Wie teilt man die Atmosphäre auf?

Die Ethikerin Angela Kallhoff über die Bedeutung von Pflanzenethik und Klimaethik

Interview: Sophie Hanak
vom 27.03.2019

Angela Kallhoff, Professorin für Ethik an der Universität Wien, ist im Bereich der Naturethik, der allgemeinen Ethik und der politischen Ethik tätig. Mit ihrem Buch "Prinzipien der Pflanzenethik" war Kallhoff eine der ersten, die sich mit dem Thema der Pflanzenethik beschäftigte. Seit 2011 forscht sie in Wien und ist gerade dabei, ihr Buch über Klimaethik abzuschließen.

Frau Kallhoff, wie kamen Sie dazu, sich mit dem Thema Pflanzenethik zu befassen?

Angela Kallhoff: Die Pflanzenethik wurde immer sehr stiefmütterlich behandelt. Ich habe gemeinsam mit Biologen versucht, das Leben der Pflanzen und das Konzept des Gedeihens zu erklären. Hier in Wien befasse ich mich mit Naturethik und leite seit 2014 ein vom FWF unterstütztes Projekt "New Directions in Plant Ethics". In dem Projekt haben wir auch die Pflanzenethik mit neueren Forschungsbereichen wie etwa Robotics oder Genetik verknüpft.

Warum wurde die Pflanzenethik bisher so wenig behandelt?

Kallhoff: Mir ist es unverständlich, warum Pflanzen nur in der angewandten Ethik berücksichtigt wurden. Natürlich sind sie in ihrem Verhalten ganz anders als Tier und Mensch, auch ist es sehr schwierig, den Schaden an Pflanzen zu bestimmen. Sie zeigen keine Regungen wie Tiere und können sich nicht wehren. Heute weiß man viel über das Leben von Pflanzen. So wurde herausgefunden, dass Pflanzen untereinander kommunizieren, indem sie chemische Signale austauschen. Doch muss man dabei vorsichtig sein, nicht in Anthropomorphismus zu verfallen.

Welche Art Pflanzen und Themen werden heute vorrangig erforscht?

Kallhoff: Dank der Ernährungswissenschaften weiß man vor allem sehr viel über die höheren Pflanzen, da diese für den Menschen ein Grundnahrungsmittel darstellen. Die Forschungen an Pflanzen sind vielfältig. Forschende untersuchen etwa die Vernetzung von Pflanzen mit ihren Wurzelwerken, die an die Vernetzungen im Internet erinnern; sie untersuchen, wie sich Pflanzen verankern und wie man dies in der Robotik simulieren kann. Die Genetik ist ein wichtiges Gebiet, ebenso das Verhältnis von Mensch und Pflanze. Eine besonders interessante Studie hat gezeigt, dass Pflanzen anders aufgebaut sind als Tiere und somit das Denken der Menschen verändern, wenn man sich mit ihnen befasst.

Welche sind die Konsequenzen der Studien für uns Menschen?

Kallhoff: In der Ethik ist es manchmal möglich, den Weg von sehr abstrakten Auseinandersetzungen zu konkreten Anwendungen zu finden. Es gibt beispielsweise in Amerika einen Ethiker, der Agrarkonzerne berät. Es ist überaus wichtig, dass unser Wissen auf Konferenzen und Symposien veröffentlicht und verbreitet wird und dass wir Ethiker mit Praktikern zusammentreffen und uns austauschen.

Warum sind Pflanzen moralisch wertvoll?

Kallhoff: Grundsätzlich gibt es den Streit darüber, ob Pflanzen um ihrer selbst willen Respekt und Schutz verdienen. Das ist sehr schwierig zu vermitteln, da sie so anders sind als Menschen und Tiere. Jedoch bin ich der Ansicht, dass Andersartigkeit kein Ausschlussgrund in der Ethik sein sollte. Man sollte Pflanzen nicht mit Tieren und Menschen vergleichen, sondern schauen, welche Werte dem pflanzlichen Leben zugeschrieben werden können und welche Gründe es gibt, Pflanzen zu schützen, etwa aufgrund ihrer Evolution, ihrer Diversität, ihrem Schutz der Atmosphäre, oder für unsere Ernährung. Pflanzen haben für uns Menschen ein sehr breites und nützliches Anwendungsgebiet, viel mehr als Tiere.

In welchen Bereichen kann Pflanzenethik angewendet werden?

