Der Hallstätter See als Umweltarchiv
Seit der Bronzezeit haben Menschen bei Hallstatt Salz gewonnen. Heute wollen wir wissen, wie sie die Umwelt beeinflusst haben - und umgekehrt
vom 15.11.2017
Jährlich reist eine Million chinesischer Touristen nach Hallstatt. Vermutlich weniger wegen der berühmten prähistorischen Funde, die namensgebend für die Hallstatt-Kultur wurden, als um das Original des nachgebauten Dorfes in der chinesischen Provinz Guangdong zu bestaunen. 2012 wurde es eröffnet und soll seinem Vorbild an pittoreskem Liebreiz um nichts nachstehen.
Naturgemäß interessieren sich auch die Archäologen und Archäologinnen der prähistorischen Abteilung des Wiener Naturhistorischen Museums für das Alte. Sie erforschen zum Beispiel seit Jahrzehnten das Gräberfeld und das alte Bergwerk in Hallstatt. Dank des speziellen Klimas im Salzberg haben sich einzigartige Objekte aus organischem Material erhalten, darunter Holz, Fell, Gras, Exkremente und Speisereste. Vieles davon hat mittlerweile 3.500 Jahre überlebt -und ermöglicht den heutigen Forschern Einblicke in eine faszinierende Vergangenheit.
Nun soll diesen letzten mehr als drei Jahrtausenden noch weiter auf den Grund gegangen werden -und das im wörtlichen Sinn.
Für das interdisziplinäre Projekt "Facealps" ergänzten die Wiener Museumsforscher mit Unterstützung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das Team um Kollegen aus den Fächern Botanik, Dendrochronologie, Palynologie, Geophysik und Geologie. Das neue Ziel lautet, jahrtausend-alte Umweltereignisse wie Felsstürze, Murabgänge, starke Niederschläge, Erdbeben oder Klimaänderungen aufzuspüren.
Dabei interessiert die Fragestellung: Wie haben die Menschen damals auf solch elementare Phänomene reagiert? Welchen Einfluss hatten diese auf die Bewirtschaftung der schwierigen Gebirgsregion, in der man ständig mit Naturgefahren konfrontiert war? Mit welchen Strategien traten die frühen Hallstätter diesen Bedrohungen gegenüber, und wie wirkten sich diese Naturereignisse auf das Leben in diesem Raum aus?
Neben archäologischen Funden und Analysen der umgebenden Moore macht es Sinn, den See genauer unter die Lupe zu nehmen. Also wurde die Formung des Bodens mittels eines an einem Boot befestigten Fächerecholots genau vermessen.
Als nächster Schritt entsteht daraus ein digitales Geländemodell. Es soll neue Hinweise auf uralte Naturereignisse erbringen. Auf dem Seeboden gibt es zudem tiefe Schlammschichten, die ebenfalls erforscht werden. Hier finden sich uralte Blütenpollen und Insektenreste, die Informationen über klimatische Bedingungen und Vegetationsentwicklungen geben können.
Auch die Stärke und die Zusammensetzung der Sedimentschichten bergen lang gespeicherte Informationen. Sedimentsproben aus Mooren und dem See wurden bereits entnommen und werden derzeit analysiert. Außerdem soll auch noch die Pflanzenwelt vom Hallstätter See bis zum Plassen Gipfel genau abgebildet werden. Geoelektrische Untersuchungen im Hallstätter Hochtal ergänzen die Vermessungen.
Aus diesem neuen, aber auch aus älterem Datenmaterial soll schließlich das "Historische Geografische Informationssystem" (GIS) entstehen, mit dem die Flächennutzung während der letzten 3.500 Jahre nachvollzogen werden kann.
Als eine der ältesten Kultur- und Industrielandschaften der Welt eignet sich dafür die Region um Hallstatt ideal. Vor allem auch deshalb, weil die Informationslage zu den Aktivitäten der Menschen in prähistorischer und historischer Zeit gut ist.
"Der See und die Moore sind ein reichhaltiges Umweltarchiv", erklärt Projektleiterin und Archäologin Kerstin Kowarik den Aufwand. "Wenn wir den Menschen und seine Reaktionen verstehen wollen, brauchen wir viele Daten. Denn uns interessiert die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt der letzten 3.500 Jahre." Daraus lässt sich bestimmt auch einiges für heute lernen.