Ein Werkzeug für die Gentechnologie
Emmanuelle Charpentier hat eine Genschere entwickelt. Sie wird unsere Realität verändern
vom 22.03.2017
Chorgesang -und alle stimmen ein: altehrwürdige Professoren und Institutsleiter, junge Wissenschafter und Schüler. Es folgt tosender Applaus im voll besetzten Festsaal der Akademie der Wissenschaften in Wien. Sogar begeisterte Pfiffe sind zu hören. Diese Begrüßung gilt Emmanuelle Charpentier. Sie leitet in Berlin das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. In Wien hatte sie vor einigen Jahren begonnen, eine Technik zu entwickeln, die die Lebenswissenschaften revolutionierten und ihr in kürzester Zeit mehr Preise bescherten, als andere Forschungsstars in einer lebenslangen Karriere bekommen.
Der Nobelpreis steht noch aus. Wahrscheinlich wird auch dieser bald zur Sammlung der 49-jährigen Forscherin gehören. Ebenso wahrscheinlich ist, dass sich durch die von ihr entwickelte, hochpräzise Genschere bald die Medizin und andere Bereiche im alltäglichen Leben verändern.
Die Genschere für spurlose Wesensveränderungen
Aus einem Infektionsabwehrsystem in Bakterien hat Charpentier ein "mächtiges Werkzeug für die Gentechnologie in prinzipiell allen Organismen" geschaffen, wie sie selbst erklärt. Nämlich eine Art Genschere, mit der man hochpräzise das Erbgut in Bakterien genauso wie in Pflanzen und Tieren einschließlich Menschen verändern kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Damit könnte man etwa Krankheitsgene ausschalten, Krankheitsüberträger ausrotten, Blutzellen gegen das HI-Virus immun machen und Nutzpflanzen beliebig verändern. Dies bietet natürlich nie dagewesene Möglichkeiten und Chancen wie Risiken gleichermaßen und beschäftigt die Bioethiker genauso wie die Lebenswissenschafter, Agrarforscher und Mediziner.
Diese Genschere namens CRISPR/Cas besteht aus Eiweißstoffen, die Charpentier gemeinsam mit ihrer Kollegin Jennifer Doudna in bestimmten Bakterien (Streptokokken) gefunden hat. Damit halten sich die Mikroben normalerweise Viren vom Leib. Nach einer Infektion fügen sie zunächst Erbgutstückelchen der Viren in ihre CRISPR-Region (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ein. Das sind Abschnitte von sich wiederholender DNA mit einem kurzen Stück, das sich von hinten und vorne gleich lesen lässt wie etwa der Name "Anna". Bei einem neuen Befall können die Bakterien die Viren-DNA damit rasch erkennen und setzen "Cas"( CRISPR associated) darauf an. Cas zerschneidet die DNA der Eindringlinge und setzt sie außer Gefecht.
Die beiden Forscherinnen haben das System zweckentfremdet und setzten es ein, um beliebig DNA anderer Organismen aufzutrennen. Beide Komponenten ( CRISPR und Cas) werden dafür synthetisch hergestellt und etwa mit Mikroinjektionen in die Zellen eingeführt. Forscher müssen nur die entsprechenden "Leitsequenzen" ordern, damit der Schnitt an der gewünschten Stelle erfolgt - der Rest gehört in den einschlägigen Labors zur Grundausrüstung. Die Gesamtkosten für einen solchen Eingriff liegen bei 20 bis 30 Euro.
Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig, teilweise aber freilich umstritten, denn es können damit Gene eingefügt oder ausgeschaltet werden; man kann defekte Erbgutteile ersetzen und einzelne DNA-Buchstaben verändern. Dieses "Genome Editing" haben Charpentier und Doudna erstmals im Jahr 2012 eingesetzt und im Wissenschaftsmagazin Science beschrieben.
Vermehrung nur noch in Wochen statt in Monaten
In der Grundlagenforschung wurde mit dieser neuen Technik das Ausschalten von Genen, um ihre Funktion zu erkunden, viel einfacher, schneller und präziser. Mäuse mit speziellen Gendefekten (Knock-out-Mäuse) können damit zum Beispiel in wenigen Wochen statt in Monaten erzeugt werden.
Die Humanmediziner wollen mit dem CRISPR/C as-System unter anderem versuchen, weiße Blutzellen von HIV-infizierten Patienten immun gegen das Virus zu machen, indem sie seine Eintrittspforte (das Andock-Protein) ausschalten. In der Gentherapie könnte die Präzisionsmethode angewendet werden, um Erbkrankheiten wie die Sichelzellenanämie zu behandeln. Auch Eingriffe in die menschliche Keimbahn und in Embryonen wären möglich.
