In die Schule gehen, Fußball spielen ...
Perspektiven, die eine innovative Gentherapie Menschen mit Schmetterlingskrankheit eröffnet
vom 28.03.2018
Bei einem Schmetterlingskind konnten achtzig Prozent der Haut durch eine innovative Behandlung wieder hergestellt werden. Der heute Neunjährige ist dank einer von Wissenschaftern aus Deutschland, Italien und Österreich entwickelten neuen Gentherapie weitgehend geheilt.
Bei Epidermolysis bullosa, so der Fachausdruck für die Schmetterlingskrankheit, handelt es sich um eine seltene genetische Störung der Hautverankerung und Hautstabilität. Die Haut der Betroffenen ist so fragil wie ein Schmetterlingsflügel. Schon harmlose Berührungen können zu äußerst schmerzhafter Blasenbildung und zur Ablösung der Haut mit eitrigen Wunden führen. Bei schweren Verlaufsformen ist die Lebenserwartung gering, bei mittleren auf einige Jahrzehnte reduziert.
Die neue Gentherapie wurde von Johann Bauer mitentwickelt. Er ist medizinischer Geschäftsführer im EB-Haus Austria, dem Expertisezentrum Österreichs für Epidermolysis bullosa, und Primar an der Salzburger Universitätsklinik für Dermatologie. Im Gespräch erklärt er, wie dem Jungen geholfen werden konnte und warum exzellente Forschung auch an einer kleinen Universität wie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität möglich ist.
Herr Bauer, 2015 erreichte Sie ein Hilferuf aus der Bochumer Kinderklinik, anlässlich des kritischen Zustandes eines Buben ...
Johann Bauer: Wir dachten, der Bub muss sterben, mit oder ohne unser Zutun. Er lag auf der Intensivstation. Sechzig Prozent seiner Hautoberfläche waren bereits verloren. Wir konnten nur sagen: Okay, wir versuchen es. Es musste schnell gehen. Hätten die Behördenwege länger gedauert, wäre es zu spät gewesen. So gab es in zwei Monaten die Zulassung für die Therapie. Dann fuhren wir nach Bochum und entnahmen Hautzellen des Kindes. Wir hofften, der Bub würde so lange weiterleben, bis die korrigierten Zellen so weit sind, dass wir sie transplantieren können. Glücklicherweise war es so. Auch technisch hat es geklappt. Unser Patient hat die Operationen gut überstanden. Heute geht der Bub in die Schule, spielt Fußball und lebt ganz normal.
Welche Rolle spielte das Salzburger Expertisezentrum für Epidermolysis bullosa in dieser Erfolgsgeschichte?
Bauer: Wir waren in zweierlei Hinsicht beteiligt: Einerseits haben wir unsere Expertise zur Verfügung gestellt. Wir hatten die Technologie ein Jahr zuvor an einem kleinen Hautstück einer österreichischen Patientin ausprobiert. Die deutschen Kollegen übernahmen die Unterlagen, die wir damals für die Behörden erstellt hatten. Entsprechend zügig ging dann die Genehmigung in Deutschland, was letztendlich lebensrettend für den Buben war. Bei den ersten beiden Operationen in Bochum sind wir auch gemeinsam am Operationstisch gestanden. Bei der dritten Operation war ich dann nicht mehr dabei. Dass die Integration des retroviralen Virus in die Erbsubstanz der Stammzellen verfolgt werden kann, diese Versuchsanordnung haben wir im EB-Haus entwickelt. Auch damit haben wir einen zentralen Beitrag in diesem Fall geliefert.
Wie kann man sich so eine Gentherapie vorstellen? Wie entsteht das Zelltransplantat?
Bauer: Im Prinzip sind die retroviralen Technologien bereits seit dreißig Jahren bekannt. Es hat aber aufgrund erschwerender Rahmenbedingungen lange gedauert, bis sie auch an der menschlichen Haut zur Anwendung kommen konnten. Die grundsätzliche Methode besteht in drei Arbeitsschritten: Nach der Entnahme kleiner Hautbiopsien beim Patienten werden im Labor die Stammzellen isoliert und zum Wachsen gebracht. Das defekte Gen wird durch Transfektion korrigiert. In der Zellbiologie bedeutet Transfektion das Einbringen einer fremden DNA in die Zellen, in unserem Fall wird ein fehlendes Gen durch ein retrovirales Virus in die Zelle integriert. So kann gesunde Haut weiter gezüchtet werden, die dann die Transplantation am Patienten ermöglicht.
