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Vor 500 Jahren erschien "Utopia" von Thomas Morus. Es ist die Geschichte eines idealen Inselstaates. Das utopische Programm lautet seit damals: Wir können unser Zusammenleben selbst gestalten, und zwar ohne Bezug auf heilige Schriften, ohne Würdigung der Privilegien des Adels, ja wir können sogar anscheinend unverrückbare menschliche Grundkonstanten wie Gier nach Eigentum, Reichtum und Macht verändern. Eine ganz andere Welt ist möglich, und unsere Vernunft erlaubt es uns, sie zu schaffen. Utopien zu entwerfen ist ein Anspruch an die Vernunft.
"Utopia" war ein Startschuss. Ab da gab es kein Halten mehr. Die Zahl der utopischen Entwürfe für ideale Staaten, die seitdem entstanden sind, geht in die Hunderte.
Muße und Überfluss als erklärtes Staatsziel
Thomas Morus löst in "Utopia" die Frage nach der Verteilung der knappen Ressourcen mit zeitlich begrenzter, erzwungener Arbeit für alle. Auch für jene, "die bei anderen Völkern untätig dahinleben, wie die Priester und frommen Ordensbrüder und alle die reichen Leute." Es ist ein Staat mit ausbalancierter Produktivität: Alle produzieren für alle das, was für das Leben an Nahrung, Kleidung und Wohnraum benötigt wird. Und alle erhalten es kostenlos. Es gibt keine Unter-, aber auch keine Überproduktion; Privateigentum und Luxus sind verboten, anstelle von Völlerei gibt es verordnete Mußezeit - Muße ist das erklärte Staatsziel. Damit werden die materiellen Ressourcen geschont, jegliche Verschwendung wird verhindert: Der Staat des Thomas Morus ist ressourceneffizient, noch bevor dieser Begriff erfunden wurde.
Etwa hundert Jahre nach Morus geht der Philosoph und Staatsmann Francis Bacon einen ganz anderen Weg, als er nach einer Lösung für das Problem des Ressourcenmangels sucht. Zwar ist sein Staat "Nova Atlantis" wie der Vorläufer "Utopia" auf einer Insel realisiert (häufig bei Utopien), von der eine europäische Expedition berichtet. Allerdings schöpft dort eine Art Akademie der Wissenschaften die Möglichkeiten von Naturwissenschaften und Technik so weit aus, dass für alle Bewohner alles reichlich produziert werden kann. Bacons Botschaft lautet verkürzt: Wir brauchen uns nicht einzuschränken, wir müssen nur den Überfluss der Natur technisch nutzen.
Mit Morus und Bacon sind den nachfolgenden abendländischen Utopisten zwei Modelle für die Lösung des Ressourcenproblems vorgegeben, die das Denken und Handeln bis in die Gegenwart beeinflussen.
Lewis Strauss, Chairman der US Atomic Energy Commission, verkündete 1954, elektrische Energie auf Basis von Atomkraft werde bald "too cheap to meter", also zu billig sein, um überhaupt noch gemessen und verrechnet zu werden. Er steht damit ebenso in der Tradition Francis Bacons wie der utopische Sozialist Johann Adolph Etzler im 19. Jahrhundert. Dieser konstruiert in Gedanken eine Welt des Überflusses, die er, ohne den Energiebegriff zu kennen, auf das gründet, was wir heute "erneuerbare Energieträger" nennen. In seinem "Paradies, für jedermann erreichbar, " übernehmen Maschinen, angetrieben von Sonne, Wind und Wasser, alle mühsamen Arbeiten.
Die Staatsreligion als Grundlage der ersten Utopie
Bereits die erste abendländische Utopie, Platons "Politeia" ("Der Staat", ca. 370 v. Chr.), schlägt vor, um das utopische Experiment auf Vernunft gründen zu können, eine den Staat unterstützende und stabilisierende Religion zu entwerfen. Platon gründet seine Religion auf eine gewollte Lüge: Sie wird zu einem auf gesellschaftliche Ziele verpflichteten pragmatischen Instrument ohne Wahrheitsanspruch. Platon schlägt damit eine keineswegs selbstverständliche zivilisatorische Leistung vor, die Religionen hervorbringt, die den säkularen Staat unterstützen -also Religionen des Friedens.
