Süßwasserpipelines aus Grönland
Ein zwanzigjähriger Philosophiestudent macht sich Gedanken über die Zukunft im Alpenland
Der Geologe Jan Zalasiewicz nannte den Menschen einmal das "die Erde dominierende Raubtier". In Wissenschaftskreisen diskutiert man schon seit Längerem, ob ein neues Erdzeitalter auszurufen sei, das dieser Situation gerecht wird. "Die Menschheit formt die Erde in einem Maße um, dass sogar geologische Prozesse beeinflusst werden", sagt Michael Wagreich vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien. Er ist als Experte für Erdgeschichte und Stratigraphie seit 2012 Mitglied einer globalen Arbeitsgruppe, der auch Jan Zalasiewicz angehört. Sie besteht aus rund 30 Wissenschaftern, darunter zum Großteil Erdwissenschafter, aber auch Archäologen, Bodenforscher, Biologen und Historiker. Sie wurde von der Internationalen Stratigraphischen Kommission, die für die Einteilung der Erdzeitalter zuständig ist, eingesetzt, um die Sinnhaftigkeit der Ausrufung eines neuen Erdzeitalters unter dem Namen "Anthropozän" zu prüfen. Die Entscheidung darüber wird voraussichtlich im Sommer in Kapstadt fallen. Wir sprachen mit Michael Wagreich darüber.
Herr Wagreich, in welchem Zeitabschnitt der Erdgeschichte befinden wir uns eigentlich?
Michael Wagreich: Noch befinden wir uns im jüngsten Zeitabschnitt der Erdgeschichte, dem Quartär, das vor 2,6 Millionen Jahren mit der Vereisung der Nordhalbkugel definiert wurde. Das Quartär selbst ist zusätzlich noch in die Epochen Pleistozän und Holozän unterteilt. Das bis heute andauernde Holozän begann vor über 11.500 Jahren mit der Erwärmung des Klimas. Faktisch befinden wir uns zwar noch immer in einer Eiszeit, allerdings in einer Warmperiode. Ob und wann das Holozän nun vom Anthropozän abgelöst werden soll, wird seit 2011 von der internationalen Experten-und Expertinnen-Kommission geprüft, der auch ich angehöre.
Welche Kriterien rechtfertigen ein neues Erdzeitalter und welchen Sinn macht es?
Wagreich: Prozesse, die bis vor Kurzem noch gänzlich natürlich abliefen, werden nun vom Menschen signifikant beeinflusst. Das geht derzeit sogar so weit, dass wir sichtbare Spuren im Gestein hinterlassen, die selbst in Tausenden von Jahren noch nachweisbar sein werden. Und solche Spuren sind für uns ErdwissenschafterInnen die Kriterien bei der Definition von Erdzeitaltern. Ja, es macht also durchaus Sinn, ein neues Erdzeitalter, das den globalen Fußabdruck des Menschen zeigt, auszurufen, darin sind wir uns einig.
Haben Sie weitere Beispiele für den globalen Fußabdruck des Menschen?
Wagreich: Zum Beispiel transportieren wir gleich viel Schotter und andere Baumaterialien wie alle Flüsse weltweit zusammen genommen. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, wie sehr der Mensch in die Umwelt eingreift. Auch die Menge an bioverfügbarem Stickstoff, die wir produzieren, ist seit Anfang der 1980er-Jahre größer geworden als jene, die durch die Natur entsteht. Bei Methan verhält es sich ähnlich: Dieses Treibgas -vorrangig durch Reisanbau und Viehzucht angereichert -hat seit mehreren hunderttausend Jahren den Höchstwert in der Atmosphäre erreicht. Ganz zu schweigen von den immensen Eingriffen in die Natur im Zuge der Rohstoffgewinnung: Bohrlöcher weltweit summieren sich auf zigtausende Kilometer.
Jetzt meinen aber Kritiker der Anthropozän-Idee, dass es sich dabei um Spekulation handelt, da viele Veränderungen erst in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden stattfinden werden
Wagreich: Ich empfehle diesen Kritikern, nur die Augen zu öffnen, und sie werden diese Veränderungen bereits heute erkennen. Keine Frage, der Einfluss des Menschen ist bereits in den Ablagerungen vorhanden und sichtbar. Die Müllhalde ist einfach da, wie ältere Sedimentschichten. Und wenn Sie einen Blick zu meinem Bürofenster hinauswerfen, sehen Sie einen einzigen Baum inmitten einer Betonwüste. Und dieser ist vom Menschen gepflanzt. Keine Frage also, viele Veränderungen sind bereits da, andere werden noch kommen: Wie etwa der Anstieg des Meeresspiegels. Dieser könnte in etwa hundert Jahren einen Meter ausmachen, mit all den Folgen für die in Küstennähe gelegenen Städte.
