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Ideen und Vorschläge, um Österreichs Jugend zum Lesen zu bringen, gibt es prinzipiell genug. Allein auf dem Portal "Wir lesen!" des Büchereiverbands Österreichs (BVÖ) sind 244 Anregungen und Initiativen zur Leseförderung verzeichnet. Sie richten sich an alle Altersstufen, vom Schoßkinderprogramm für die Allerjüngsten bis zur Sommerleseaktion im Strandbad oder einer Krimilesenacht für Erwachsene und versuchen den Umgang mit geschriebener Sprache auf verschiedenen Wegen und in bisweilen ziemlich aufwendigen Formaten zu vermitteln: Spiele, Wettbewerbe, Workshops, Ferienaktionen, Poetry Slams, Performances.
Die Autorin, Malerin und Verlegerin Karin Pfolz kommt in dieser Liste nicht vor. Und doch hat sie in ihrem Wirkungskreis viele Kinder und Jugendliche für das Lesen begeistert.
Pfolz ist Autorin von mehr als fünfzehn Kinderbüchern, Thrillern und Krimis. Um sie zu veröffentlichen, hat sie 2014 den Karina Verlag gegründet, der an die vierzig Autoren beheimatet und Kinder-und Jugendliteratur einen bedeutenden Stellenwert (neben Krimis, Thrillern und Anthologien) einräumt. Bekannt geworden ist Karin Pfolz allerdings aus traurigem Anlass: Weil sie von ihrem Ehemann schwer misshandelt worden ist und ihr Martyrium im autobiografischen Roman "Manchmal erdrückt es mich, das Leben" (2014) beschrieben hat, ist sie, eloquent und sicher im öffentlichen Auftreten, zu einer Sprecherin für Opfer familiärer Gewalt geworden. Die Serie von Frauenmorden Anfang dieses Jahres forcierte die Nachfrage nach ihr als "Testimonial" zum Thema. Pfolz empfindet diese Art von Publizität als zweischneidig. "Ich mag die Opferrolle nicht, in die man da schnell gedrängt wird. Auf der anderen Seite gibt mir die Medienpräsenz die Möglichkeit, mit den Menschen zu sprechen."
Lesungen, die ohne Pause mindestens zwei Stunden dauern
Ihre Leseförderungsaktivitäten entwickelten sich scheinbar beiläufig in der bilingualen Volksschule am Wiener Keplerplatz, die ihre Kinder besuchten. Eine Lehrerin, die um Pfolz' künstlerische Begabung wusste, schlug ihr vor, den Kindern Malerei zu vermitteln. Aus den Bildern, die dabei entstanden, kreierte Pfolz ein Märchen, das dann ihr allererstes Buch wurde. Als sie es der Klasse vorlas, machte sie allerdings eine für sie schockierende Entdeckung: "Die meisten kannten Vorlesen gar nicht. Nicht einmal diese zehn Minuten, mehr sind es ja nicht, nehmen sich Eltern dafür Zeit. Zehn Minuten Zeit für mein Kind, für Ruhe und Sich-aufeinander-Konzentrieren und Füreinander-Dasein. Ohne Fernseher nebenher, ohne Internet, ohne Telefon: wirklich füreinander dasein. Dazu ist ein Buch ein gutes Mittel."
Um den Wert des Vorlesens schon den Kleinsten (und ihren Eltern) bewusst zu machen, gastiert Pfolz regelmäßig in einem Kindergarten. An ältere Kinder und Jugendliche (Unter-und Oberstufe Gymnasium) richten sich ihre Workshops und Seminare im Zeichen der Gewaltprävention. Diese zentrieren sich um ihren Roman und regen lebhafte und emotional geführte Diskussionen an.
"Die Schüler halten das schon aus in dem Alter. Man darf nicht vergessen: Jede vierte bis fünfte Frau ab 16 ist betroffen, in Österreich, in Europa. Wenn ich in eine Klasse von 25 Schülern komme, kann man davon ausgehen, dass ein Viertel von ihnen, seien es sie selbst oder die Mutter oder die Tante, familiärer Gewalt ausgesetzt ist und damit zu niemandem gehen kann. Das Thema wird nach wie vor von der Öffentlichkeit unter den Teppich gekehrt." Die Lesungen, erzählt Pfolz, ermutigten gut neunzig Prozent der Betroffenen, über ihre Erfahrungen zu sprechen. "Was ganz wichtig ist: Die anderen verstehen es."
Diese Lesungen dauern mindestens zwei Stunden. "Die Schüler gehen nicht einmal in die Pause. Sie ignorieren das Läuten, wollen weiterhören, weiterreden, und man merkt, dass da ein innerer Zwang ist, das endlich loswerden zu können."
