Klare Strukturen, vorgegebene Kurse
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Die Hochschulen befinden sich in einem Umbruch: Das Schlagwort lautet "Differenzierung". Universitäten und Fachhochschulen sollen strategischer mit Forschung und Lehre umgehen und ein unverwechselbares Profil entwickeln. Qualität und Diversität der Studienangebote sollen gesteigert werden, um den Bedürfnissen der Studierenden besser zu entsprechen. Am 18. und 19. Mai ging die Debatte im Rahmen der gemeinsamen Tagung des Österreichischen und Deutschen Wissenschaftsrates in Wien in die nächste Runde. Sabine Behrenbeck, Leiterin der Abteilung für tertiäre Bildung des Deutschen Wissenschaftsrates, und Jan-Martin Wiarda, Journalist und Moderator der Veranstaltung, berichten darüber.
Was haben Sie von der Debatte der beiden letzten Tage mitgenommen?
Sabine Behrenbeck: Aus deutscher Sicht habe ich die Diskussionen als sehr anregend empfunden. Beide Systeme können viel voneinander lernen und haben sich auch wirklich auf ein Gespräch miteinander eingelassen. Es sind bestimmt einige politische Botschaften ausgesendet worden, die wir nicht als solche dekodieren konnten. Es wurde aber wenig polarisiert, sondern es wurden sachlich unterschiedliche Aspekte eingebracht.
Jan-Martin Wiarda: Ich finde es sehr bemerkenswert, dass sich bei aller Unterschiedlichkeit der Hochschulsysteme die Fragen und Debatten über die Möglichkeiten, Grenzen und Vorbehalte gegenüber der Hochschuldifferenzierung doch sehr ähneln. Es gibt ein Narrativ, das für beide Systeme gilt: Beide arbeiten sich ab an Humboldt und der Arbeitsmarktfähigkeit sowie dem, was dazwischenliegt. Da hatte ich das Gefühl, dass wir einander verstanden haben und die Systeme nicht so unterschiedlich sein können, wenn die Debatten einander so gleichen.
Wie würden Sie die Stimmung unter Österreichs Hochschulen beschreiben?
Behrenbeck: Die österreichische Debatte befindet sich in einer anderen Phase als die deutsche. Das Differenzierungsparadigma wurde in Deutschland bereits 2010 vom Wissenschaftsrat verabschiedet und ist augenscheinlich unter den deutschen Hochschulen inzwischen weitgehend akzeptiert. Wir haben auf der Tagung viele Beispiele von Hochschulen gesehen, die darin eine Chance sehen, mit der sie sich fachlich oder strukturell profilieren. Für die österreichische Seite habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Unis noch etwas abwartend auf diese Möglichkeit reagieren. Vielleicht geht der Impuls hier stärker von staatlicher Seite aus, oder die Hochschulen sehen wegen der Unterfinanzierung in der Differenzierung weniger Chancen.
Wiarda: Man muss aber auch sagen, wir hätten hier genauso viele deutsche Unis hinsetzen können, die nicht differenzieren und das auch überflüssig finden. Das war natürlich eine Auswahl von Hochschulen - was spannend und gut war -, die sich positiv auf diese Differenzierung beziehen. Bei der Finanzierung der Unis habe ich den Eindruck, dass es in Österreich solche gibt, die gut finanziert und teilweise sogar besser ausgestattet sind. Generell scheint aber in den letzten Jahren vermehrt gespart worden zu sein, während sich die Situation in Deutschland, von einem niedrigeren Niveau herkommend, gebessert hat.
Was kann man in Österreich von der Entwicklung in Deutschland lernen?
Behrenbeck: Differenzierung ist ein zeitund ressourcenintensiver Prozess, besonders wenn es um die Umlenkung der Studierendenströme geht: 2005 waren zwanzig Prozent aller Studierenden an Fachhochschulen eingeschrieben. Demnächst werden es dreißig Prozent sein. Dafür hat man eine Expansionsphase des Hochschulsystems genutzt und insgesamt 38 Milliarden Euro aufgewendet. Das ist aber längst nicht alles, was den Differenzierungsprozess ausmacht. Er ist auch längst noch nicht abgeschlossen. Es gibt viele Experimente und es wäre noch zu früh, einen neuen Hochschultyp zu kodifizieren. Österreich hat ein deutlich kleineres Hochschulsystem, das trotzdem schon stark ausdifferenziert ist. Die Anzahl der bestehenden Typen ist für Österreich vielleicht bereits ausreichend. Die Herausforderung scheint eher darin zu bestehen, die Hochschultypen mit den Erwartungen der Studierenden in Einklang zu bringen. Die Differenzierung müsste also einen Skaleneffekt haben und mehr Personen betreffen, damit mehr junge Menschen die zu ihnen passende Hochschulform mit einem ihnen entsprechenden Profil finden.
