läuft eben der demokratische Kreislauf von der Wissenschaft in die Gesellschaft und wieder zurück. Es ist der einzige akzeptable Weg -und selbst dann, wenn wir nicht zuletzt auch aus der Geschichte wissen, dass Mehrheiten sich irren können.
Haben Sie Beispiele, wo Ihnen die Meinung der Allgemeinheit bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit sogar von Nutzen war?
Hengstschläger: Vielleicht nicht so direkt, aber wir waren weltweit die Ersten, die Stammzellen im humanen Fruchtwasser entdeckt haben. Die Suche nach alternativen Stammzellquellen war, wenn in unserem Fall zwar nicht davon angetrieben, so doch begleitet von der ethischen Diskussion um die Pros und Contras rund um embryonale Stammzellforschung.
Sie sind stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission und seit Jahren international in die Ethikdiskussion im Bereich Life Science aktiv involviert. Ergeben sich für den Genetiker hier nicht manchmal auch Konfliktsituationen?
Hengstschläger: Permanent, aber der Versuch diese Konfliktsituation aufzulösen, wird mich wohl mein Leben lang begleiten.