Zweisprachige Kinderbücher, die meist Tiere als Helden haben
Eine wichtiger "Umschlagplatz", um sich Gehör zu verschaffen und mit Menschen ins Reden zu kommen, ist für Pfolz der Markt in Bruck an der Leitha, wo sie einmal in der Woche Olivenöl verkauft und daneben auf einem Büchertisch ihre Werke anbietet. Wenn sie sich auf eine Olivenölkiste setzt, um jungen Interessenten vorzulesen, bekommen diese bald Gesellschaft. "Ich bin dann wie der Rattenfänger von Hameln", erzählt Pfolz selbstironisch.
Ihr "Renner" ist die Geschichte um Kathy, das Schlossgespenst, die bisher drei Bände umfasst und rechtzeitig zur Buch Wien um einen vierten Band ergänzt wird. In diesen Büchern, die Pfolz wie alle anderen ihrer Werke selbst illustriert, sind Anregungen ihrer jungen Fans eingearbeitet.
"Vom Schlossgespenst habe ich eine Kuschelfigur mit am Markt. Die Kinder dürfen sie halten und aufpassen, dass sie nicht wegfliegt, weil sie so wild ist. Man bringt so auch 12-bis 14-jährige Kinder dazu, auf Kathy aufzupassen. Sie können so in die Fantasie hineinkippen, das ist schön."
Großer Beliebtheit erfreuen sich auch die zweisprachigen Kinderbücher, die meist Tiere als Helden haben, von Pfolz wie auch anderen Autoren und Künstlern geschrieben und illustriert sind und überwiegend deutsch-englisch, aber auch deutsch-spanisch und deutsch-französisch erscheinen: Zum Text in der Fremdsprache gelangt man, wenn man das Buch gewendet hat.
"Auf einer Seite beide Sprachen abzudrucken ist vollkommener Schwachsinn. Damit lernen die Kindern nichts. Kinder denken Geschichten ja immer virtuell. Sie müssen sich merken, was passiert ist. Dann drehen sie das Buch um und lesen es auf Englisch. Was passiert ist, wissen sie ja schon, und wenn sie es Englisch lesen, geht die Sprache ins Gehirn, ohne dass sie Vokabeln lernen müssen.,Meine' kleinen Schüler, die zu mir auf den Markt kommen, sind jetzt in Englisch ein, zwei Noten besser als vorher."
Nach Pfolz' Erfahrungen sind Kinder viel mehr am aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehen interessiert, als es ihnen nachgesagt wird. "Es interessieren sie Geschichten, die mit Technik zu tun haben. Aber auch die Umwelt. Hier wirkt Greta Thunberg, weil sie ein Kind ist, als Vorbild. Auch bei meinen zweisprachigen Kinderbüchern ist das, was am allerbesten geht, alles, was sich mit der Umwelt befasst."
Die Ignoranz der Erwachsenen ist die Leseunfähigkeit der Kinder
Während Karin Pfolz ihr Primärpublikum, die Kinder, bestens erreicht, stößt sie bei so gut wie allen anderen Instanzen auf Barrieren und taube Ohren. Als besonders abweisend erlebt sie die Eltern. Im Kindergarten hat Pfolz bei einem Elternabend Bücher zum Verkauf angeboten. "Obwohl die Kinder immer wieder die Bücher mitnehmen wollten, habe ich genau vier Stück verkauft."
Am Markt in Bruck an der Leitha ist folgende Szene Standard: "Ein Kind steht da und es kommt der Blick zur Mama. "Ich hätt' so gern '- ,Was kost' denn das ? 13 Euro? Um Gottes willen, so teuer!" Es handelt sich um einen Vierfarbdruck auf Fotopapier in Hardcover-Qualität. So teuer! Und dann sehe ich, wie die Eltern zum Nachbarstand gehen und siebzig bis achtzig Euro für Käse, Speck und Grammeln ausgeben."
Auch bei der öffentlichen Hand oder Unternehmen kann die engagierte Autorin nicht auf Unterstützung zählen. Die Schulen zum Beispiel zeigen sich sehr sparsam, wenn es um den Ankauf von Büchern als Unterrichtsmaterial geht. Und auch der Buchhandel spielt nicht so mit, wie sie es gerne hätte. Die zweisprachigen Bücher etwa, als deren angemessenen Platz Pfolz die Kinderbuch-Abteilung sieht, verkommen in den Geschäften bei den Lernhilfen oder im Englisch-Sektor.
Davon unbeeindruckt, arbeitet Pfolz an ihrer neuesten Leseförderungs-Idee: Ein Projekt, bei dem Jugendliche mitschreiben. Etwas Ähnliches hatte sie in einer HAK begonnen. Dann maturierten die Schüler und das Projekt wurde nicht fertig. "Es macht den Jugendlichen großen Spaß. Besonders, wenn es ein Krimi wird, in dem der Mörder der Mathematiklehrer ist. Bei diesen Projekten verstehen die Jungen, wie ein Buch entsteht und was für eine Energie darin steckt."