Rock the Cheese -Wenn man Musik im Käse hört
Beat Wampfler beschallt Emmentaler mit Musik. Fortsetzung eines künstlerisch-kulinarischen Versuchs der Hochschule der Künste Bern
vom 22.05.2019
Auf speckig ausgetretenen Steinstufen geht es hinunter in den Käsekeller von Beat Wampfler. Mit festem Handschlag und sonorem "Grüessech" führt er ins dunkle Gewölbe. Schon vor 166 Jahren reiften hier Emmentaler Käse und wurden in die ganze Welt verkauft. Aus dem Lautsprecher tönt "Ja, i bin e Ämmitaler", das Truebebub-Lied, inoffizielle Hymne des Emmentals und fast so alt wie der Keller. Die Musik dient nicht nur dem folkloristischen Ambiente. Beat Wampfler beschallt damit einen hundert Kilo schweren Emmentalerlaib.
Was nach Spinnerei klingt, ist die Fortsetzung einer künstlerisch-kulinarischen Versuchsanordnung der Hochschule der Künste Bern (HKB). Die Fragestellung lautete: Beeinflussen Schallwellen den Stoffwechselprozess von Käse derart, dass die sonochemischen Auswirkungen aromastofflich nachweisbar und kulinarisch spürbar sind? Kurz: Schmeckt man die Musik im Käse?
Beat Wampfler erklärt, dass in seinem Keller neun Emmentaler Käselaibe je sechs Kilogramm während des sieben Monate dauernden Reifeprozesses rund um die Uhr Musik zu hören bekommen haben -von Mozarts "Zauberflöte" über Led Zeppelins "Stairways to Heaven" bis hin zu HipHop. Die Herausforderung lag darin, die Anforderungen drei völlig unterschiedliche Bereiche -Kunst, Handwerk und Naturwissenschaft- so aufeinander abzustimmen, dass das Projekt sinnvoll lanciert werden konnte.
Für den Musikwissenschaftler Michael Harenberg und seine Studierenden an der HKB stellte sich die Frage, wie man die Energie einer Schallwelle in den Käse hineinbekommt. Man wollte die Resonanzen und Vibrationen direkt auf die Käsemasse übertragen. Dies gelang mithilfe eines Transducers, der am Käsebrett angebracht war und den darauf reifenden Käse in Schwingungen versetzte. Eine Holzkiste um diese Käse-Lautsprecher-Einheit herum diente als Isolation, "damit der Mozartkäse bei der Reifung nicht durch die HipHop-Musik des Nachbarkäses gestört wird", sagt Beat Wampfler.
Bei der Auswahl der Beschallung interessierte die Musikwissenschaftler ein Benchmarking, wie sich der Käse bei hohen, mittleren und tiefen Sinustönen, verschiedenen Rhythmen und Frequenzspektren entwickeln würde. Die Schallarten sollten verschiedenen Musikgenres zugeordnet werden: HipHop für tiefe Resonanzen und gleichbleibende Rhythmen, Mozart für ein sehr abwechslungsreiches Klang-Rhythmus-Spektrum und reine Sinuswellen.
Bei der Überprüfung der Ergebnisse kam die dritte Disziplin auf den Plan. Voraussetzung dafür, dass sich der Biologe und Önologe Tilo Hühn, Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) engagierte, war eine standardisierte Versuchsanordnung. Er ließ den Käse von speziell trainierten Lebensmittelsensorikern in einer Blindstudie testen.
Und dann das Ergebnis, das die Tester doch überraschte: Der Hip-Hop-Käse schmeckte würziger als die anderen. In der Sprache der Lebensmittelsensoriker heißt das, die Aromakomponente beim Käse, der mit tieferen Frequenzen beschallt wurde, waren nachweislich ausgeprägter als bei jenen, die mit höheren Frequenzen beschallt wurden. Eine zweite Test-Jury aus Laien kam zum selben Ergebnis.
"Daraus kann man noch nicht schließen, dass der Schall einen direkten Einfluss hat", erklärt Tilo Hühn. Aber die Hinweise sind ausreichend, um das Experiment in größerem Maßstab fortzusetzen. Den Lebensmittelexperten interessiert aus dem Blickwinkel der Sonochemie, ob und wie die Beschallung den Stoffwechsel der Mikroorganismen im Reifungsprozess verändern. Gerade bei Rohmilchkäse möchte man verstehen, ob bestimmte Schallprofile das Wachstum bestimmter Bakterien fördern oder hemmen.
Die österreichische Foodtrendforscherin Hanni Rützler sieht im Experiment der Käsebeschallung einen spannenden Ansatz. Vor allem dann, wenn das Experiment die Herstellung von hochwertigen Käsen fördert.
Der Klangkäse könnte gerade holistische Menschen, die der zuweilen fundamentalistisch geführten Food-Debatte überdrüssig sind, interessieren. Nur wäre es schön, wenn das Experiment nicht erst im Käsekeller, sondern schon bei der Kuh auf der Weide anfinge. Beat Wampfler ist übrigens auch Tierarzt. Dem entschlossenen Berner ist also durchaus zuzutrauen, dass er auch den Kühen Musik vorspielt.