Wenn Forschung umstritten ist

Recht und Wissenschaft: Wer kümmert sich um Drohnen? Wer wehrt sich gegen Forschung?

Text: Sabine Edith Braun
vom 06.04.2016

Erinnern Sie sich an die Kameradrohne, die dem Skiläufer Marcel Hirscher beinahe auf den Kopf gekracht wäre?" Mit dem Verweis auf den Vorfall vom 22. Dezember 2015 in Madonna di Campiglio, der dem österreichischen Ski-Ass beinahe zum Verhängnis geworden wäre, ist Iris Eisenberger mitten im Thema. Die Juristin, die seit 1. Jänner 2016 eine Rechtsprofessur an der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) innehat, widmet sich den rechtlichen Rahmenbedingungen von umstrittener Forschung.

Was aber haben Drohnen mit der BOKU zu tun?"Viel -die Forschung der BOKU ist am Puls der Zeit", sagt Eisenberger. Zwei Drohnen sind dort im Einsatz, und zwar am Institut für Wasserwirtschaft zu Wasserspiegelmessungen bei Hochwasser, und am Institut für Alpine Naturgefahren, etwa zur Überwachung von Hangrutschungen. Die Drohne hat den Vorteil, dass sie bei Naturkatastrophen dort hinkommt, wo es für Menschen unmöglich oder zu gefährlich ist.

Drohnen: Wenig Wissen über das Recht auf Privatsphäre

Doch der Einsatz von Drohnen kann ein rechtliches Problem darstellen: Zwar regelt das entsprechende Luftfahrtgesetz Fragen der Sicherheit, aber nicht primär der Privatsphäre. Dass auch hier Bestimmungen einzuhalten sind, wissen nur die wenigsten. Auch etwaige Flugverbotszonen müssen beachtet werden.

Aber wem wäre bei einer Übertretung die Verwaltungsstrafe zuzustellen? Drohnen haben keine Nummerntafel, die Auskunft über den Besitzer gibt.

"Drohnen ohne Sichtkontakt gelten als unbemannte Luftfahrzeuge der Klasse 2. Sie müssen wie Zivilluftfahrzeuge zertifiziert und zugelassen werden. Dafür sind gewisse Vorschriften zu erfüllen", sagt Iris Eisenberger.

In Österreich sind zurzeit 340 Drohnen bewilligt. Die Expertin geht davon aus, dass es eine ebenso hohe Dunkelziffer an nicht bewilligten Geräten gibt, die vor allem zu privaten Zwecken im Einsatz sind. Immer wieder -vor allem bei Sportveranstaltungen -komme es zu Abstürzen. Auch wenn nicht jeder Absturz einer Drohne live im Fernsehen übertragen wird wie jener beim denkwürdigen Slalom von Madonna di Campiglio.

Das Seminar "Wissenschaft an der Grenze", das Eisenberger gemeinsam mit Magdalena Pöschl an der BOKU und an der Universität Wien hält, hat Chancen und Risiken, Regulierungsbedingungen sowie Regulierungstechniken von umstrittener Forschung zum Inhalt. Im Seminartitel heißt es "umstrittene", nicht "gefährliche" Forschung, denn, so Eisenberger, "Forschung ist nicht per se gefährlich. Aber jede Forschung kann dual use sein."

Das heißt, sie kann guten - oder eben auch weniger guten Zwecken dienen. An diese, die weniger guten Zwecke, denkt nicht gleich jeder Tüftler, der sich über eine geglückte Erfindung oder eine Innovation, die er sich ausgedacht hat, freut.

Atomkern bis Genfood: Kunst als Avantgarde der Technologie

Die Diskussion über die Folgen von wissenschaftlichen Innovationen ist nicht neu. Auch die Kunst hat sich ihrer angenommen. War in den Sechzigerjahren (Friedrich Dürrenmatts "Physiker" wurden 1962 uraufgeführt, Heinar Kipphardts Dokumentarstück "In der Sache J. Robert Oppenheimer" 1964 erstausgestrahlt) noch das Atom bestimmendes Thema, kündigte sich zwanzig Jahre später schon das 21. Jahrhundert - jenes der Biologie -an.

In der Jugend-Fernsehserie "Patrik Pacard" aus 1984 von Justus Pfaue gab es die Figur des Biochemikers Gunström. Er entwickelt eine Formel, die Obst und Gemüse so verändert, dass sie auch auf Gletschern oder in der Wüste wachsen können. Nach (Kaltem) Bandenkrieg, Verfolgungsjagden, Entführung und einer lebensgefährlichen Flucht durch die Wüste macht der 16-jährige Patrik, unwissentlicher Träger der geheimen Formel, nach einer Belehrung durch den nun einsichtigen Professor Gunström genau das, was von ihm erwartet wird: Er zerschneidet die "gefährliche" Formel, die ihm mittels Laser in die Fußsohle gebrannt worden war. Was Mitte der Schtzigerjahre noch als Dystopie erschien, ist heute allgegenwärtig. Stichwort: Monsanto.

"Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei", heißt es in Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes. Reguliert werden kann daher erst dann etwas, wenn es existent ist. Aber schon beim Entwurf potenzieller Horrorszenarien hinkt die Realität der Gesetzgebung weit hinterher. "Wir Juristinnen und Juristen schauen immer erst hin, wenn etwas schon da ist", sagt Iris Eisenberger. Sie fordert eine mehr vorausschauende Zugangsweise -also mehr Fantasie -auch seitens der Legislative. Juristen agierten in solchen Fragen oft zu technikgläubig. "Wir sollten uns bei Neuerungen schon im Vorfeld Gedanken darüber machen, welche Rechtsprobleme hier auftauchen könnten", sagt sie.

Selbstfahrende Autos: Keine Technologie ohne Wertentscheidung

Als Beispiel führt sie autonome Autos an. Aktuell finde ein weltweiter Wettbewerb statt: Staaten versuchen, durch günstige Rechtsvorschriften und den Bau von Teststrecken Konzerne anzulocken. Sie sollen im jeweiligen Land die Mobilität der Zukunft, vor allem selbstfahrende Autos, entwickeln. Dafür muss spezielle Software geschrieben werden. Doch dabei werde über das gefährlichste Detail am wenigsten nachgedacht: das "ethische Coden", also das Entscheiden in Notsituationen: Wenn ein Unfall unausweichlich erscheint, wer soll dann geschützt (bzw. "geopfert") werden: die Personen außerhalb oder die innerhalb des Autos? Soll ein alter Mensch geopfert werden -oder ein Kind? Wer setzt den Algorithmus fest -und nach welchen Kriterien?"Wenn es um Technologie geht, tun wir immer so, als ob es um keine Wertentscheidung ginge", sagt Eisenberger, "aber hier geht es um Wertentscheidungen. Und irgendjemand wird sie treffen müssen."

Dort, wo seitens des Staates ein Regelungsvakuum bestehe - in westlichen Demokratien sind staatliche Forschungsverbote die seltene Ausnahme -entstehe eine Vielzahl an Soft-law-Dokumenten und Empfehlungen. Von deren (freiwilliger) Einhaltung hängt es oft ab, ob Forschungsvorhaben überhaupt finanziert beziehungsweise Forschungsergebnisse publiziert werden können.

Letzteres illustriert Eisenberger am Beispiel des Vogelgrippe-Virus: Eine niederländische und eine US-Forschungsgruppe hatten das Virus verändert. Sie wollten ihre Forschungsergebnisse publizieren. Darauf folgten ein Aufschrei und eine lange Diskussion darüber, ob eine solche Publikation vertretbar sei. Was, wenn Terrorgruppen von diesem Wissen Gebrauch machen?

"Es wurde sogar überlegt, ob bestimmte Schritte in der Publikation aus Sicherheitsgründen ausgelassen werden sollten - was einer freiwilligen Selbstzensur gleichgekommen wäre." Letztlich wurden beide Studien lückenlos publiziert.

Bei solchen Fragen sei stets abzuwägen, ob die Chancen die Risiken rechtfertigten, meint Eisenberger. Die Studierenden in ihrem Seminar müssen anhand von konkreten Beispielen herausfinden, welche Wissenschaftszweige umstrittenes Wissen hervorbringen, mit welchen Mitteln die Rechtsordnung verhindert, dass Informationen in falsche Hände gelangen, oder wer überhaupt die Kompetenz zur Regelung von Forschung hat.

Das bestehende Regelungsvakuum sei auch eine Folge davon, dass -politisch - für den Gesetzgeber in Forschungsfragen nicht viel zu gewinnen sei. Andere Themen sind populärer. Und haben die Parlamentarier überhaupt die Kompetenz, über so komplexe Dinge zu entscheiden?

"Nicht mehr und nicht weniger als in allen anderen Fragen auch", sagt Eisenberger. "Es muss ja nicht gleich zu einer Verschiebung der Entscheidungskompetenz kommen. Aber nichts spricht dagegen, ein wenig Expertise von außen hereinzuholen. Wer dazu bereit ist, zeigt, dass er ohnehin genug Sachverstand hat", meint die Juristin.

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