Kallhoff: Pflanzen werden in verschiedene Kategorien eingeteilt. Einerseits gibt es die wilde Natur, das sind jene Bereiche, wo Evolution und wenig Störung stattfinden. Dafür sollte es Schutzpflichten geben. Andererseits die kultivierte Natur: Hier kann die Pflanzenethik zu guten Praktiken der Mensch-Natur-Beziehung beitragen. Und dann die Nutzpflanzen: Hier gilt es, eine Bewertung neuer Praktiken wie etwa Gentechnik, Smart Farming oder Robotics zu finden -ein besonders spannendes Anwendungsgebiet für die Pflanzenethik. Übrigens kommt es dabei sehr oft zu Win-win-Szenarien. Ein Beispiel ist der Schutz des Waldes. Wenn wir ursprüngliche Wälder schützen, ist es gut für die Bäume, senkt den C02 Gehalt und unterstützt die Biodiversität.

Derzeit schreiben Sie ein Buch über Klimaethik. Worum geht es da?

Kallhoff: Naturgüter wie Wasser unterscheiden sich dadurch von anderen Kollektivgütern, dass sie keine fixen Eintrittsbarrieren haben und sehr umkämpft sind. Ohne eingrenzende Institutionen kann jeder auf die Naturgüter zugreifen. So entsteht die "tragedy of the commons". Bei Ressourcen wie Wasservorräte und Atmosphäre kommt es zum Drama der Übernutzung. In meinem aktuellen Buch entwickele ich eine Theorie kollektiven Handelns: Wenn es ein gemeinsames Ziel von mehreren Akteuren im Umgang mit den Gütern gibt, kann die Tragödien der Allgemeingüter umgangen werden. Vor allem geht es um unsere Atmosphäre, die als Mülldeponie missbraucht wird.

Was versteht man unter dem Begriff Klimagerechtigkeit?

Kallhoff: Die Debatte darüber hat vor rund zwanzig Jahren begonnen. Zunächst wurde diskutiert, wie die Atmosphäre zwischen den Staaten aufgeteilt werden kann. Es wurde argumentiert, dass jene Länder, die noch nicht viel von dieser "Müllhalde" genutzt haben, ein Vorzugsrecht haben sollten. Das würde bedeuten, dass etwa China ein Recht darauf hat, jene Entwicklung wie die westlichen Länder durchzumachen. Das wäre eine Katastrophe. Nun sagt das Pariser Klimaabkommen, dass jeder das Bestmögliche beitragen soll, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Das gemeinsame Ziel wäre eine Deckelung und ein Absenken der Emissionen. Jeder von uns muss versuchen, seine Emissionen möglichst auf Null zu bringen. Für Klimaethiker besteht die Herausforderung darin, das gemeinsame Ziel zu argumentieren. Zusätzlich müssen Prinzipien gefunden werden, wie das Ziel auf faire Weise erreicht werden kann.

Werden dazu Regelungen nötig sein?

Kallhoff: Ob freiwillig oder Klimapflichten im strengen Sinn, wird derzeit diskutiert. Es gibt aber heute so extreme Wetterlagen, dass bald eine rechtliche Regelung kommen muss. Eine der größten Gefahren in unseren Breiten sind derzeit die Heißperioden und Starkregenereignisse. Es kommt zu Dürre und zum Anstieg der Meeresspiegel. Vor allem treten vermehrt Starkwettersysteme auf, da die Hoch-und Tiefdruckgebiete länger festhängen und Wettersysteme nicht mehr schnell genug abziehen können. Eine strikte Abnahme der Einträge in die Atmosphäre ist also unerlässlich.

Welche Möglichkeiten gibt es, um dies zu erreichen?

Kallhoff: Es ist wichtig, Anreize zu setzen. Das Erreichen eines Zieles muss im Interesse aller sein, und alle müssen an einem Strang ziehen. Es hat sich gezeigt, dass Menschen unter bestimmten Umständen dazu bereit sind. Diesen Zusammenhang untersuche ich in meinem Buch mit neuen philosophischen Ansätzen zum gemeinsamen Handeln. Ein Beispiel ist Urban gardening. Wenn alle Beteiligten mithelfen, kann jeder von ihnen Gemüse ernten. Wenn nur ein kleiner Teil mitmacht, bleibt nicht für alle etwas übrig.

Warum ist es so schwierig, das Klimaproblem in den Griff zu bekommen?

Kallhoff: Weil es von Beginn an eine fast nur negative Erzählung gab. Es ging immer um "Reduktion" und "Verlust". Das muss geändert werden. Es ist kein Verlust, Maßnahmen zu setzen, um klimafreundlich zu leben. Es geht um alternative Lebensstile, die attraktiv gemacht werden müssen. Menschen möchten gern an "guten Geschichten" teilhaben. Nicht nur Ethiker, sondern auch Politiker müssen Möglichkeiten zugunsten des Klimas schaffen.

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