Outings sind in, also leg' ich auch einmal eins hin: Ich gestehe, ich liebe Helga Nowotny! Die ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrates (ERC) singt in ihrem neuen Buch "Die List der Ungewissheit -The Cunning of Uncertainty", erschienen bei Polity Press, das Hohe Lied eines entspannten Umgangs mit den Grenzen der Planbarkeit.
Das kommt mir und vielen anderen Zeitgenossen entgegen, die geneigt sind, den diversen Prophetien der Ökonomen, Demoskopen und jener Forscher nicht sonderlich zu vertrauen, die gezwungen werden, in Projektanträgen schon zu Beginn darzulegen, wann sie gedenken, zu welcher Erkenntnis zu gelangen.
Vor allem die Grundlagenforschung muss aber die Ungewissheit "umarmen"."Wissenschaft ist die Basis eines mächtigen systematischen Prozesses, in dem Ungewisses in Gewisses umgewandelt wird, nur um gleich wieder mit neuen Ungewissheiten konfrontiert zu werden", schreibt Nowotny.
Die Erfahrung hat gelehrt, "wie oft Pläne schiefgehen können und dass uns ein zu starkes Selbstvertrauen dahingehend, dass wir alles planen und vorhersehen können, oft doch auf unvorbereitete Wege lockt." Auf diesen Wegen tut man sich dann schwer und "stürzt von einer Krise in die andere".
Krise. Na, woran denken wir denn da derzeit? Beim Umgang mit den aktuellen Flüchtlings-und Migrantenströmen sagt Frau Nowotny ganz zu Recht: "Wir sind in keiner Weise auf Unvorbereitetes vorbereitet." Das geht auch gar nicht, es wäre aber ratsam, "die Einstellung zu ändern".
Angesichts unzähliger weltweit immer enger vernetzter Systeme werden die Konsequenzen des Handelns immer schwieriger vorhersehbar. Die Wissenschaft berechnet zwar bestmöglich Wahrscheinlichkeiten, doch das Mitbedenken des Zufalls täte gut: Denn problematisch wird es, wenn man sich sichere Aussagen für eng umschriebene Entwicklungen erwartet, um dann nur danach zu handeln. Kampf dem Röhrenblick!
Die Autorin gefällt mir auch deshalb gut, weil sie eine gesunde Einstellung zu Orakeln hat. Seit wir uns auch nur an irgendetwas erinnern können, haben Menschen versucht, der Zukunft und ihren potenziellen Wendungen mit mystischem Denken oder der Befragung von Eingeweiden und Sphingen in der Gegenwart Herr zu werden. In gewisser Weise sind die modernen Wissenschaften eine Art Fortsetzung dieser Tradition - allerdings haben sie eine neue Einstellung und erfolgreiche Methoden zur Auseinandersetzung damit entwickelt.