Die meisten Utopisten stellten sich ihren angeblichen Ort von Gerechtigkeit und Wohlstand als vom Rest der Welt getrennt vor: Der Ort der erfüllten Utopie ist die Insel. Nur auf einer Insel konnte das utopische Realexperiment begonnen und über längere Zeit betrieben werden. So wurde es von Beginn an für eine Insel geplant.
Es scheint, dass auch wir für unsere Realutopie eine äußere Grenze benötigen. Die Attraktivität jener Gegend (auch Industrienationen oder Erste Welt genannt), in der wir uns zahlreiche Ideale früherer Utopien verwirklicht haben, entwickelt nach außen eine Anziehungskraft, die uns offenbar allmählich unheimlich wird.
Der reichere Teil der Bevölkerung in den industrialisierten Ländern lebt heute in realisierten Utopien: räumlich vom Rest der Welt aus, zeitlich von einem Großteil der abendländischen Geschichte aus gesehen. Was in den klassischen Utopien als technischer Fortschritt beschrieben wird, ist heute erreicht oder überboten worden. Die materielle Basis dafür sind die Energieträger, im Wesentlichen Kohle, Erdöl und Erdgas.
Das weltweit realisierte System zur Nutzung fossiler Energien macht deutlich, welch ungeheure Kraft in dem Streben liegt, die menschlichen Lebensbedingungen zu verbessern. Für den Genuss der Früchte der Utopie sind wir bereit, außer Acht zu lassen, was wir wissen: Dass die Erfüllung der Utopie das Leben zukünftiger Generationen bedroht. Dieses Wissen scheint uns aber kaum in einer Form zu erreichen, aus der wir konkrete Taten ableiten könnten.
Brauchen wir Utopien? Jedenfalls müssen wir den utopischen Diskurs in seiner ganzen Vielfalt und Buntheit wieder aufnehmen: Einmal, weil sich sehr viel an ursprünglich utopischen Ideen und Denkweisen beinahe unbemerkt in der Alltagswelt der westlichen Industriestaaten einquartiert hat. Mit allen realisierten Versprechen sind aber auch einige der dystopischen Schreckensbilder, die Utopisten spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls gezeichnet haben, unserem Alltag bedenklich nahe gerückt. Zum anderen steht die Menschheit heute vor nie gekannten Herausforderungen und Aufgaben, deren Lösung alle ihre Kräfte in Anspruch nehmen wird. Dabei wird es notwendig sein, größere gesellschaftspolitische Entwürfe und Veränderungen zu erwägen, zu planen und letztlich auch zuzulassen. Utopien sind das.
Sie zeichnen ein Bild von gelingender Zukunft und motivieren uns, den Weg dorthin zu suchen und zu gehen. Diese Doppelgesichtigkeit von Gefahr und Notwendigkeit wird zukünftiges utopisches Konstruieren begleiten. Wer es beachtet, sollte sich aber nicht scheuen, dieses gefährliche und faszinierende Land der gesellschaftlichen Gedanken-und Realexperimente zu betreten, um es mit Leidenschaft und Augenmaß urbar zu machen.
Was sind Utopien?
Utopien beanspruchen, das gesellschaftliche Leben rational gestalten zu können. Gesellschaftliches Elend ist nicht durch unabwendbares Schicksal, göttliche Vorsehung oder menschliche Unzulänglichkeit vorherbestimmt, es wird vom Wirtschaftsverhalten des Menschen selbst hervorgebracht und kann entsprechend geändert werden. Utopien sind radikale soziale Gedankenexperimente. Sie setzen an konkreten Problemen der gesellschaftlichen Wirklichkeit an und konstruieren dazu diametral entgegengesetzte (Utopie) oder radikal negativ übersteigerte (Dystopie) Bilder einer neuen Gesellschaft. Sie zeichnen sich durch ihre große Distanz zum Status quo aus und wirken deshalb oft realitätsfern. "Utopie" ist dennoch kein Synonym für "geht nicht". Oft verdrängen sie die Religion aus der Position der Herrschaft, verfolgen mitunter aber selbst den Anspruch eines alle Lebensbereiche umfassenden politischen Programms. Meistens kümmern sie sich nicht um die Details des Transfers in die reale Welt, sondern erzählen die Geschichte ihres Gelingens. Diese ist oft in eine belletristische Handlung eingebettet, die häufig auf Inseln spielt.