Robodoc statt Bergdoktor?

Künstliche Intelligenz wird die Medizin revolutionieren. Was ist dann mit den Ärzten?

Text: Sophie Hanak
vom 25.04.2018

Künstliche Intelligenz macht die Arbeit eines Arztes um ein Vielfaches effizienter. Befunde können schneller ausgewertet und mit einer riesigen Menge vergleichbarer Daten abgeglichen werden. Bislang werten Ärzte im Schnitt rund fünf bis zehn Prozent der verfügbaren Daten aus. Durch die Unterstützung mittels Künstlicher Intelligenz wird viel mehr möglich sein.

Neue Technologien im Einsatz für bessere Ergebnisse

Beispielsweise bietet IBM das Computerprogramm "Watson" an. Es wertet bestehende Krankenakten aus und hilft bei der Auswahl von Behandlungsmethoden. Watson kann große Datenmengen analysieren, tausende von Studien vergleichen und anschließend eine Liste von Behandlungsmöglichkeiten bereitstellen. Sein Ziel ist, die Arbeit der Ärzte zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Schon vor etwa fünfzehn Jahren kam der Da-Vinci-Operationsroboter auf den Markt. Dieser hilft Chirurgen, präziser zu operieren und, vor allem, das natürliche Zittern der Hände während der Operation zu vermeiden. Nun werden diese Roboter weiterentwickelt und mit Künstlicher Intelligenz kombiniert.

Der Nutzen von neuen Technologien kann in der Medizin also sehr groß sein. Doch wann wird der Roboterarzt Realität? In einer Studie der Universität Oxford wurden über dreihundert Experten befragt, die im Bereich der Künstlichen Intelligenz forschen. Die meisten meinten, dass in rund fünfzig Jahren die Computer viele Tätigkeiten besser erledigen werden können als Menschen. Werden sich menschliche Ärzte dann ausschließlich auf das Golfspielen konzentrieren?

Analysieren Computer Röntgenbilder besser als Ärzte?

Die bislang größten Erfolge der Künstlichen Intelligenz in der Medizin gab es im Bereich der Bild-und Signalverarbeitung: Computertomografie, Magnetresonanz oder auch Mikroskopie. Diese neuen Technologien dienen als Unterstützung, um Erkrankungen besser zu erkennen.

"Ich denke, dass dies ein sehr spannendes Thema ist", meint der Radiologe Peter Sochor. "In vielen Bereichen wird die Technologie der Computer-Assisted-Detection-Systeme (CAD) natürlich überschätzt, doch sie wird uns in unserer Arbeit sicherlich sehr unterstützen." CAD ist eine Technologie, die Elemente aus der Künstlichen Intelligenz und der digitalen Bildprozessierung mit radiologischer Bildverarbeitung kombiniert. "Die Bewertung einer Auffälligkeit ist jedoch nach wie vor dem Radiologen überlassen. Doch kann der Computer den Arzt auf etwas aufmerksam machen. Wir können uns dann auf die Bereiche, die der Computer uns anzeigt, konzentrieren. Das ist eine große Unterstützung." Dann macht der Arzt aber eine bemerkenswerte Einschränkung und behauptet: "Länger praktizierende Ärzte schneiden aber immer noch besser ab als CAD-Systeme. Für Anfänger hingegen sind sie sehr hilfreich. Denn der Computer hilft dabei, die relevanten Informationen zu erkennen."

Künstliche Intelligenz in Diagnostik und Schlafmedizin

Die aktuelle Grundlage der künstlichen Intelligenz ist das "Deep-Learning"-Verfahren (siehe Seite 14). Es hat in den letzten Jahren große Popularität erlangt und immer mehr Erfolge erzielt. An Deep-Learning-Programmen konnte gezeigt werden, dass der Computer Leistungen erbringt, die jenen von Experten gleichkommen oder sie sogar übertreffen.

"Es gab in den letzten Jahren eine Reihe von Durchbrüchen", berichtet Georg Dorffner, Informatiker an der Medizinischen Universität Wien. "Etwa in der Radiologie. Oder in der Diagnostik mittels Bilderkennung oder auch in der Dermatologie bei der Erkennung von bösartigen Melanomen. Hier gab es einige bahnbrechende Studien, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz, also mit Techniken des maschinellen Lernens und insbesondere der Methoden des Deep Learning, durchgeführt wurden." Dorffner hat an der Technischen Universität Wien Elektrotechnik und Informatik studiert und arbeitet nun am Institut für Artificial Intelligence.

