Die Medizin des 21. Jahrhunderts
... soll eine personalisierte sein. Vor allem Big Data macht diese Entwicklung möglich
vom 27.10.2016
Die Möglichkeit, auf Entwicklungen etwa in der Genombestimmung schnell zu reagieren, soll ein neues "Zentrum für Präzisionsmedizin" schaffen. Anfang dieses Jahres kam es zur Einigung zwischen Wissenschafts- und Finanzministerium sowie der Stadt Wien über eine bauliche Erweiterung des MedUni Wien/AKH-Campus. Ein medizinischer Technologiepark für personalisierte und translationale Medizin sowie Aktivitäten im Bereich Technologietransfer wird errichtet. Damit sichere sich Österreich eine Pionierrolle in der Medizin des 21. Jahrhunderts, meint Christoph Binder von der MedUni Wien.
"Big Data" hält nun auch in der Medizin Einzug
Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms und der Entwicklung sogenannter "-omics-Technologien" ist die Medizin im Umbruch. Genetische oder metabolische Spielarten können rasch und für jeden individuellen Menschen nachgewiesen werden. Weltweite Studien generieren riesige Datenmengen. Sie werden in bioinformatischen Analysen verglichen. Dies führe laut Walter Berger, Krebsforscher an der MedUni Wien, zu dramatischen Fortschritten auf dem Feld der "personalisierten Medizin". Das Ziel: eine maßgeschneiderte Behandlung für jeden einzelnen Patienten.
Als Kehrseite der Medaille sieht Walter Berger allerdings, dass es diese Lawine an Daten für den behandelnden Arzt derzeit noch unmöglich macht, die Informationen direkt zu lesen, zu überblicken und auf eine den Patienten abgestimmte Diagnose und Behandlung zu übertragen. Auch seien die "-omics-Daten" vorerst nur beschreibend.
Die bioinformatische Analyse kann mit ausgeklügelten Programmen und Algorithmen Vergleiche anstellen und evaluieren. So zum Beispiel, welche genomischen Veränderungen mit einer längeren oder kürzeren Lebenszeit korreliert. Die dafür zugrunde liegenden molekularen Mechanismen und biochemischen Prozesse könnten laut Berger allerdings nur erahnt werden.
Präzisionsmedizin soll keine Spielwiese für Forscher bleiben
Daher sei translationale Forschung von so extremer Bedeutung für den medizinischen Fortschritt. Nur durch eine molekulare Bestätigung und Weiterentwicklung der aus Grundlagenforschung und dem "-omics-Bereich" kommenden Annahmen und Hypothesen ist das gewonnene Wissen tatsächlich in neue Therapien und verbesserte Diagnosen überzuführen. Translationale Forschung sei auch notwendig, um die Datenlawine aus dem "-omics-Bereich" auf eine dem klinischen Alltag realistische Zahl von Analyseparametern, also "Biomarker", zu reduzieren. Diese sollten einfach durchführbar und in den verschiedensten Laboratorien reproduzierbar sein. "Damit wird es möglich, dass Präzisionsmedizin tatsächlich beim Menschen ankommt und nicht eine Spielwiese für Forscher bleibt", betont Berger.
Mehrere europäische Forschungszentren meinen, dass die Überführung der rasant anwachsenden Erkenntnisse aus Grundlagenforschung und Big Data in die klinische Anwendung noch immer viel zu lange dauere. Auch erreiche sie häufig nicht das Stadium der klinischen Erprobung. Als ein wesentliches Hemmnis für den medizinischen Fortschritt auf Basis der Präzisionsmedizin" sieht Berger die mangelnde Förderung der translationalen Forschung an den Universitäten und die mangelnde Innovationskraft der industriellen Forschung. "So enden viele äußerst vielversprechende Entwicklungen, etwa in der Krebstherapie, beim Tierversuch oder nur einer ersten ,Lead'-Substanz. Die Umsetzung und die Erprobung am Patienten scheitern aber derzeit noch am Mangel geeigneter multidisziplinärer Forschungskreise und an den hohen Kosten der präklinischen Überprüfungen", bedauert Berger.
Die Medizinische Universität Wien hat es sich daher zum Ziel gesetzt, durch die Etablierung des "Centers for Translational Research and Therapeutics" diesem Mangel entgegenzuwirken und Wien als Schwerpunkt für Angewandte Medizinische Forschung zu etablieren.
Es mangelt an der Förderung translationaler Forschung
"Durch die Vergabe flexibler Forschungsflächen und die Bereitstellung der entsprechenden multidisziplinären Ressourcen und Technologien soll es den Forschern und Forscherinnen der MedUni Wien ermöglicht werden, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse direkt bis zur klinischen Erprobung in Kooperation mit der Industrie voranzutreiben", erklärt Berger.
Das "Center for Translational Research and Therapeutics" wird eng mit den Universitätskliniken des AKH Wien, aber auch mit den Forschern und Forscherinnen des "Centers for Precision Medicine", dem Grundlagenforschungscampus und der pharmazeutischen Industrie zusammenarbeiten.
Die Förderung dieser Kooperation wird durch die Errichtung eines Transfer Centers unterstützt. Dieses Center soll nicht nur der Industrie genügend Raum bieten, sondern auch Spin-Off-Unternehmen und anderen Kooperationsprojekten mit der Wirtschaft wie der FFG oder den Christian-Doppler Laboratorien. Über diese Pläne führten wir das folgende Gespräch mit dem Rektor der MedUni Wien, Markus Müller.