Kommen die Studierenden als Akteure in diesem Prozess zu kurz? In der Debatte rund um die Hochschuldifferenzierung scheint ihnen ja eher ein passiver Part zuzukommen.
Wiarda: Eine Sache, die mir tatsächlich aufgefallen ist: Es waren keine Studierenden anwesend und es wurde auch nicht darüber nachgedacht, sie in diese Debatte einzubeziehen. In Deutschland ist es so, dass es kaum noch Veranstaltungen oder Tagungen gibt, an denen keine Studierendenvertreter teilnehmen. Für diese Abwesenheit kann es natürlich viele Gründe geben, ich will damit nichts implizieren. Es ist aber dennoch bemerkenswert, dass ein solcher Umstand in Deutschland sofort auffallen und kritisiert werden würde. Mittlerweile hat ja auch bei den Studierendenvertretern eine Professionalisierung stattgefunden, um sich auch an so komplexen Themengebieten beteiligen zu können. Es gäbe die Möglichkeit, dass sich die Studierenden stärker in diese Debatte einbringen. Die Frage ist, wie sehr das gewünscht ist.
Behrenbeck: Es ist immer schön, wenn Studierende an solchen Veranstaltungen teilnehmen und mitdiskutieren, auch wenn sie nicht unbedingt alle anderen Studierenden repräsentieren können. Einzelne Studierende haben oft nicht den Blick für die Situation in anderen Fächern, an anderen Hochschulen und für das System als Ganzes. Aber die Debatte fängt ja erst an: Natürlich kann man auch nochmal direkt an den jeweiligen Hochschulen ins Gespräch kommen, um herauszufinden, was die Studierenden bewegt. Davon unabhängig könnten sich die Verantwortlichen für das System genauer ansehen, wie sich alle Studierenden bzw. Studieninteressierte verhalten. Wie und nach welchen Kriterien suchen Studierende ihre Hochschule aus? Sie nutzen keine Werbebroschüren, sondern Blogs und soziale Medien, um zu erfahren, was andere von einer Hochschule und ihrer Lehre halten. Das könnten die Hochschulen auch machen, um etwas über die Bewertung ihrer Lehre zu erfahren, statt sich mit den studentischen Fragebogen-Evaluationen der Lehrveranstaltung zu begnügen. Eine andere Frage ist, wie die Bildungsbiografien verlaufen: Woher kommen die Studierenden einer Hochschule? Wieviel Zeit haben sie zum Studieren? Warum brechen sie das Studium ab? Nur wenn eine Hochschule diese Gründe kennt, kann sie einem Studienabbruch im Rahmen ihrer Möglichkeiten entgegenwirken.
In Österreich gibt es viele Studierende aus dem Ausland, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum. Spiegelt die Debatte diese Internationalisierung wider?
Wiarda: Aus deutscher Sicht erleben wir die Debatte eher so, dass es den Österreichern -vorsichtig formuliert - nicht nur gefällt, dass so viele Deutsche zum Studieren kommen. Der Zuzug deutscher Studierender wird also gar nicht so sehr als eine positiv konnotierte Internationalisierung wahrgenommen. Man kann sich aber überlegen, nachdem die Studierenden aus Deutschland ohnehin da sind, wie man das nutzen kann und was man davon gewinnen könnte.
Behrenbeck: Ausländische Studierende sind nicht per se ein Nachweis für die Güte österreichischer Universitäten. Manchmal kommen sie, weil sie im Heimatland am Numerus Clausus gescheitert sind oder die Studiengebühren nicht zahlen können. Andererseits kann man aus dem Umstand etwas machen und die Heterogenität der Studierenden konstruktiv nutzen: Man wäre gut beraten, sich genau anzusehen, was die Studierenden mitbringen und wie man das einsetzen kann, um interkulturelle Erfahrungen anzuregen. Was man in Österreich und Deutschland feststellen kann: Internationalisierung passiert an den Hochschulen. Man sollte sie noch aktiver steuern: Wenn man nicht sagt, wen man haben will, muss man nehmen, wer kommt.