: ZEITGESCHICHTE

Rizin auf Zucker - und Schluss

Regenschirm-Attentat in den 1970er Jahren, abgefangene "Ricin-Letters" an Obama - Rizin ist eine Biowaffe

Uschi Sorz
vom 06.12.2017

"Das Interessante an unserer Arbeit mit Rizin ist, dass das Gift trotz jahrhundertelanger Forschung noch immer überraschend viele Geheimnisse birgt", sagt Jasmin Taubenschmid. Sie ist Doktorandin in der Gruppe des Genetikers und Wittgensteinpreisträgers Josef Penninger am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gemeinsam mit Johannes Stadlmann, der als Wittgenstein-Fellow in Penningers Labor forscht, konnte sie nun etwas mehr Licht ins Dunkel um das tödliche Pflanzengift bringen.

Zugangscode an der Zellwand aus Zucker

Der hübsch blühende Wunderbaum Ricinus communis ist weit verbreitet. In der Medizin und Industrie nutzt man das aus den Samen gewonnene Rizinusöl. Doch bei der Samenschale ist Vorsicht geboten: Sie enthält ein wasserlösliches Gift. Einmal in den Organismus gelangt, entfaltet es eine fatale Wirkung. Es zerstört die "Proteinfabriken" in den Zellen, die sogenannten Ribosomen. Bereits winzige Dosen können innerhalb von 36 bis 72 Stunden zum Tod führen. Gegengift gibt es bis heute keines.

Der Beitrag von Taubenschmid und Stadlmann könnte helfen, eines zu finden. "Der Schlüssel liegt im Zucker", so Taubenschmid. Zwar habe man schon von der Wechselwirkung des Giftes mit Zuckerbausteinen gewusst; doch in welcher Kombination Rizin diese benötigt, um so mörderisch zu wirken, sei bislang unbekannt gewesen. Die IMBA-Forscher entdeckten die beiden dafür verantwortlichen Gene. Sie regulieren einen besonderen zellulären Zuckerstoffwechsel und ermöglichen dem Gift den Zugang zum Transportsystem der Zelle. So gelangt es zu den Ribosomen, die es zersetzt.

"Ein Blockieren der Gene, etwa durch ein künstlich hergestelltes Molekül, bringt den Transport von Rizin in den Zellen durcheinander. Es kommt dann gar nicht erst an die Orte, wo es so großen Schaden anrichten kann", erklärt Taubenschmid. "Dafür braucht es eine charakteristische Zuckersignatur an der Zellwand, an die es binden kann." Ergebnisse publizierten die Forscher in Nature und Cell Research.

Die Forschung bringt auch neue Erkenntnisse über die Verbindung von Proteinen und Zucker. Diese spielt bei vielen biologischen Prozessen eine Rolle. "Bisher hat man Proteine und Zucker separat untersucht", sagt Stadlmann. "Tatsächlich ist aber vor allem deren Wechselbeziehung spannend. Das Forschungsfeld der Glykoproteomik liefert uns eine zusätzliche Ebene der Information." Zur Beantwortung der Fragen rund um das Rizin hat er eine Glykoproteomik-Methode entwickelt, die auch andere neuartige Untersuchungsmöglichkeiten eröffnet. Auf der Plattform "SugarQb" teilt sie die IMBA-Gruppe mit anderen Wissenschaftern.

Neue Methode bringt Durchbruch in der Rizinforschung

"Unsere Plattform erlaubt die umfassende Identifizierung komplexer Zuckerstrukturen und deren Lokalisierung an den entsprechenden Proteinen", erklärt Stadlmann. "Es wäre großartig, wenn sich viele Forscher an der Kartierung dieses wissenschaftlichen Neulands beteiligen. Zu entdecken gibt es vieles." So halfen Zellproben eines deutschen Patienten mit einer seltenen Zuckerstoffwechselstörung, die ihn gegen Rizin immun macht, den Wiener Forschern bei der Aufklärung des Rizin-Wirkmechanismus. Umgekehrt könnte man mit deren Methode der Frage nachgehen, welche Zuckerbestandteile bei bestimmten Krankheiten maßgeblich sind.

"Diese überraschenden Wendungen finde ich das Faszinierende an der Grundlagenforschung", sagt Taubenschmid. "Eben dass Untersuchungen eines Pflanzengifts auch zu neuen Erkenntnissen über Krankheitsursachen führen können."

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