"Die Grundidee des Deep Learning geht auf sehr alte Methoden zurück: auf die sogenannten künstlichen neuronalen Netze. Das sind relativ einfache mathematische Modelle, die Zusammenhänge zwischen Input und Output herstellen können. Ursprünglich wurden sie von der Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn inspiriert. Dafür muss dem Computer im Training eine große Anzahl an Daten präsentiert werden, damit er lernt, worauf es ankommt", erklärt der Informatiker.

Er wendet diese Methoden mit seinem Team in der Schlafmedizin an. Im Schlaflabor wird vom Patienten ein Elektroenzephalogramm (EEG) aufgenommen. "Für eine Diagnose werden die EEG in Schlafstadien eingeteilt. Die Auswertung der Schlafstadien wird weltweit immer noch händisch gemacht. Wir haben das schon vor einigen Jahren automatisiert und dafür eine Software entwickelt. Und konnten zeigen, dass die Auswertung so gut wie die eines Experten ist. Diese Methode bedeutet eine große Entlastung für die Mediziner, da ihnen vom Computer die zeitintensive Auswertung abgenommen wird."

Was bringt der menschliche Arzt im Idealfall?

Empathie Trotz der rasanten Entwicklung bleibt der Informatiker Peter Dorffner im Hinblick auf Künstliche Intelligenz in der Medizin eher vorsichtig: "Bei all den großen Fortschritten sind die Anwendungen doch recht begrenzt. Wenn es darum geht, auf einem hochauflösenden Bild möglichst zweifelsfrei klinisch relevante Dinge zu erkennen, wird der Computer diese Tätigkeit mehr und mehr übernehmen, da bin ich mir sicher. Doch ein Arzt ist ja viel mehr als das -er schaut dem Menschen ins Gesicht, zeigt Empathie und muss ethisch schwierige Entscheidungen treffen. Dies ist in der Automatisierung noch lange nicht möglich."

Am Anfang gab es auch im Schlaflabor viele kritische Stimmen hinsichtlich der neuen Methoden. Viele der Mitarbeiter wie etwa die Techniker, die dafür zuständig sind, die Aufnahmen auszuwerten, fürchteten um ihre Arbeit. "Doch dies sind ja nur Routinearbeiten. Wenn den Menschen diese Tätigkeit abgenommen werden kann, dann bleibt mehr Zeit für anderes und vor allem mehr Zeit, um auf die Patienten einzugehen", meint Dorffner.

Wer will zum Onkel Roboterdoktor gehen?

Wann ein Roboter den Arzt ersetzen wird, ist nach Stand der heutigen Technologie noch nicht abzusehen. Auch möchten wohl die meisten von uns, die wegen Beschwerden einen Arzt aufsuchen, von einem Menschen und nicht von einer Maschine behandelt werden. Wir wollen mit dem Menschen interagieren und kommunizieren, und der Arzt unseres Vertrauens soll Emotionen zeigen und Verständnis für uns aufbringen, wenn wir über unsere Beschwerden, Befürchtungen und Probleme reden.

Ob auch ein Roboter Emotionen wird zeigen können? Jedenfalls arbeiten Entwickler daran, doch ist es wirklich sehr schwierig. Extreme Emotionen wie Überraschung, Freude oder Traurigkeit können die Roboter zumindest schon deuten.

Sicher ist, dass Ärzte schon jetzt ihre Rolle neu definieren und sich mit den neuen Technologien auseinandersetzen müssen. Allerdings sollte sich niemand davon abhalten lassen, Radiologe oder Pathologe zu werden, weil er schon jetzt Angst hat, von Robotern ersetzt zu werden. Niemand von uns hätte vor Jahren gedacht, wie sehr die neuen Technologien unser tägliches Leben verändern würden. Mittlerweile haben wir uns aber an sie gewöhnt und teilweise haben sie auch unser Leben erleichtert. Insgesamt gesehen kommen wir damit ganz gut zurecht und wollen diese Technologien heute nicht mehr missen. Dasselbe wird auch für die Künstliche Intelligenz gelten, wenn sie einmal richtig intelligent wird. Womöglich macht sie aus der ärztlichen Kunst ein Datenverarbeitungssystem -aber Kunst? Auch die ärztliche Kunst lebt ja ebenso sehr von Intuition wie von Datenanalysen. Auf diese Intuition muss die Maschine wohl auch in Zukunft verzichten.

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