Bei der Anwendung an Menschen würde Charpentier persönlich bevorzugen, wenn damit nur "gewöhnliche" Körperzellen behandelt werden und keine Keimbahnzellen, aus denen Samen-und Eizellen gebildet werden, denn über diese werden die Veränderungen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Bei Krebserkrankungen jedoch könnten Therapien mit ihrer Genschere sehr effektiv sein, meint sie.
In Österreich sind Veränderungen, die an die Folgegenerationen weitergegeben werden, gegenwärtig verboten, erklärt Christiane Druml vom UNESCO-Lehrstuhl für Bioethik an der MedUni Wien. Sie ist Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Bei Therapien in "normalen" Körperzellen müsse man von Fall zu Fall unterscheiden, meint sie. Man dürfe bei der ganzen Diskussion um mögliche Risiken aber nicht die Möglichkeiten der neuen Technik vergessen. "Es gibt im Krankenhausalltag viele Fälle, bei denen die Mediziner überhaupt keine Möglichkeiten haben, den Patienten ursächlich zu helfen. Vielleicht tun sich hier mit der neuen Genschere neue Chancen auf."
Würde sich etwa herausstellen, dass ein möglicher Eingriff in die Keimbahn mit keinerlei Risiken verbunden ist, müsse man diskutieren, ob man nicht über Verbote, sondern über Gebote sprechen sollte. Kann man etwa an Zystischer Fibrose erkrankte Personen samt ihren Nachkommen beinahe risikolos von dem Leiden befreien, wäre es ethisch wohl schwer vertretbar, ihnen diese Möglichkeit vorzuenthalten.
Ethisch diskussionswürdig ist auch eine andere potenzielle Anwendung der Genschere: Man könnte damit möglicherweise Malariamücken ausrotten. Malaria tötet jährlich Hunderttausende Menschen. Darum wollen Forscher ihre Überträger, die Anopheles-Stechmücken, genetisch so verändern, dass sie unfruchtbar werden oder keine Erreger mehr weitergeben.
Dazu gäbe es zwei Möglichkeiten, erklärt der österreichische Biologe Nikolai Windbichler, der am Imperial College in London arbeitet: "Entweder man breitet ein neues Gen in der Moskitopopulation aus, das es ihnen verunmöglicht, Malaria zu übertragen." Die Anzahl der Mücken bliebe zwar gleich, aber die Malaria würde eingedämmt werden. "Andererseits, und das haben wir gezeigt, könnte man auch Fruchtbarkeitsgene im Mückengenom ausschalten." Dadurch gäbe es weniger Mücken und der Transmissionszyklus der Erreger (Plasmodium falciparum) könnte eventuell durchbrochen werden. An beidem wird weltweit intensiv geforscht.
Forscher haben in den vergangenen Jahren mittels CRISPR/Cas schon krankheitsresistenten Weizen und Reis hergestellt. Auch hornlose Rinder sollen damit entstehen. Weil sich die DNA-Sequenzen mit CRIS-PR/C as so exakt verändern lassen, hinterlassen diese Manipulationen keine Spuren am Erbgut. Die veränderten Ackerpflanzen und Nutztiere können daher praktisch nicht identifiziert werden, wie es bei jenen aus herkömmlicher Gentechnik möglich ist.
Veränderungen bei Pflanzen, die mögliche, gezielte Ausrottung, Veränderung ganzer Spezien (Malariamücken) zugunsten einer anderen (Homo sapiens) oder der Eingriff in das menschliche Erbgut werfen ethische Fragen auf. "Man sollte sie mit Fachleuten aus aller Welt diskutieren und von verschiedensten Seiten beleuchten", meint die Ethikerin Druml. "Denn es besteht das Risiko, dass sonst solche Dinge auf der Welt einfach durchgeführt werden, weil sie technisch möglich sind." Man solle die Forscher zumindest mit Verhaltensrichtlinien ausstatten.
Solche Richtlinien seien auch wichtig für Forschungsförderungsinstitutionen, wenn sie Projekte beurteilen und entscheiden, ob sie dafür Gelder bereitstellen. Bei der rasanten Entwicklung der Biotechniken sei es schwierig mit dem Diskurs mitzuhalten. "Dahingehend ist es bei CRISPR beachtlich, wie parallel dazu die ethischen Diskussionen stattfinden", meint Druml. Es gibt also nicht nur Jubel, sondern eben auch Diskussionen.