Ist die Therapie auch bei anderen Patienten bzw. bei anderen Hautkrankheiten wirksam?
Bauer: Die EB, also die Schmetterlingskrankheit, ist der Prototyp dafür. Wir erforschen gerade, ob die Therapie auch bei anderen Patienten wirksam ist. Theoretisch sind mit der Technologie auch andere genetische Erkrankungen behandelbar, mit einem jeweils anderen Gen des retroviralen Virus. Fehlt also ein bestimmtes Gen, kann man es mittels der Technologie ersetzen. Es gibt viele Ansätze in der Grundlagenforschung, aber die Haut ist ein äußerst komplexes Organ. Wir haben immunologische, genetische, infektiöse Erscheinungen sowie Hautkrebs, die in der Dermatologie abgebildet sind. Betrachtet man nicht nur die Oberhaut, die wir jetzt erforschen, sondern auch die Lederhaut, die Unterhaut, komplett mit Nerven, Gefäßen, Schweißdrüsen, so muss man sagen, dass wir nicht soweit sind, das ersetzen zu können.
Wann schätzen Sie, wird dies auch bei anderen genetischen Krankheiten möglich sein?
Bauer: Wir sind jetzt in einer Phase, die noch fünf Jahre dauern wird, danach kann man an andere genetische Krankheiten denken. Ein Fernziel von mir ist, Diabetes Mellitus zu heilen. Das ist ungemein spannend, denn mit derselben Technologie, mit der das Schmetterlings-Gen in die Haut eingesetzt wird, kann man auch andere fehlende Gene wie das Insulin-Gen einsetzen. Die Stammzellen in der Haut produzieren Insulin auf Kommando des Patienten, denn dann gibt es auch Möglichkeiten, diesen Vorgang zu aktivieren. Man benötigt dann keine Spritzen mehr. Es wäre bahnbrechend, wenn dies auch beim Menschen gelingt, wie schon so oft beim Tiermodell.
Im Moment reduziert sich die Methode auf ausgewählte EB-Patienten. Wann kommt ein Patient für die neue Behandlung in Frage und wann nicht?
Bauer: Wir arbeiten gerade an einer Studie mit zwölf Patienten, wovon drei bereits behandelt wurden. Zu den Ein-und Ausschlusskriterien: Wichtig ist, dass keine Immunreaktion auf das neu zugeführte Protein auftritt. Dazu müssen wir überprüfen, ob der Patient eine kleine Menge dieses Proteins besitzt. Das ist die wichtigste Voraussetzung, damit ein Patient behandelbar ist. Wenn andererseits jemand einen metastasierenden Hautkrebs hat, kommt er für diese Therapie nicht infrage, weil dann die Lebenserwartung nicht hoch genug ist. Auch Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Verhütung müssen ausgeschlossen werden.
Einer der Gründe, warum man mit der Gentherapie noch zurückhaltend ist, ist die Gefahr der Entartung der betroffenen Zellen. In welchem Zeitraum ist im Fall des Falles damit zu rechnen?
Bauer: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Es sind ja nur gezählte Patienten, bei denen diese Therapie bereits angewendet wurde. Außerdem ist der Nachbeobachtungszeitraum mit zwei bis drei Jahren noch zu kurz.
Wie groß ist das Krebsrisiko durch die Gentherapie im Vergleich zum Krebsrisiko, das durch die Erkrankung selbst gegeben ist?
Bauer: Das ist eine gute Frage. Das Krebsrisiko bei einem Patienten mit dystropher EB liegt ja bei hundert Prozent. Das heißt, bis zum 40. oder 45. Lebensjahr erkranken alle Betroffenen an Hautkrebs. Man wird die Folgen der Behandlung erst in der Langzeitbeobachtung sehen, wenn die Kinder, die wir jetzt behandeln, in dieses Alter kommen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Bauer: Die Grundlagenforschung wäre ohne die Unterstützung der DEBRA Austria nicht möglich. Ich würde mir wünschen, dass diese Selbsthilfegruppe erhalten bleibt bzw. noch stärker wird, weil wir in unserer Arbeit ja dringend auf Spenden angewiesen sind.
Was bedeuten solche Erfolge für Ihre Universität?
Bauer: Wir sind beispielgebend, was in Verbindung von Grundlagenforschung und klinischer Anwendung machbar ist und beweisen, dass es auch an Privatuniversitäten möglich ist, exzellente Forschung zu betreiben.