Um Gottes willen, so teuer!
Karin Pfolz begeistert Kinder und Jugendliche für Bücher. Viele Erwachsene legen sich quer
Stell dir vor, es ist EU-Wahl und keiner merkt's -das war einmal. Das gesteigerte Interesse für die Wahlen zum Europäischen Parlament, sichtbar etwa auch an einer höheren Wahlbeteiligung, hat aber nicht notwendig mit "Ibizagate" zu tun. Es ist ein Trend in vielen Ländern der EU.
VieCER, das interdisziplinäre Forschungszentrum an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, beschäftigt sich mit allen Aspekten von Wahlen. 2.000 Personen jeweils in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Polen, Dänemark sowie 3.000 in Österreich wurden online befragt, ob sie "in den letzten drei Wochen" mit Freunden oder Familienmitgliedern persönlich über die EU-Wahl geredet haben.
Das persönliche Gespräch kann Wahlverhalten verändern
"Aus einer Studie zur Nationalratswahl 2013 wissen wir, dass man aufgrund solcher Gespräche durchaus die Meinung über ein Thema und das Wahlverhalten ändern kann", sagt Sylvia Kritzinger vom Institut für Staatswissenschaft, die an der Studie beteiligt war. Face-to-Face-Kommunikation sei demnach wichtiger als klassische Parteiwerbung, etwa Plakate.
Grundsätzlich gilt: Die Menschen diskutieren über die EU-Wahl, mit nationalen Unterschieden. Sylvia Kritzinger nennt es ein "Ost-West-Gefälle in der Debattenkultur". In Ungarn werde etwa häufiger über Politik diskutiert als in Deutschland.
In einigen Ländern ist Klimawandel kein Thema
Vergleicht man Deutschland mit Ungarn, zeigt sich, dass der Klimawandel in Deutschland mit fünfzehn Prozent wichtigstes Thema war, in Ungarn aber nur eine kleine Rolle spielte (drei Prozent). Das dominierende Thema war mit 18 Prozent die Korruption, gefolgt vom Gesundheitssystem.
Ungarn kann mit Polen verglichen werden, wo der Klimawandel ebenfalls keine besondere Rolle spielte. Dort diskutierten die Menschen am häufigsten über die Justiz, gefolgt vom Gesundheitssystem.
Auch in Spanien, wo die Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2008 noch spürbar sind, spielte der Klimawandel keine Rolle. Es dominierten Arbeitslosigkeit sowie Korruption. Die Daten für Österreich sind zurzeit noch nicht vollständig ausgewertet.
EU-Wahlwerbung, Brexit und Ibiza haben mobilisiert
Die gesamt gestiegene Wahlbeteiligung lasse sich auch auf das Engagement der EU-Institutionen zurückführen. Kritzinger verweist auf die EP-Kampagne "This time I'm voting" mit eigener Website. Mit Frans Timmermans, Manfred Weber sowie Margrethe Vestager seien von den großen Parteifamilien auch echte Kaliber in die Wahlschlacht geschickt worden.
Auch der Brexit hatte einen Mobilisierungseffekt. Außerdem hätten sich die Parteien bemüht, ihre Wahlkämpfe stärker europäisch darzustellen. Am deutlichsten waren diesbezüglich die NEO S mit den "Vereinigten Staaten von Europa". Der Ibiza-Effekt lasse sich zwar schwer beziffern, habe aber sicherlich zum Wählen mobilisiert, so Kritzinger. Nachsatz: "Das hätte aber auch in die andere Richtung gehen können, nämlich zu einer Demobilisierung."