Der Wienerwald von unten
Sein Waldboden ist sehr alt, voller Leben und mit einem Gedächtnis
vom 26.04.2017
Seit etwa 11.000 Jahren wächst der Boden des 1.350 Quadratkilometer großen Wienerwalds. Damals eine Steppenlandschaft mit Birken und Kiefern, kamen vor 3.000 Jahren die ersten Rotbuchen auf. Wann die krautige Vegetation der Buchenwälder wieder Einzug hielt und aus welchen eiszeitlichen Rückzugsgebieten sie stammt, soll im aktuellen Projekt "HisArt" des BFW geklärt werden. "Eine denkbare Hypothese wäre, dass zuerst die Buche im Wienerwald war, und anschließend folgten verzögert die Begleitarten", meint der Projektleiter und Waldgenetiker Christoph Dobeš. Kleeblatt-Schaumkraut oder Schwarze Nieswurz könnten also die Eiszeit in anderen Rückzugsgebieten überdauert haben.
In einem Buchenwald fallen im Herbst etwa 2.500 Blätter auf einen Quadratmeter Boden. Darunter, bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern, kommen bis zu zwei Millionen Lebewesen vor. Zuerst beginnen Bakterien, Pilze und Algen das herabgefallene Laub zu zersetzen. Es folgen etwa Springschwänze oder Hornmilben, die Löcher in das Blatt fressen. Regenwürmer oder einige Arten der Tausenfüßer fressen ganze Stücke des Laubblatts wie auch Erde. Die Ausscheideprodukte des Regenwurms sind das Superfood der Pflanzen: sogenannte "Ton-Humus-Komplexe. Die darin gebundenen Nährstoffe werden von den Pflanzen aufgenommen. Dabei spielen Mykorrhizapilze, die an den Wurzeln der Pflanzen leben, eine wichtige Rolle. Je nachdem, welche Baumarten in einem Wald wachsen, leben zwischen 30 und 50 verschiedene Mykorrhizapilze im Boden. "Die am häufigsten vorkommenden Arten sind nicht jene, die man gemeinhin als Schwammerl im Wald sieht", sagt der Waldökologe Douglas Godbold vom Institut für Waldökologie der BOKU. Er meint damit Arten, die ihre Fruchtkörper im Boden bilden und für Laien nicht sichtbar sind.
Gewisse Pilzarten bevorzugen Wurzeln einer bestimmten Baumart, so etwa der Süßliche Milchling die Rotbuche. Über fadenförmige Zellen, die zehnmal feiner als menschliches Haar sind, dringt er in Bodenporen und Baumwurzelräume ein. Der Pilz versorgt die Buche mit Nährstoffen und erhält dafür den von ihr produzierten Zucker.
In naturnahen Wäldern sind Pflanzen, der Boden und die darin lebenden Mikroorganismen sehr genau aufeinander abgestimmt. Setzt man im Wienerwald aber etwa auf einem nährstoffarmen Laubwaldboden Fichten - eine hier nicht heimische Baumart -, versauert der Boden nach einiger Zeit, erklärt der Bodenökologe Michael Englisch vom BFW. Das Bodenleben reagiert sehr empfindlich auf diese Veränderungen und die Nährstoffkreisläufe geraten durcheinander. Auch bei Kahlschlägen: Dem Bodenleben wird durch das stärker einfallende Licht regelrecht eingeheizt, der Humus wird stärker abgebaut. Die Bodenorganismen "atmen" dabei mehr und setzen mehr Treibhausgase frei. "Man weiß es nur ansatzweise, aber wir gehen davon aus, dass die Treibhausgasemissionen in intensiv bewirtschafteten Ökosystemen, sprich Ackerbau, potenziell noch höher sind und die Biodiversität des Bodenlebens noch geringer ist", meint Englisch.
Aus der "Atmung" gewinnt die Wissenschaft indirekt Informationen über die Aboder Anwesenheit von Bakterien und deren Aktivität im Boden. In einem Forschungsprojekt untersuchte das BFW gemeinsam mit Forschungspartnern unter anderem Artenvielfalt und Dichte verschiedener Organismengruppen im Boden von Naturwaldreservaten wie dem Eichen-Hainbuchenwald am "Johannser Kogel" im Lainzer Tiergarten und dem Rotbuchenwald bei Klausen-Leopoldsdorf, deren Nutzung für einen bestimmten Vertragszeitraum unterlassen wird. Dabei zeigte sich, dass die Menge der mikrobiellen Biomasse in beiden Böden ähnlich groß war, sich jedoch die Gemeinschaft der Bakterienarten unterschieden. Die unterirdische Lebewelt im Wald ist also nie dieselbe, sondern je nachdem, wie der Boden beschaffen ist und welche Baumarten wachsen.
Bei den Untersuchungen zeigte sich auch, dass aus dem Boden eines Buchenwaldes im Lainzer Tiergarten mehr als doppelt so viel des Treibhausgases Stickstoffdioxid freigesetzt wird als im Buchenwald abseits der Stadt Wien. Grund sind die Abgase aus der nahen Stadt. "Wir düngen unsere Wälder unabsichtlich durch die Luft", beklagt der Waldökologe Godbold. Es sei nachgewiesen, dass die Artenvielfalt der Mykorrhiza-Gesellschaften im Waldboden deshalb zurückgeht. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Pilze.
So wie heute messbar ist, dass dem Waldboden aus der Luft Stickstoff in zu hohem Maß zugeführt wird, so kann man im Wienerwaldboden auch sehen, wo früher Stickstoff entnommen wurde - und zwar mit dem Rechen. Nachdem Laub einst als Einstreu für das Stallvieh diente, entnahm man dafür die Streuschicht im Wald. Genau an diesen Stellen entwickelte sich nur ein schmaler Oberboden. "Wir können die Bewirtschaftung oft über Jahrhunderte nachvollziehen. Wir Bodenökologen nennen das die Archivfunktion des Bodens", sagt Bodenexperte Englisch.
Was die Zukunft der Waldböden betrifft, wird laut Englisch eines der wesentlichsten Probleme die Verdichtung des Bodens durch schwere Holzerntemaschinen sein. Das kann soweit führen, dass die Bodenporen verschwinden, was massive Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Durchlüftung, das Bodenleben und die im Boden wurzelnden Pflanzen hat.
Das Entfernen des Laubes schadet dem Waldboden höchstens 200 Jahre lang, eine 20 Tonnen schwere Holzerntemaschine merkt sich der Boden jedoch tausend Jahre lang, so Englischs Bilanz.