Was bedeutet all das für die Lebewesen? Droht ein weiteres Artensterben?
Wagreich: Ja, es droht ein weiteres Artensterben. Nur braucht die Lebewelt einfach längere Zeit, um zu reagieren. Untersuchungen zeigen aber, dass die Entwicklung zum großen Artensterben bereits begonnen hat.
Ist es da nicht zuviel der Ehre, den Menschen, als eigentlichen Verursacher dieser Misere, auch noch zur geologischen Kraft zu erklären?
Wagreich: Das sehe ich weniger als Ehre, sondern als bittere Wahrheit. Wobei der Name Anthropozän für uns nicht das Thema ist. Aber andere Namen wie etwa Homogenozän oder Kapitalözän sind im Vergleich zum Anthropozän eben kaum verbreitet.
Welchen Zeitpunkt hält Ihre Gruppe als Beginn des Anthropozäns für realistisch?
Wagreich: Für den Erfinder des Anthropozäns, den Meteorologen Paul J. Crutzen, beginnt dieses neue Erdzeitalter mit der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts. Die Mehrheit unserer Arbeitsgruppe ist aber für einen späteren Zeitpunkt, und zwar für die Mitte des 20. Jahrhunderts, den Beginn der Atombombentests. Durch diese Tests haben wir radioaktive Marker, die auch wirklich über die ganze Erde verstreut sind, also global nachweisbar sind, vom Eiskern in der Antarktis bis zum Regenwald im Amazonas.
Welche konkreten Schritte verfolgen Sie derzeit?
Wagreich: Derzeit untersuchen wir, ob oben genannte Marker -vor allem Plutonium-Isotope -ab den 1950ern auch wirklich weltweit zu finden sind. Oder ob es vielleicht andere, bessere Marker für den Beginn des Anthropozäns gibt, wie etwa Plastik oder andere vom Menschen gemachte Stoffe. Weiters wird der heutige Verbrauch an Ressourcen gemessen, wie Süßwasser oder CO2, und mit früheren Jahrzehnten bis hinein ins Holozän verglichen. Mit einem Blick zurück in die Erdgeschichte untersuchen wir ähnliche Ereignisse: Ich vergleiche etwa die vergangene Grenze des Kreidezeitalters zum Tertiär, wo als Marker ein Meteoriteneinschlag mit seiner Iridiumanreicherung definiert wurde, und untersuche, ob Plutonium oder ähnlich Isotope vergleichbare Marker für das Anthropozän darstellen.
Kann die Einführung des Anthropozäns die Welt noch retten?
Wagreich: Das wohl nicht, dazu sind die Eingriffe schon zu weit fortgeschritten. Die Entwicklung werden wir nicht stoppen können. Aber es wäre ein wichtiges Symbol und schafft auch Aufmerksamkeit für einen bewussteren Umgang mit der Umwelt und unseren natürlichen Ressourcen. Und inspiriert hoffentlich noch mehr Initiativen in punkto Arten-, Umwelt-und Klimaschutz, um die rasanten Veränderungsraten zumindest abflachen zu lassen.
Wenn aber Ihr Kollege Jan Zalasiewicz den Menschen als das ,die Erde dominierende Raubtier' bezeichnet, so gibt dies wenig Grund zur Hoffnung
Wagreich: Ich denke, die Aussage meines Kollegen Jan Zalasiewicz ist überspitzt bzw. aus dem naturwissenschaftlichen Kontext heraus zu sehen. Wenn man schon den politischen und gesellschaftspolitischen Hintergrund des Anthropozäns anspricht, dann würde ich die Möglichkeit des vernunftbegabten Menschen, sein Verhalten zu ändern, durchaus als Hoffnungsanker sehen.
Und wenn nicht, wäre der Mensch in der Lage, das Leben auf der Erde auszulöschen?
Wagreich: Das haben selbst große Asteroideneinschläge bisher nicht geschafft, und so wird es auch dem Menschen nicht gelingen. Und selbst dann nicht, würfe er alle Atombomben dieser Erde auf einmal ab. Aber sich selbst als Art auszulöschen, könnte schon eher gelingen. Und manchmal fürchte ich, dass wir bereits am besten Weg dorthin sind.